Ein Kampf mit den „Zungenrednern“

In einem großen Weinberg gibt es nicht nur Trauben zu lesen, sondern es gibt auch Zeiten schwerer Arbeit, wie der Herr einmal sagte: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ (1.Mo. 3:19). Der Feind kann es nicht ertragen, wenn alles so gut und ruhig geht. Er bringt gern Schwierigkeiten dazwischen. Und diese lässt der liebe Gott auch zu, damit das Volk Gottes das Gute von dem Bösen und die Gerechtigkeit von der Ungerechtigkeit zu unterscheiden lernt.

Schon jahrelang kam in die Versammlung in Horschtschik ein Mann, der auf religiösem Gebiet sozusagen immer gern ein „Wühler“ war. Der hatte seine Freude daran, immer etwas Neues und möglichst Streitigkeiten und Gegensätze hervorzubringen. Sein eigenes Leben aber umzuändern, war nicht sein Verlangen. Auf ihn passte so recht Jesaja 59:5: „Sie brüten Basiliskeneier und wirken Spinnwebe. Isst man von ihren Eiern, so muss man sterben; zertritt man es aber, so fährt eine Otter heraus.“ Diesem Mann war es gelungen ausfindig zu machen, dass in Deutschland auf religiösem Gebiet etwas Neues im Gange war. Er sorgte dafür, dass er von den Schriften des Pastors Paul bekam. Damit verwirrte er in unserer Gemeinde etliche Köpfe.

Obwohl es den leitenden Brüdern schnell gelang, wieder Ordnung zu schaffen, blieben doch vier Männer samt ihren Angehörigen unter dem Einfluss der Heiligungsbewegung (Zungenredner). Diese fingen an, die Leute mit ihrer Zungenreden zu beunruhigen. Auf diesen, als ihrem Steckenpferd, ritten sie immer wieder herum.

Als wir 1922 nach Horschtschik kamen, besuchten diese vier Familien regelmäßig unsere Gottesdienste. Das Wesen dieser Leute gefiel mir keineswegs, aber da sie keine eigene Versammlung in Horschtschik und Umgebung hatten, kamen sie eben zu uns. In Wirklichkeit hatten sie das Bestreben und die Erwartung, unsere Gemeinde für ihre Einstellung zu gewinnen. Sie versuchten mehrfach mit mir zu reden. Dabei stellten sie mir die Frage, wie ich 1.Korinther 14 verstünde. Bei dieser Unterhaltung sagte ich ihnen von Anfang und wiederholt ganz klar, dass ich ihre Ansichten nicht teilen könne. Allerdings seien mir die bezeichneten Stellen noch nicht ganz klar, ich würde aber volle Klarheit von Gott erbitten. So hielten sie mich für aufrichtig und hatten noch Hoffnung. „Wenn er erst Licht bekommen wird“, meinten sie, „dann haben wir die ganze Gemeinde auf unserer Seite!“ So verhielten sie sich in unseren Versammlungen verhältnismäßig still. Mehr und mehr merkten wir aber, dass es mit dem Lebenswandel der Betreffenden nicht recht stimmte. Und der von ihnen ausgehende Einfluss wirkte nicht zum Guten, nicht zur Einheit. Offen gesagt, wir hätten es lieber gesehen, wenn sie nicht mehr kämen.

Ich beschäftigte mich zu jener Zeit viel mit 1.Korinther 14 und anderen Bibelstellen. Ernstlich rief ich zum Herrn, mir doch die rechte Waffe in die Hand zu drücken. Er möge mir doch helfen, den Irrtum bloßzustellen und seine Wahrheit zu offenbaren. Er möge mir Autorität geben, „zu zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes“ (2.Kor. 10:5). Und siehe da, eines Nachts fühlte ich mit großer Gewissheit, dass mir der Herr seine Gedanken über die Bibelstelle mitgeteilt hat. Helles Licht fiel auf diese Stellen. Ich bekam eine Botschaft vom Herrn über das Thema des biblischen Zungenredens. Nichts war zeitgemäßer als dies. Die ganze Gemeinde war gewissermaßen in einer Erwartung. Man fühlte die Spannung und spürte den Widergeist. Es musste eine Lösung geben. Wie war ich dankbar für die Gedanken, die ich nun mit großer Gewissheit verkündigen konnte. Der Sonntag kam heran. Es war Pfingsten 1923. Alle hatten sich wieder versammelt, auch die vier Männer mit ihren Angehörigen.

Ich wählte direkt 1.Korinther 14 als Text und begann von der Liebe und von dem Streben nach den geistlichen Gaben zu reden. Ich redete davon, wie alle Gaben von dem einen Geiste ausgingen, dem Geiste Gottes, dem Geiste der reinen, wahren Liebe. Sie sind zum gemeinsamen Nutzen gegeben, zur Förderung der Sache des Herrn. Ich sagte, dass auch das Reden in anderen Zungen zu Pfingsten ein sehr vernünftiges gewesen ist. Der Heilige Geist hat den Jüngern die Gabe verliehen, in Sprachen zu sprechen, welche Parther, Meder, Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa, Kappadozien, Pontus, Asien, Phrygien, Pamphylien, Ägypten, Lybien und Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber verstanden.  Der Zweck des Ganzen war, dass all die Ausländer, die damals zusammengekommen waren, die wunderbaren Taten Gottes in ihren eigenen Sprache hören und die große Macht Gottes erkennen sollten. In großem Erstaunen hatten sie ausgerufen: „Sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind?“ (Apg. 2:7-8).

