Von K. K. Meier, USA

Den 7. Juli 1939

Mit großer Freude erhielt ich gestern deinen mir sehr werten Brief. Ich habe daraus, wie auch aus dem „Wächter“, viel Nützliches für mich bekommen. Möge der Allmächtige das Zusammenstellen und die Herausgabe des kleinen Buches von der letzten Reformation in Russland nach seinem Willen und Plan leiten. Ich glaube, dass die Nachkommen einen großen Nutzen davon bekommen werden. Auch ich will hiermit das, was ich von den Anfängen der Gemeinde Gottes in unserer Wolgagegend weiß, mitteilen.

Die ersten zwei Brüder waren Ferdinand Schwieger und Heinrich Schuber. Sie kamen beide im Dezember 1908, kurz vor Weihnachten, nach Straßburg, einer großen deutschen Kolonie. Weil es bald an größeren Räumen fehlte, wurden die Versammlungen im Sommer in den Scheunen und im Winter trotz Schneestürmen und Kälte öfter im Freien bei Schnee und Mondlicht abgehalten. Für etliche Abende luden uns die Baptisten in ihre Kirche ein. Der Hauptgedanke der Predigten war die Befreiung von aller Sünde. Diese Botschaft schlug durch. Mein Vater war der erste, dem der Herr wahre Buße schenkte. Dieses war für Straßburg und die Umgebung wie ein Donnerschlag. Denn Vater war durch seine 17-jährige Tätigkeit als Posaunenchor- und Gesangsleiter gut bekannt. Und die innere Erfahrung mit Gott gab ihm Kraft, seinen Nebenmenschen ein gutes Vorbild zu sein.

Die Lehre der Gemeinde Gottes wuchs und machte in den Nachbarskolonien und in Straßburg selbst einen gesunden Anfang. Etwa ein Jahr später fuhren meine Eltern nach Wolhynien zu der großen Versammlung bei Bruder Hinz. Dort wurden sie mit Bruder Otto Doebert bekannt. Dieser kam dann im nächsten Frühjahr nach Straßburg. Da ließen sich 65 gläubige Geschwister von ihm taufen. Für meinen Vater gab es so manche Leidensproben zu bestehen und zu erdulden. Er blieb aber seinem Herrn und Heiland treu. Weil er der russischen Sprache mächtig war, wurde er bald zu den russischen Molokanern (Milchtrinker) hinter den kleinen Fluss Dargun gerufen, um unter ihnen zu wirken.

In Krasny-Kut entstand auch bald eine deutsche Gemeinde. Wie ein Lauffeuer durchströmte das Wort und die Wahrheit die Umgebung. Gleich darauf hatten wir in unserem Dorf eine wunderbare Gebetserhörung. Nach der Einberufung der Rekruten, unter denen auch mein Bruder war, entkamen jemandem bei dem Zusammensein 25 Rubel. Alle Mühe der Polizei, den Dieb herauszufinden, war vergebens. Mein Vater ließ die 15 Mann, die in Verdacht standen, in unser Haus kommen. Der Hof war mit vielen Neugierigen vollgestopft. Nach einer kurzen Ermahnung wurden alle aufgefordert, ihre Knie zu beugen. Die Gläubigen riefen ernst zu Gott und der Herr ließ es durch den Geist sehen, wer es war. Unauffällig wurde dem Dieb von den Brüdern befohlen, das entwendete Geld innerhalb 12 Stunden zurückzugeben. Und das wurde auch wirklich ausgeführt. Über alle, die davon erfuhren, kam eine Gottesfurcht. Auch dieses Wunder half mit zum Aufbau der großen Sache des Herrn in Straßburg und der Umgebung.

Nachdem mein Vater Konrad Meier heimgegangen war, fing ich in meiner Schwachheit an, Schriften und Bibeln im Wolgagebiet zu verbreiten. Eine behördliche Erlaubnis dazu hatte ich mir besorgt. Und so hängte ich mir bis 50 Pfund Schriften um und lief damit herum in den bis 25 Kilometer voneinander entfernt gelegenen Kolonien bei Sonnenschein, Schneesturm oder großer Kälte. Und der Herr segnete meine Arbeit mit gutem Erfolg. Unsere Wolgadeutschen führten unter der Zarenregierung ein ruhiges Leben, das vom Geldgeist los war. Geldkönige gab es unter unseren Kolonisten nur sehr wenige. Die Kolonie lag in der Mitte von einer Fläche von 20 bis 40 Quadratkilometern. Das Land wurde in vier Teile geteilt und abwechselnd für Heuschlag, Ackerbau, Viehweide und als Ruheland benutzt. Jeder versorgte sich mit eigenem Weizen, Korn, Fleisch, Leder für Schuhe und mit Wolle. Mit Geld hatte man wenig zu tun, daher das ruhige und vergnügte Sozialleben. Im religiösen Leben herrschte daher ein sehr langsamer Fortschritt. Der alte falsche Satz: „Kraft meines Amtes erlasse ich euch alle eure Sünden“ wiegte die Leute in einen sanften religiösen Schlummer ein.

1910 kam zum zweitenmal Bruder Doebert für mehrere Wochen nach Straßburg. Wir hielten auch das Mahl des neuen Testamentes, an dem etwa 70 Personen teilnahmen. Mit ihm kam auch Bruder Paul Müller, der in Straßburg und Umgebung die Gemeindearbeit übernahm.

1912 wanderte ich nach Südamerika aus und befinde mich jetzt in USA. Ich bin der K. Meier, der für dich von 1910 bis 1912 an der Wolga (Russland) Schriften verkauft hat. Deine Adresse bekam ich von John Crose aus Syrien, den ich hier auf einer Predigerkonferenz im Staate California traf.