Die Notzeit

Weil die Deutschen aus den Grenzgebieten vertrieben und zerstreut wurden (größtenteils in den Jahren 1934-1935), wurden unsere Gemeinden in Wolhynien überwiegend zerstört. Von manchen bekamen wir nur noch die Nachricht, dass sie sich in Sibirien und in manchen anderen Gegenden Russlands zusammengefunden haben. Dort scharten sie sich, wie die verjagten Vögel, wieder zusammen und beten ihren Gott an. Etliche aus der Gemeinde in Natalien befinden sich, so weit wir wissen, im großen Urwald bei Murmansk. Dort leben sie in der Nähe eines großen Kanals. Andere sind auch in Sibirien gelandet.

Wir versuchten von hier aus auf alle möglichen Arten zu helfen: trösteten die Geschwister durch Briefe und sandten ihnen in ihren großen Nöten Liebesgaben und Geld. Viele schrieben uns dann, dass Gott uns hierher schickte, damit wir so manchem in der großen Not und Elend Hilfe leisten konnten. Dieses war auch der eine Weg, den wir als Hilfe zur Erhaltung unserer Gemeinde sahen. Und unser große Gott hat auch dadurch so manches tun können. Es entstand bald ein Hilfswerk. Verwandte konnten ihren Verwandten helfen. Wir taten, was wir konnten. Die Geschwister wurden durch die Hilfe wieder ermutigt und schlossen sich fester zusammen. Sie hatten das Bewusstsein, dass sie Geschwister im Ausland haben, die in Wort und Tat hinter ihnen stehen. In den Briefen schrieben sie, wie schon erwähnt, dass Gott uns hierher schickte, damit wir manchem in seiner Not und Elend vom Hungertod und vor dem Erfrieren retten konnten. Wie Josef von seinen Eltern und Brüder fort musste, um ihnen nachher helfen zu können, so hätte der Herr auch uns geführt. Gott hätte da von vornherein seine weisen Absichten gehabt.

Die Lieben, die durch mancherlei Not und Elend gehen, haben sich sicher in ihrem Herzen mehr Vorrat gesammelt, als sie sich in guten Zeiten haben anlegen können. In den Trübsalstagen speichert man mehr „Vorrat“ als in Zeiten, wo man die Gottesdienste besuchen und erbauliche Gemeinschaft haben kann. Von vielen wissen wir, dass sie sich nun soviel „Reserve“ für ihre Seele gesammelt haben, dass sie auch in den Kämpfen und in dem schweren Leid, dass sie durchzumachen haben, treulich ausharren und fest an Gott halten können.

Wenn nun auch all die Lieben, – ich denke besonders an die Gläubigen, die in fast alle Teile Russlands in unsagbarem Leid verstreut worden sind, – ihr Dasein kärglich fristen müssen, werden sie dadurch doch fester an Gott gebunden. Wir dürfen nicht denken, dass sie in ihrem Glauben matt geworden sind. Keineswegs hat die lange, schreckliche Notzeit nun die Gemeinde Gottes in Russland gänzlich zerstört. Auch war die viele Arbeit, die die Boten für den Herrn getan haben, nicht vergebens. Im Gegenteil, der ausgestreute Same ist aufgegangen und gewachsen. Er wächst immer weiter und bringt Ewigkeitsfrucht hervor. Erst in der Ewigkeit wird offenbar werden, wieviel und wo die Arbeit Früchte gebracht hat.

Wir sind der festen Überzeugung, dass Gott, wie er es verheißen hat, seine Kinder nie verlässt. Und auch dass die Gemeinde Gottes in Russland, wenn der Herr dort wieder eine Wendung schenkt, recht bald wieder blühen und gedeihen wird. Wir glauben, dass wir mit den Kindern Gottes, die durch die vielerlei Nöte und Schwierigkeiten geläutert worden sind, wieder den Herrn loben und preisen werden können!