Gott gab in den ersten Gemeinden häufig Sprachengaben, aber 1.Kor. 14 hätten wir wahrscheinlich gar nicht in der Bibel, wenn in der Gemeinde in Korinth nicht Unordnung im Gebrauch der Zungengabe entstanden wäre. Das ganze Kapitel hat nur den Zweck, Ordnung und Klarheit zu schaffen. Es war den Aposteln zu Ohren gekommen, das manches unterlief, was nicht zur Besserung diente. Paulus wollte in seinem Brief keine Abhandlung über das Zungenreden geben. Denn darüber, was das Zungenreden ist, wussten die Gläubigen in Korinth Bescheid. Er wollte nur die Unordnung bloßstellen. Seine Anordnungen setzen eine Kenntnis des Zungenredens voraus. Der also in 1.Korinther 14 eine wesenhafte Erklärung des Zungenredens sucht, kann sehr leicht irregeführt werden. Petrus schreibt schon von den Briefen des Apostel Paulus: „... in welchen sind etliche Dinge schwer zu verstehen, welche die Ungelehrigen und Leichtfertigen verdrehen... zu ihrer eigenen Verdammnis“ (2.Petr. 3:16). Mit guter Beweisführung stellt Paulus hier nur das Unordentliche bloß. Lesen wir das Kapitel von diesem Gesichtspunkt aus, so haben wir den Schlüssel zum seinem Verständnis gefunden. Gott sei Dank, wir brauchen darüber nicht im Unklaren sein!

Die Zungengabe selbst ist eine wunderbare Gabe des Geistes Gottes, in einer fremden Sprache oder einem fremden Dialekt zu reden. Dem Apostel aber lag es daran, dass diese Gabe nur in Anwendung kommen sollte, wenn es zur Besserung, zum Nutzen oder zum Fortschritt diente. Was hätte es beispielsweise für einen Zweck, chinesisch zu reden, wenn keine Chinesen in der Versammlung sind? Gott und der Redner selbst würden es nur verstehen. Und das entspricht doch nicht dem Zweck der Erbauungszusammenkünfte der Gemeinde. Darum soll der Betreffende lieber stille sein. So ist Vers 2 gemeint, der aber sehr viel missverstanden wird. Also unter der Voraussetzung, dass keiner von dem betreffenden Volksstamm anwesend ist, ist die Anwendung der Zungengabe nur ein Reden mit Gott. Wer hingegen weissagt (Vers 3), das heißt, wer geistliche Dinge in der allgemeinen Umgangssprache der Gemeinde redet, der redet den Menschen zur Besserung, zur Ermahnung und zur Tröstung. Zur Besserung redet der Redner in Zungen nur dann, wenn er zu solchen Menschen redet, die ihn verstehen. Und dann ist es auch in der Ordnung, dass er so redet (Vers 26). Wahrscheinlich waren über den Verlauf der Versammlungen Beschwerden vorgebracht worden. Daher diese Anordnung des Apostels. Auch sollten in einer Versammlung nicht zu viele reden. Zwei oder höchstens drei, und selbstverständlich einer nach dem andern (Vers 27).

Damit die Gemeinde nicht vergeblich beisammen sei, sollte die Zungengabe in den Zusammenkünften überhaupt nur dann in Anwendung kommen, wenn jemand da war, der das Geredete in die Sprachen der Einheimischen übersetzte oder auslegte (Vers 28). Dies konnte auch durch den Fremdsprachenredner selbst geschehen (Vers 5). Denn jeder konnte das, was er selbst in einer fremden Sprache redete, auch verstehen. Viele verneinen dies, aber es ist doch der Fall. Die Zungengabe schließt das in sich. Vers 4 sagt: „Wer mit Zungen redet, der bessert sich selbst“. Wie könnte er sich aber selbst bessern, wenn er nicht verstünde, was er redet? Der Apostel sagt ja, dass die Gemeinde gerade dann nicht gebessert wird, wenn sie nicht versteht, was geredet wird (Vers 5-11). Bei der Auslegung der biblischen Zungengabe versteht also der Betreffende, was er redet. Das ist sehr wichtig. Gott sei Dank für das Bibelwort, das uns für alles den rechten Blick geben will.

In einer Versammlung an diesem Ort war ich einmal genötigt, russisch zu sprechen, obwohl ich zu der Zeit darin noch durchaus unbewandert und unbeholfen war. Im Vertrauen auf den Herrn versuchte ich es. Und siehe da, zu meinem allergrößten Erstaunen ging es sehr gut. Ich war mir gewiss, dass der Geist Gottes mir wunderbar geholfen hatte. Das Geredete war nicht meiner Sprachkunde noch meiner Sprachfähigkeit zuzuschreiben. Es war der Herr! Viele, ja fast alle, saßen unter Tränen da. Es war eine bewegte Versammlung. Hierbei sahen wir die unbegrenzte Möglichkeit der Begabung des Heiligen Geistes. Was aber ist dagegen das sinnlose, unartikulierte Geplapper?

Manche lehren heute, erst das Reden in Zungen sei der Beweis für den Besitz des Heiligen Geistes. Solche Behauptung ist aber dem Worte Gottes völlig zuwider, denn wir lesen: „Gott hat gesetzt aufs erste die Apostel, aufs andere die Propheten, aufs dritte die Lehrer, darnach die Wundertäter, darnach die Gaben gesund zu machen, Helfer, Regierer, dann mancherlei Sprachen. Sind sie alle Apostel? Sind sie alle Propheten? Sind sie alle Lehrer? Haben sie alle Gaben gesund zu machen? Reden sie alle mit mancherlei Sprachen?“ (1.Kor. 12:28-30). Nein! Und abermals nein! Dazu besteht gar nicht die Notwendigkeit. Und Gott ist ein praktischer Gott.

Es ist nicht nötig, dass unsere Zehen hören können. Es ist auch nicht nötig, dass unsere Ellbogen sehen können; der ganze Leib ist nicht Auge und auch nicht Gehör. Der Geschmack ist da, wo er hingehört. Das Gefühl ist, wo es hingehört. Wenn der ganze Leib Zunge wäre, was wäre das doch für ein unvollkommener Leib! Und sagt Paulus nicht ausdrücklich, dass die Zungengabe als Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern vielmehr für die Ungläubigen gegeben ist? (1.Kor. 14:22). Welch ein Missbrauch, es zum Zeichen oder Beweis des Besitzes des Heiligen Geistes zu stempeln! Gegen Missbrauch und irrige Ansichten trat schon der Apostel energisch auf. Gott helfe uns, auch energisch dagegen aufzutreten und die Wahrheit Gottes zu erkennen.

