Von Gustav Fredekind, Ostpreußen

Bericht von Wolhynien

Ich war ungefähr 12-13 Jahre alt, als Gott zum ersten Mal zu meiner Seele zu reden begann. Leider wusste ich nicht, wie ich es mit der Bekehrung anzufangen hatte. Und es war auch niemand da, dem ich mein Verlangen hätte offenbaren können. Meine Eltern waren evangelisch-lutherisch und hatten selbst keine Heilserfahrung. Somit hätten sie mich doch nicht verstanden, wenn ich ihnen mein Sehnen mitgeteilt hätte. Meine Eltern waren arm. Sie hatten nur eine Kuh, die ich hüten musste. In meiner Einsamkeit, beim Kuhhüten, kam ein großes Verlangen in mein Herz. Ich wollte doch so gern Gottes Willen tun und ihn von Herzen lieben. O, diese heilige Sehnsucht, die über mich kam! Ich kann sie nicht mit Worten ausdrücken. Im Aufblick zum Herrn rief ich unter Tränen in meinem Herzen: „Gott, ich möchte dich so gern lieben und dir gehorchen, aber ich weiß nicht, wie ich es machen soll!“ Obwohl ich in der Schule die Bibel als Lesebuch hatte, war mir doch Gottes Wort verdeckt und ein Geschichtsbuch, das ich nicht verstehen konnte. Nun kam die Zeit, dass ich konfirmiert werden sollte. Ich empfand die Sündenlast immer mehr. Ich vertröstete mich darauf, dass meine Sünden hinweggetan würden, wenn ich konfirmiert und zum heiligen Abendmahl zugelassen würde. Aber leider war das Gegenteil der Fall. Die Last blieb auf mir und ich machte die traurige Erfahrung, dass ich von der Sünde gebunden und geknechtet war. Ich musste das tun, was ich verabscheute und nicht tun wollte. Und so ging das Leben weiter in der Welt und Fleischeslust, bis ungefähr zum Anfang meines 20. Lebensjahres.

Da redete Gottes ernste Stimme wieder zu mir: „Willst du dich nicht bekehren?“ Ich sagte: „Ja, du weißt doch, Herr, ich möchte, aber ich weiß nicht wie.“ Denn es war niemand da, der mich unterwiesen hätte, wie ich mich bekehren könnte. Und ich sagte: „Herr, habe Geduld mit mir, bis ich eine Frau habe!“ Gott schenkte mir eine gute Frau, aber das Leben in der Sünde ging weiter. Ich möchte hier besonders zeigen, wie die Sünde den Menschen bindet und fesselt. Oft, wenn ich aus dem Schlaf erwachte und der Kopf und alles vom Rauchen und Alkoholgenuss schmerzte, so dass ich es beinahe nicht aushalten konnte, redete das Gewissen ernst mit mir: „Wenn du jetzt stirbst, wo würde dein Teil sein?“ Ich wusste es nur zu genau: Im ewigen Verderben! Meine Angst und Furcht kann nur der mitempfinden, der es selbst erfahren hat, wie die Sünde ihr Opfer lohnt. Ich fing an, mich aus eigener Kraft von den Fesseln der Sünde zu befreien. Zuerst versuchte ich, mit dem Tabakrauchen aufzuhören. Aber ich hielt es nicht aus und musste nach ein paar Tagen wieder rauchen. Und so ging es eine längere Zeit. Ebenso machte ich es mit dem Trinken und Fluchen. Mit der Zeit war ich der Sünde so müde, dass ich mir nicht mehr zu helfen wusste. Wenn ich las oder hörte, dass Sünder von ihren Lastern frei wurden, dann war es immer gerade das, wonach mein Herz verlangte. Und Gott kam mir zu Hilfe. Ich fing an, von Herzen zu beten. Ich machte die Erfahrung: Wenn ich morgens gebetet hatte, bewahrte mich Gott auch von dem Fluchen und Sündigen. Ich war von Beruf Grobschmied. Manchmal warteten schon Leute auf mich, wenn ich aufstand. Weil ich mich scheute, in Gegenwart fremder Menschen zu beten, kam es dann dazu, dass ich an manchem Morgen ohne Gebet zur Arbeit ging. Aber jedes Mal fiel ich an dem Tage schwer in Sünde, musste fluchen und anderes mehr. So durfte ich es schon in dem unerlösten Zustand erfahren, was das Gebet vermag, wenn es aus einem wahrhaft verlangenden Herzen kommt.

Während dieser Zeit wurde ich auf meinen Nachbar, einen alten Mann, aufmerksam. Dieser war ein stiller, freundlicher und wahrheitsgetreuer Mensch. Er wurde nicht böse, wenn er mit den Pferden arbeitete oder sonst mit Menschen oder Tieren Umgang hatte. Er galt schon vierzig Jahre als gläubig. Auf einmal hieß es: „Vater Refalski (so war sein Name) ist zur Gemeinde Gottes übergegangen“. Gott führte es so, dass die Brüder von der Gemeinde Gottes: Brüder Kannenberg, Werner und der junge Bruder Hinz unseren Ort besuchten und bei Bruder Refalski Versammlungen hielten. Die Predigten und der Gesang machten auf mich solch einen Eindruck, den ich hier in Worten nicht wiedergeben kann. Es muss erfahren sein!