Jene vier Männer hatten bereits aus unseren Reihen schon verschiedene Freunde gewonnen. Aber von dieser Versammlung an war ihren Anhängern der Sachverhalt soweit klar, dass sie ihnen nicht mehr zustimmten. Sie erkannten zunächst, dass deren Hauptstütze, 1.Korinther 14, anders verstanden sein will, als diese es hinzustellen suchten. Der Widerstand jener Männer wurde nun deutlicher fühlbar. Sie stimmten dem verkündigten Worte ganz und gar nicht zu.

In der Nacht vor einem Sonntag hatte ich ein eigenartiges Traumgesicht. Ich weidete Vieh. Plötzlich zeigten sich zwei Kühe widerspenstig. Ich lief ihnen nach. Aber noch ehe ich sie einholte, begegnete mir eine unheimliche Gestalt. Dunkelfarbig im Gesicht und finster dreinblickend sagte sie zu mir: „Die Kühe sind fort, sie sind nicht mehr zurück zu bekommen, sie gehören jetzt einem anderen.“ Damit reichte mir die Männergestalt eine Flasche mit trüber, schmutziger Flüssigkeit und sage: „Das ist zur Bezahlung dafür.“ Dann verschwand die Gestalt, die Kühe mit sich forttreibend. Ich beschaute mir die Flasche, der starker Alkoholgeruch entströmte, und dachte bei mir: „Was soll ich mit diesem schmutzigen, trüben Giftwasser?“ Ich warf die Flasche fort und erwachte in dem Moment.

Am nächsten Morgen sagte ich zu meiner Frau: „Es ist sicher wieder etwas im Gange, wir werden wohl jemanden verlieren.“ Auf dem Weg zur Versammlung sahen wir in kurzer Entfernung zwei jener Männer die Straße überqueren, und zwar in die entgegengesetzte Richtung von unserem Versammlungshaus. Ich beschleunigte meinen Schritt, ging auf sie zu und fragte, ob sie nicht zur Versammlung kämen. Ausweichend antworteten sie, dass sie heute etwas anderes vorhätten. Da nämlich die Hoffnung, mich für ihre Sache zu gewinnen, bei ihnen gesunken war, hatten sie, wie ich noch an demselben Tag erfuhr, unter sich eine eigene Versammlung angefangen.

Kurz danach erzählte ich diesen Männern meinen Traum. Einer erschrak und sagte, er wollte sich nicht an der Sache Gottes vergreifen. Mittlerweile hatten diese Männer einen Prediger aus Odessa kommen lassen. Dort hatte ein Mann aus Amerika das verkehrte Pfingstwesen unter die Russen gepflanzt, das sich auch bald in zwei deutschen Kolonien ausgebreitet hatte. Aber binnen kurzem war alles gänzlich verfallen. Nachher war meines Wissens dort keine Versammlung mehr in deutscher Sprache. Prediger Bolländer war dann alleine übrig geblieben. Und diesen hatten die Horschtschiker zu sich gerufen. Das war gerade dann, als wir unsere dreitägige Versammlung in Tschernjachow hatten. Sie brachten ihn zu dieser Veranstaltung mit, damit er mit mir redete und mich nach Möglichkeit überzeugte.

Ich predigte jenes Mal über die „eine Gemeinde“ und über „die Einheit durch den einen Geist“. Gott gab das Wort in recht überzeugender Klarheit. Am Schluss kam der Prediger zu mir. Und, obwohl die Männer ihn vorsichtigerweise „hüten“ wollten, damit ich nicht allein mit ihm sprach, kam es doch, dass ich für eine halbe Stunde mit ihm unbemerkt in einer Scheune verschwinden konnte.

In sichtlich innerer Bewegung sagte er zu mir: „Ich habe heute viel gelernt und bin Gott sehr dankbar dafür. Solch eine Klarheit und Reinheit der Lehre habe ich noch nirgends gehört!“ Nach kurzem Austausch noch einiger Gedanken sagte er weiter: „Sie haben in der Lehre alles. Sie sind weiter als wir. Nur eines fehlt Ihnen noch – die Zunge!“ Ich fragte ihn darauf: „Haben Sie die Zunge?“ Er bejahte dies. „Was für eine Zunge?“, fragte ich weiter, „Solche, wie die Apostel gehabt haben oder die Plapperzunge?“ „Solche, wie die Apostel gehabt haben“, gab er etwas erstaunt zur Antwort. Nun fragte ich weiter: „Wenn Sie in der Zunge reden, verstehen Sie dann, was Sie reden?“ „Nein“, sagte er. „Verstehen die anderen, was Sie reden?“ Wiederum, „Nein!“ „Wissen Sie,“ sagte ich nun, „das ist die Plapperzunge. Solch eine Zunge möchte ich nicht haben!“ „Es ist doch von Gott“, wandte er ein, verwundert über die Bestimmtheit im Ton meiner Worte. Ich versuchte, ihm dann die Prinzipien des Geistes Gottes und sein heiliges, reines Wirken anhand mancherlei passender Schriftstellen zu erklären. Ich konnte ihm auch den Sinn von 1.Korinther 14 und anderer Stellen darlegen. Außerdem war es mir möglich, noch auf mancherlei Einwendungen und Fragen seinerseits einzugehen. Er schien mir weit aufrichtiger und wahrheitsliebender als jene Männer zu sein. Schließlich gestand er ein, dass er von dem Irrtum seiner Ansichten überzeugt sei. Er war für das Gespräch sehr dankbar. „Wenn die mir nicht Geld gegeben hätten“, sagte er, „möchte ich gar nicht mehr zu ihnen hingehen!“

Die Versammlungen zogen sich mehrere Tage hin und eines Nachts hatte ich daselbst folgenden eigenartigen Traum.  Ich trat in unser Bethaus in Horschtschik und sah zu meinem Erstaunen mittendrin eine große Lokomotive stehen. Einige Männer kamen auf mich zu und erzählten mir, sichtlich erregt und bewegt, dass sie das Ding auch in Gang bringen könnten. Eiligst gingen sie daran, es zu tun. Sie schürten und setzten einige Hebel in Bewegung. Die Maschine fing an, zu fauchen, zu pusten und nicht geringen Lärm zu machen. Kopfschüttelnd sagte ich zu ihnen: „Ja, was soll denn das hier drin?“ Sie antworteten: „Das ist für das Werk des Herrn. Wir werden noch mehr tun. Wir werden Steine mahlen für die Sache Gottes. Und du wirst sehen, was wir fertig bringen!“ Schon brachten sie größere Steine her und warfen sie in eine trichterförmige Öffnung oberhalb der Maschine. Kaum hatte die Maschine sie erfasst, so fing sie an, furchtbar zu tosen, zu knirschen und zu mahlen, so dass die Wände zitterten. „Ich kann nicht glauben, dass so etwas für Gottes Sache sei“, sagte ich. „Wozu brauchen wir in unserem Bethaus Steine mahlen? Der Herr doch hat gesagt: ‚Mein Haus soll ein Bethaus sein!‘“ Darüber wachte ich auf.

Den Rest der Nacht und während des ganzen nächsten Tages ging mir der Traum im Kopf herum. Es war mir so sonderbar zu Mute. Ich betete ernstlich: „Herr, halte deine Hand über deine Sache und verschone uns von allen Verkehrtheiten!“ Die Zeit drängte. Am Schwarzen Meer war eine Versammlung angesetzt. Und ohne vorher nach Horschtschik zurückkehren zu können, musste ich mich sogleich auf die Reise nach dem Süden begeben.

Einige Wochen danach wieder in Horschtschik eingetroffen, ging ich zunächst in die Wohnung einer unserer Brüder. Mir war unheimlich zu Mute. „O, Bruder Malzon“, sagte er, „was wir hier haben!“ „Nun, was habt ihr denn?“, fragte ich. „So ein Leben, so ein Gebetsgeist tut sich kund, dass die Wände zittern!“ „Nun, dann weiß ich Bescheid“, sagte ich in einem Ton, aus dem er merken konnte, dass ich seine Freude nicht teilte. Ich dachte an meinen Traum. „Aber Bruder Malzon, sag nichts dagegen, sag nichts dagegen, sieh es dir erst an, dass du dich nicht versündigst. Es ist sicher von Gott!“ Mir wollte das Herz zerspringen, ich musste mich fassen. Was war da geschehen? Ich fand die Leute, selbst die Leute unserer Versammlung, alle wie benebelt, geistlich wie betäubt. Jetzt konnte ich mir erst ein Bild von dem furchtbaren Geist machen. Er steckte in tiefstem Inneren dieser Leute aus der Heiligungsbewegung. Ich dachte an die Flasche mit der schmutzigen, alkoholischen Flüssigkeit.

Mit erzwungener Ruhe ließ ich mir weitererzählen. Aus allen treu einfältigen Berichten konnte ich soviel ersehen, dass jene Leute den Prediger Bolländer nach seiner Rückkehr zu ihnen so überredet und beeinflusst hatten, dass er alle erlangte gegenteilige Überzeugung wieder fallen ließ. Der Teufel hatte bei ihnen den Irrgeist mit einer solchen Gewalt auf die Beine gebracht, dass das sogenannte Zungenreden unter ihnen wie eine Windturbine losrasselte. Meine Abwesenheit benutzend, waren sie alle zusammen in unser Bethaus gekommen. Sie hatten selbst die Leitung übernommen. Die ganze Versammlung war unter dem Eindruck dessen, was da geschah, wie in den Bann geschlagen. Viele waren unschlüssig, zweifelten und wussten nicht, ob es nun recht sei oder nicht. Selbst Weltleute waren hinzugeeilt, um sich die vermeintlichen Wirkungen Gottes anzusehen. Dabei war eine gewisse Furcht über sie gekommen. Gespannt warteten sie auf das Weitere. Denn sehr wohl hatte man verkündigt, dass sei nur der Anfang der Dinge, es würden noch größere geschehen. Es war einfach furchtbar!

Die Stimmung war derart, dass ich selbst von den Geschwistern schief angeschaut wurde, wenn ich ihnen zu verstehen gab, dass das nicht von Gott sei. Ich will es den Geschwistern nicht verdenken, hätte ich doch selber leicht in dieses Wesen hineingeraten können! Aber Gott gab mir rechtzeitig gute, klare anderweitige Weisung. Später sagte mir ein sehr erfahrener Reichsgottesarbeiter, es wäre wirklich als Wunder zu betrachten, wenn ein Unerfahrener unter solchen Umständen nicht unter diesen Einfluss gekommen wäre. Ich vernahm, dass auch in Deutschland seinerzeit treue, aufrichtige Kinder Gottes – ja sogar Leiter von Versammlungen – ernstlich hineingezogen worden waren, bevor sie den Irrgeist als solchen haben erkennen können. Darum danke ich dem Herrn in aller Demut, dass er mir rechtzeitig einen gewissen Panzer verlieh. Aber wie sollte ich nun meinen lieben Geschwister wieder zurechthelfen? Für mich allein wäre das eine zu harte Aufgabe gewesen. Aber der Herr half. Und ich darf vorausschicken, dass dieses Irrwesen bald danach mit Stumpf und Stiel aus unserer Mitte ausgerottet wurde.

Diese Leute hatten für alle Abende Zusammenkünfte anberaumt. Auch für den Abend am Tag meiner Rückkehr. So machte auch ich mich schweren Herzens auf den Weg und ging in „unser“ Bethaus, das aber nicht mehr „unser“ war. O, wie flehte ich zu Gott, dass er mir doch Weisheit geben möchte! Ich durfte ja nicht plump, sondern klüglich drangehen, wie ein David.