Der Geist Gottes begann schon während des ersten Liedes an meinem Herzen zu arbeiten. Und als der Bruder betete und uns das Wort Gottes predigte, brach ich vor meinem Heiland zusammen und fing an mit Gebet und Tränen Gottes Erbarmen zu suchen. Gott legte es den lieben Geschwistern Hinz aufs Herz, am nächsten Abend wieder zu kommen. Sie spürten, dass der Geist Gottes am Wirken war. Sie wohnten ca. 55 Kilometer von uns entfernt und legten diese Strecke mit ihrem Fuhrwerk zurück.

Die Woche hindurch hatte der Geist Gottes mächtig an meinem Herzen gearbeitet. Ich besprach mich nicht lange mit „Fleisch und Blut“, obwohl der Feind nicht müßig war und mir allerlei vorhielt. Besonders legte er es mir immer wieder schwer vor, was hierzu meine Frau, Kinder, Eltern und all die Verwandten sagen würden. Aber gelobet sei mein Herr und Heiland! Er schenkte mir Gnade und Kraft, dem Teufel zu widerstehen und ihm zu sagen: „Und wenn alle mich verlassen und gegen mich sein sollten, so übergebe ich mich doch dir, mein Gott, für Zeit und Ewigkeit!“

Und ich durfte die Erlösungskraft an meinem Herzen erfahren. „Wen der Sohn freimacht, der ist recht frei!“ Er offenbarte mir seine Gnade und schenkte mir Licht und Klarheit über die biblische Taufe. Auch schenkte der Herr meinen Eltern, den anderen Verwandten und bald darauf meiner lieben Frau Gnade, dass sie sich bekehrten. Der Feind hatte sich wieder als der Vater der Lüge offenbart.

Soviel ich mich entsinnen kann, ist Bruder Kannenberg durch die „Evangeliums-Posaune“, die er von seinem Halbbruder Wilhelm Hanof aus Amerika zugeschickt bekam, zur Erkenntnis der Wahrheit und der Gemeinde Gottes gekommen.

Ich bekehrte mich in der Kolonie Iwnize (Wolhynien) im Jahre 1908. Im Jahre 1911 führte der Herr es so, dass ich etwa 225 Kilometer vor Moskau, in der Provinz Kaluga, Waldland kaufte und 1912 dorthin übersiedelte. Mit der Hilfe Gottes machten wir in zwei Jahren soviel Land urbar, dass es zu unserem Lebensunterhalt reichte. Als 1914 der unglückliche Krieg ausbrach und 1915 alle Wolhynien-Deutsche von Haus und Hof vertrieben wurden, blieben wir davon verschont. Doch wir hatten auch viel Schweres auszuhalten. Denn wir wohnten in einer rein russischen Gegend und wurden als die „inneren Feinde“ betrachtet, gehasst und verfolgt. Es waren dort nur zwei deutsche Kolonien.

Als 1917 die Revolution ausbrach, wurden wir im Winter 1917-1918 von der russischen Volksversammlung aufgefordert, sofort das Land zu verlassen. Sie behaupteten, dass das Land ihnen gehöre, obwohl wir es als Eigentum von einem hohen Beamten und Grundbesitzer aus Petersburg gekauft hatten. Da das Rauben und die Schrecknisse für uns dann unerträglich wurden, bekamen wir auf unser ernstes Bitten die Überzeugung von Gott, dass wir den Ort verlassen sollten. So wurden wir mit mehreren Familien zusammen einig und begaben uns im August 1918 auf die Reise. Erst nach 4 Monaten erreichten wir Deutschland. Wir trafen auf dieser langen Reise viel Not und Elend an und hatten auch viel Angst und Trübsal durchzumachen. Meine liebe Frau starb unterwegs in Königsberg. Wir anderen wurden weiter nach Hannover befördert und auf einem Gut angestellt.

Ich stand nun mit sieben unmündigen Kindern allein in einem Land, in dem wir weder Verwandte noch Bekannte hatten. Dennoch brauchten wir nicht zu verzagen, denn Gott war uns in allem segnend nahe. Der Herr schenkte mir und meinen Kindern Gnade, dass wir alles geduldig aus seiner Hand nehmen konnten. Ich freue mich noch heute und bin von Herzen dankbar, dass ich mit allen meinen Bedürfnissen zu ihm kommen durfte und dass er mir immer den Sieg verliehen hat. In allen Lebenslagen durfte ich erfahren, dass Gottes Wort die ewige Wahrheit ist. Ich möchte allen lieben Menschen zurufen: „Suche Jesum und sein Licht, alles andere hilft dir nicht!“ Glücklich ist der Mensch, dessen Hilfe Gott der Herr ist, sowohl im Himmlischen wie auch im Irdischen.

Im Oktober 1919 führten uns Gottes Wege nach Ortelsburg. Der Herr hat bisher für uns, trotz mancherlei Schwierigkeiten, nach Leib und Seele väterlich gesorgt. Es war uns hier vergönnt, wieder ein eigenes Grundstück zu kaufen. Und der Herr führte mir auch wieder eine gute Frau zu und eine Anzahl Brüder und Schwestern im Herrn.

Ich fühle mich meinem lieben Heiland gegenüber so dankbar, dass ich ihm für alle empfangene Wohltaten an Leib und Seele oft unter Tränen meinen Dank darbringe. Und ich will ihm auch fernerhin für alles vertrauen.