Keiner war an jenem Abend mehr ein „Fremdling“ in unserem Bethaus als ich. Die „Zungenleute“ hatten die Führung. Nach ihrer Überzeugung hätte ich auch nicht sprechen dürfen. Schon vorher war unter ihnen gesagt worden: „Wenn wir nur erst den Malzon, den Löwen, haben. Aber der will so schnell nicht.“ Viele unserer Geschwister zitterten, dass ich dagegen reden könnte. Erst ganz zum Schluss wurde mir gestattet, auch etwas zu sagen. Ich hatte in ruhiger Weise darum gebeten. Zuerst wurde es mir verweigert, aber einige von unseren Geschwistern drangen darauf, dass man mich reden lasse.

Ich fing dann an, von dem Vorrecht zu reden, dass wir einen Gott der Liebe haben, der uns auch seinen guten Heiligen Geist gesandt hat. Dieser leitet uns, damit wir erkennen, was gut und was böse ist. Er offenbart uns auch, was er ist und was er nicht ist. Ich schilderte auch, wie er sich in Heiligkeit und in einem heiligen Wandel bekundet. Außerdem schilderte ich, dass der heilige Geist in Menschen, die keinen heiligen Wandel führen, nicht zu wohnen vermag. Dann schloss ich bald. Gott sei Dank! Ich war auf keinen Widerstand gestoßen und doch hatte es ein wenig Klarstellung gebracht. Wenigstens in den Gemütern unserer Geschwister hat es dieses bewirkt.

Gott gab mir in den Sinn, öffentlich in der Versammlung keinen Gegensturm zu entfachen. Und das war gut so. Aber hin und her besuchte ich dann unsere Geschwister in ihren Häusern. Da hatte ich alle Freiheit in persönlichen Unterredungen den Irrgeist bloßzustellen.

Bruder Grimm, einer unserer treuen Brüder, die manchmal schon in der Arbeit mithalfen, sowie auch einige andere Geschwister waren schon am Abend zuvor zur Überzeugung gelangt, dass die ganze Sache ein Betrug sein müsse.

Aufrichtig und nach dem Vollen und Völligsten strebend, hatte sich dieser Bruder auf Anraten dieser Leute überreden lassen, nach der Zungengabe zu streben und zu suchen. Dreist war verkündigt worden, dass wir erst dann die Fülle des heiligen Geistes besäßen, wenn wir die Zungengabe hätten. Aber dann sei man auch tot gegen alle Versuchungen und üblen Gefühle. Die Sünde könne einem dann nichts mehr anhaben. Und man hätte dann freie Hand, ungehindert für Gott und seine Sache zu leben. Wer hätte das nicht gern haben wollen? Zur Erlangung wäre es aber nötig, zu fasten und anhaltend ernstlich zu beten. Erst müsse eine Ohnmacht über den Menschen kommen. Und wenn er in Ohnmacht anfängt in Zungen zu reden, oder – richtiger gesagt – zu plappern, sei es erreicht. Bei vielen hatte sich das an jenen Abenden zugetragen.

Auch der genannte Bruder fastete schon zwei Tage lang. Wegen eines gewissen körperlichen Leidens kam auch schon früher über ihn manchmal eine Ohnmachtsanwandlung. Nach zweitägigem Fasten bekam er während des Betens in der Versammlung eine Ohnmachtsanwandlung und rutschte unter die Bank. Er hatte den Herrn nur um die wahre und echte Erfahrung gebeten. Immer hatte er hinzugefügt, dass er nichts erleben wollte, das nicht von ihm sei. Die ganze Versammlung horchte nun auf. Die Leute waren in der Erwartung, dass jetzt der heilige Geist zu wirken beginne und er die Zungengabe bekäme. Wie bei früheren Ohnmachtsanwandlungen stieß er auch jetzt – schon unter der Bank liegend – einen langgedehnten Laut aus. „Hört, wie der Teufel aus ihm brüllt“, sagte einer der Heiligungsleute in voller Zustimmung der anderen. Unsere Geschwister aber dachten bei sich und sagten auch zueinander: „Wenn Bruder Grimm den Teufel haben soll, dann ist es für uns sehr fraglich. Wir wissen, wie heilig dieser Mann wandelte und welch ein Segen er uns war.“ In manchen hatte das einen starken Zweifel an der Echtheit dieser Sache ausgelöst. Und als man Bruder Grimm dieses nachher erzählte, war es ihm klar, dass die ganze Sache ein Betrug ist. Herzlich froh war er, nichts von diesem Wesen in sein Herz bekommen zu haben. Er wusste und behauptete auch, dass sein Anfall eine ganz natürliche Sache gewesen war.

Eine Schwester aber, die wir alle recht schätzten, war schwerer unter diesen Einfluss geraten. Und sie wollte sich nicht sagen lassen, dass dies nicht von Gott war. Besonders verlockend schien ihr die Anpreisung, nachher gegen die Versuchung tot zu sein! Sie hatte immer so gegen das Aufgeregtsein zu kämpfen. Mit den Kindern gab es mancherlei, und sie wollte gern diese Erfahrung haben, damit sie bei allem ganz ruhig bleiben konnte. So fing sie an, um die Gabe unter Fasten und Beten zu bitten. Man belehrte sie, wie man bitten müsse. Wenn sie sich der Ohnmacht nähere, sollte sie nur Folgendes bitten: „Tauf, tauf, tauf...“, und zwar immer schneller sprechend – je schneller, desto wirksamer. Schließlich befolgte sie es. Ihre Kinnlade bekam dabei einen Krampf. Später erzählte sie, dass ihre Zunge ihr wie ein Stückchen Holz vorgekommen sei, das eben nur auf- und niederklappte. Zuletzt kam nur noch ein lauter, quietschender Ton aus ihr. Und die „Heiligungsleute“ jubelten: „Sie hat es, sie hat es!“ In der Tat hatte sie es – sie hatte die Plapperzunge!

Sie ging nun in großer Freude, ohnehin schon nervös, mit nur um so mehr aufgepeitschten Nerven nach Hause. Aber siehe da, bald fand sie aus, dass sie noch dieselben Versuchungen unter ihren Kindern hatte. Nein, es war noch bedeutend schlimmer! Sie war noch viel mehr gereizt und geriet darüber in nicht geringe Unruhe. Aber sie hatte doch die Zunge, diese musste doch von Gott sein. Noch eine Zeit lang verteidigte sie die Sache und behauptete, dass sie in Zungen rede, wann sie wolle. Aber das Gewissen fing an sich zu regen, Unfriede zog ins Herz. Und als ich sie eines Tages traf, sah sie so voller Unruhe aus, dass es mir ins Herz schnitt. Voller Mitleid fragte ich sie: „Nun, wie geht es dir, warum bist du so bekümmert?“ „O,“ sagte sie, „ich muss wohl betrogen worden sein!“ „Hast du denn nicht mehr Sieg in deiner Seele?“, fragte ich weiter. „Nein, ich bin viel unglücklicher als vorher. Ich weiß, dass ich vorher trotz harter Kämpfe den Sieg behalten konnte. Aber jetzt bin ich schon so oft in die Sünde hineingeraten. Mein Gewissen lässt mich nicht mehr zur Ruhe kommen!“ „Hast du denn die Zunge noch?“, forschte ich weiter. „Ja, damit kann ich reden, wann ich will“, erwiderte sie.

Ich konnte ihr nun deutlich verkündigen, dass der Heilige Geist seine heiligen Gaben keinem sündigen Herzen verleiht, ja, dass dies ein großer Widerspruch sei. Ich konnte ihr das auch aus der Heiligen Schrift zeigen: „Quillt auch aus einem Brunnen süß und bitter? Kann auch, liebe Brüder, ein Feigenbaum Ölbeeren oder ein Weinstock Feigen tragen?“ (Jak. 3:11-12). Und Jesus selbst sagte von dem Heiligen Geist: „... welchen die Welt nicht kann empfangen“ (Joh. 14:17). Mehr und mehr leuchtete es ihr ein, dass die „Zunge“ demnach nicht von Gott sein könne.

Aber das Wirken dieses Geistes war nicht so schnell zu dämpfen, wenn auch vielen nach und nach die Augen aufgingen. Mancherlei Dinge mussten zur Bloßstellung dienen.

Seit geraumer Zeit hatten die Leute das Zungenreden, aber scheinbar fehlte ihnen noch die Gabe der Auslegung. Sie schrieben nach Petersburg. Von dort kam ein Prediger, der sie lehrte, wie sie die Gabe der Auslegung bekämen. Eine besondere Versammlung wurde anberaumt – doch nur für diejenigen, welche die Gabe des „Zungenredens“ hatten. Bruder Barbulla, von dieser Sache als Irrtum bereits überzeugt, begab sich unbemerkt in diese Versammlung. Er wollte auskundschaften, wie ihnen dieser Prediger die Auslegung lehren würde. „Wir haben doch nur einen Heiligen Geist“, sagte dieser Prediger zu den Versammelten. „Wenn ihr in Zungen redet und wenn ich in Zungen rede, ist es doch ein und derselbe Geist. Oder angenommen: Jemand von euch redet in Zungen und ich sollte es auslegen. Glaubt ihr, dass mir der Geist, der euch in Zungen reden lässt, zur Auslegung etwas Falsches sagen würde? Nimmermehr! Was mir im Moment der Geist eingibt, das ist bestimmt richtig. Der Geist wird uns nicht belügen. Das ist die Auslegung. Nur herangegangen! Der Geist hilft euch!“

Von dem Tage an hatten gleich sieben Mann die Gabe der Auslegung. „Auch ich kann auslegen“, sagte Bruder Barbulla, als er zu uns zurückkehrte und uns alles erzählte. „O, was ist das doch für ein Betrug mit der Auslegung! Der zweite Betrug ist ärger als der erste. Was dem Ausleger gerade in den Sinn kommt, das soll er sprechen. Und wenn er die tollsten, unglaublichsten Behauptungen ausspricht.“ So kam es auch vor, dass die Ausleger vier bis fünf Sätze sagten, nachdem der Zungenredner nur einen gesagt hatte.

Die meisten unserer Geschwister standen schon wieder auf unserer Seite. Mittlerweile war es uns auch gelungen, unser Bethaus zu säubern. Die Zungenleute mussten sich ein eigenes Lokal suchen. Ich aber galt bei ihnen als der größte Widersacher Gottes, den das Gericht schon ereilen würde. Schlimme Dinge geschahen unter diesen Leuten. Aber alles musste zur Bloßstellung des Irrtums beitragen. Noch waren ihre Versammlungsbesuche ziemlich umfangreich. Und Leute, von denen man sogar allgemein wusste, dass ihr moralisches Leben nicht einwandfrei war, besaßen nun die „Zungengabe“ oder die Gabe der „Weissagung“. Nach ihrer Lehre wird sogar geglaubt, dass ein Sünder – besser gesagt ein Sünder aus der Welt – auch den Heiligen Geist empfangen kann, das heißt in den Versammlungen von Zungenreden und Weissagung Gebrauch machen darf.

So hatte auch das Dienstmädchen eines bekannten Mannes die „Gabe der Weissagung“. Man kannte sie, man kannte ihr Leben. Eltern hatte sie nicht mehr. Als eines Tages alle „Heiligungsleute“ wieder versammelt waren, außerdem auch viele Leute des Ortes, die sich schon so halb als Anhänger zugesellt hatten, legte sich das Mädchen, wie es in diesen Veranstaltungen schon üblich war, in einem Ohnmachtsanfall wieder auf die Seite. Alles lauschte gespannt, was nun wieder „geweissagt“ würde. Alles beobachtete das Mädchen.

„Assaph!“, rief sie nun den Mann, in dessen Haus sie diente. „Der Geist spricht, du sollst mich als eigene Tochter annehmen und als volle Erbin einsetzen. Und du sollst das jetzt mit einem lauten Ja zusichern!“ Der Mann erschrak. Alles schaute auf ihn, was er jetzt tun würde. Wenn der Geist es sagt, muss man doch gehorchen. Nach einigem Zögern sagte er schließlich mit halblauter Stimme: „Ja!“. „Der Geist spricht, du sollst es lauter beantworten, ganz laut!“, sprach das Mädchen weiter. Zögernd sagte er noch einmal: „Ja!“, und zwar ein wenig lauter. „Du sollst es noch lauter sagen!“, ertönte die Stimme aus dem Munde des Mädchens. Was war zu machen, wenn es der Geist in der Versammlung sagte?

Noch immer lag das Mädchen auf der Seite. In der Versammlung befand sich auch ein junger Mann, der allerseits geschätzt und geachtet war. Dieser war verlobt und die Trauung war schon festgesetzt. Seine Braut und deren Eltern wohnten an einem anderen Ort. „Albert!“, fuhr das Mädchen plötzlich in ihrer Weissagung fort, „Der Geist spricht, du sollst Olga nicht heiraten. Der Mann, den sie bekommen soll, ist noch in der Sünde. Der muss sich erst noch bekehren. Du sollst eine Arme nehmen. Und die Hochzeit soll schon übermorgen in aller Stille stattfinden.“ Diese „Arme“ war aber sie selbst.

Man muss die teuflische Furcht, die große Verwirrung und Verblendung kennen, die dieser schreckliche Geist über eine ganze Versammlung bringen kann, wenn man verstehen will, dass dieser junge Mann unter dem Druck – trotzdem er seine Braut sehr liebte und er auch nicht als charakterschwacher Mann angesehen werden konnte – doch schließlich in dieser Versammlung Ja sagte. Er gab sogar zu, dass am übernächsten Tage die Hochzeit stattfinden sollte. Es herrschte allgemein die Überzeugung, dass dem „Geist“ unter allen Umständen Gehorsam geleistet werden musste, wenn man sich nicht gegen Gott versündigen wollte. Die Braut dieses jungen Mannes und deren Eltern sind vor Gram fast vergangen und hätten sich in die Erde verkriechen mögen. Sind das nicht schreckliche Dinge, die der Teufel durch diesen Irrgeist mit vorher völlig vernünftigen Menschen anstellen konnte? Die Folge war, dass der junge Mann nach der Ernüchterung alles daransetzte, um von dieser Frau wieder loszukommen.

„Weissagung“ war nun etwas Häufiges in ihrer Versammlung. Aber manche eigene Bloßstellung des Irrgeistes schmälerte die Versammlung mehr und mehr. Eines Tages weissagte der „Geist“, dass Mutter soundso, die ich selbst gut kannte, in N. gestorben sei. Es seien schon Boten nach hier unterwegs, um die Beerdigung zu bestellen. Das erregte großes Aufsehen und viele dachten: „O, wenn das so ist, dann ist das doch eine große Kundgebung des Geistes!“ Man wartete und einige sagten, dass man sich auf eine Aussage allein nicht stützen sollte. Haben aber mehrere die gleiche Weissagung, dann muss es wahr sein. Tatsächlich, noch einige weissagten in dieser Stunde dasselbe. Da die Boten aber gar nicht eintreffen wollten, bekamen die Führenden doch Zweifel und schickten ein Telegramm nach dem Ort. Sie sollten das Ableben mit einem Boten beglaubigen. Aber dort wusste man vom Tod dieser Frau nichts. Auf das Telegramm hin kamen dann auch Boten. Doch die Einwohner im Ort wussten von keinem Todesfall. Sie wussten überhaupt nicht, worum es sich handelte. Als ich dann nach drei Tagen selbst in den Ort reisen musste, sah ich das betreffende Mütterchen mit einem Korb am Arm übers Feld gehen. Ich ging auf sie zu und sagte: „Na, Mutter ..., in H. ist man schon dabei, dich zu beerdigen, und hier läufst du noch mit einem Korb am Arm herum!“

Diese verfehlte Weissagung versetzte der Sache einen derben Schlag. Noch viele ähnliche Sachen sind dann geschehen, haarsträubende und lächerliche Dinge. Unter anderem weissagte einer, dass ich noch ihr ältester Apostel würde. Als mir das erzählt wurde, sagte ich, dass ich eine andere Weissagung hätte. Neugierig fragten sie mich, was das denn für eine sei. – „Dass ihr euch bald in zwei oder drei Teile spalten werdet“, gab ich zur Antwort. Es dauerte auch kaum ein Jahr, da hatten sie sich gespalten. Beide Teile weissagten gegeneinander in dem Sinne, dass immer der andere Teil vom Teufel sei. Tatsache ist, dass dieser Geist ein Spaltungsgeist ist. Viele Leute könnten das bezeugen. Es waren gerade die Männer, die schon vorher immer gewühlt hatten, immer auf etwas Neues aus waren. Diese hatten sich von den anderen getrennt und brüteten aufs Neue unter sich ihre Basiliskeneier.

Bald nachdem unsere Geschwister klar erkannt hatten, dass diese Sache nicht göttlich war, konnte ich unter vielem Volk, das herbeigekommen war, ungehindert eine Predigt über die Früchte des Geistes halten. Ich betonte, dass die „Zunge“ nicht die Frucht des Geistes sei, wie es von den „Zungen“-Anhängern behauptet wurde. Sie hatten weder Friede noch Freude im Heiligen Geist und die Streitigkeiten unter ihnen wollten kein Ende nehmen. Um die „Zunge“ macht man ein großes Geschrei. Wenn auch Hunderte zusammen waren, schrien sie alle zugleich, um die „Zunge“ oder den Heiligen Geist zu bekommen, wie sie es behaupteten. Aber in der Apostelgeschichte 2 lesen wir, dass die Gläubigen in „einmütigem“ Gebet warteten. Der Heilige Geist kam wie ein Brausen vom Himmel, während diese Leute hier ein aufreizendes Geschrei verursachten, um angeblich den Heiligen Geist zu bekommen. Der Herr half mir durch sein Wort die Lieblichkeit der Früchte des Geistes darzulegen und den Unterschied zwischen dem echten Geist von Gott und dem unechten zu schildern. Ich bin Gott von Herzen dankbar, dass er geholfen hat, unsere Geschwister völlig von diesem schrecklichen Irrtum zu befreien. Für mich ist es ein großes Vorrecht, dass Gott mir rechtzeitig die Augen dafür öffnete.

Eine Begegnung in Odessa hatte noch dazu beigetragen, mich für den Sturm in Horschtschik vorzubereiten. Wie bereits erwähnt, musste ich mich gleich nach der Tschernjachower Versammlung auf die Reise nach dem Süden begeben, um an der Bezirksversammlung bei Odessa teilnehmen zu können. Reicher Segen flutete über die Zusammengekommenen. Bald mussten Vorbereitungen für die Taufe getroffen werden. Einige Geschwister kamen zu mir und sagten, dass auch ein Mann von der „Heiligungsbewegung“ sich taufen lassen will. Ich machte mir Gedanken, warum der Mann sich nicht bei seinen Leuten taufen lässt, sondern zu uns kommt. Ich interessierte mich sehr, Näheres darüber von ihm zu erfahren. Meine Gedanken weilten oft daheim und erfüllten mich dabei mit einer großen Bangigkeit. In Gegenwart einiger Prediger und Mitarbeiter ließ ich mir von diesem Mann, der darauf bestand getauft zu werden, seine Bekehrung erzählen.

So fing er an und erzählte: „In unser Dorf Antonowka kam eine Frau aus Odessa. Diese fing erst an zu beten, dann zu schreien. Dann brachte sie solch eine Bewegung unter die Menschen, dass fast das ganze Dorf zusammenlief. Wer nicht kam, wurde von den anderen hinzugerufen. Die Leute bekamen die „Zungensprache“. Zungensprache kann ich es eigentlich nicht nennen und „Plappersprache“ will ich es auch noch nicht nennen“.

Es gelang mir dann, eine Frage zwischenzuwerfen, auf welche Weise sie denn diese Sprache bekommen hätten. „Manche haben nur ein bis zwei Tage gefastet,“ sagte er, „andere drei, fünf und auch acht Tage. Ich selbst habe innerhalb zweier Wochen nur zweimal in der Nacht ein wenig gegessen. Von Natur bin ich halt ein sehr starker Mann. Und jeder muss doch so lange fasten, bis er ohnmächtig wird und umfällt. Im ganzen Dorf blieb fast keiner, der nicht die „Zunge“ bekam. Ja, und im nächsten Dorf bekamen die Leute auch die Zunge“.

„Und was ist mit den Leuten jetzt?“, fragten wir interessiert. „Nun, ich will erzählen, wie es weiter gegangen ist“, gab er zur Antwort. „Eines Tages kamen ein paar Männer von auswärts in die Versammlung, die der Sache auf den Grund gehen wollten. Sie setzten sich ziemlich hinten hin. Und als die Frau, die sich so sehr durch „Zungenreden“ auszeichnete, wieder weissagte, – was sie oft tat – sagte sie unter anderem: „Alle, die heute hier in der Versammlung sind, haben die „Zunge“ und alle sind Brüder und Schwestern.“ Da stand einer der Männer auf und sagte, dass das nicht wahr sei und fragte zugleich, in welcher Sprache sie spreche, wenn sie in „Zungen“ rede. „In Deutsch“, sagte sie dann auf russisch. Es waren nur Russen anwesend, keiner konnte Deutsch. Nun standen die Männer auf und holten einen Menschen herbei, von dem sie wussten, dass er längere Zeit in Deutschland gewesen war. Sie hatten ihn gebeten mitzukommen, um festzustellen, ob er etwas verstehen könne. Dieser Mann konnte aber kein Wort verstehen. Zur Bestürzung der anderen riefen die Männer nun dazwischen: „Das ist Betrug, die Behauptung dieser Frau ist nicht wahr. Das ist nicht Deutsch. Dieser Mann hier hat während seines langen Aufenthaltes in Deutschland die deutsche Sprache gut gelernt. Und er kann kein Wort verstehen. Die Zungenfrau erwiderte dann, dass das kein richtiger Deutscher wäre, er sei nicht in Deutschland geboren und da kann es sein, dass er die Sprache nicht verstehen könne.

Die Männer aber hatten sich fest vorgenommen, den Betrug aufzuklären und bloßzustellen. Sie wussten, dass in der Nähe ein deutscher Kriegsgefangener wohnte. Zu diesem gingen sie und verabredeten mit ihm, dass er zur nächsten Zusammenkunft mitkommen würde. Gesagt, getan. Er kam hin, die Frau redete wieder ihr angebliches Deutsch. Die Männer fragten nun den Deutschen, ob er etwas verstanden habe. „Kein Wort!“, erwiderte er, „Kein Gedanke daran, dass das Deutsch ist.“ Nun standen die Männer auf und sagten wieder: „Die Sache ist doch ein Betrug! Wir haben hier einen echten Deutschen. Der ist in Deutschland geboren und hat 20 Jahre dort gelebt. Er kann auch kein Wort verstehen.“ Und zu den Versammelten gewandt: „Ihr seid betrogen, was hört ihr noch weiter zu! Für solch ein Christentum bedanken wir uns.“ Dieses bewirkte ein nicht geringes Durcheinander und hiernach verfiel die ganze Sache sehr schnell.“

Wir fragten den Mann dann, ob er die Zunge noch habe, und er antwortete: „Ich kann sie zwar noch sprechen, wenn ich will. Aber weil die dortige gottlose Jugend diese „Zunge“ sogar in Kinos und bei ihren sonstigen Vergnügungen gebraucht, schäme ich mich und einige mit mir, jetzt noch in der „Zunge“ zu sprechen. Es sind überhaupt nur vier Männer geblieben. Einer ist zu den Baptisten gegangen. Ich selbst habe von der Gemeinde Gottes gehört und bin hierher zu dieser Versammlung gekommen. Und die anderen zwei warten zu Hause auf die Nachricht, die ich ihnen bringen werde.“ Das zu hören, war uns sehr wichtig. Wir konnten daraus manches lernen.