Das Werk in Wolhynien nach dem Krieg

Als wir am ersten November 1921 wieder zurück nach Wolhynien kamen, fanden wir in dem Ort, in dem wir uns niederließen, niemand von unseren Geschwistern. Dort war keine Versammlung, auch die lutherische Kirche war vernichtet. Nur die Baptistenkapelle konnte nach wenigen Reparaturen zu Gottesdiensten benutzt werden.

Von den spärlich und nur einzeln zurückgekommenen Deutschen wurde uns dann die Kapelle zur Verfügung gestellt und ich wurde ermutigt, darin Gottesdienste zu halten. Wir hatten gesegnete Stunden. Es bekehrten sich auch eine Anzahl von den zerstreut Gewesenen. Wir waren alle froh, dass wir wieder in unsere Heimat zurückkehren konnten.

Unter den damaligen Umständen – es herrschte auch großer Hunger – war die Arbeit für den Herrn mit manchen Schwierigkeiten verbunden. Aber es machte sich, wie wir es bis dahin noch nicht gekannt hatten, ein Hunger nach dem Worte Gottes bemerkbar. Die Arbeit für Gott war auch sehr verschiedenartig. Manche waren in der Zeit der Schreckensjahre unter fremden Völkern gewesen. Sie kamen nun mit Familie und Kindern zurück, ohne dass sie getraut worden waren. So gab es unter anderem auch nachträgliche Trauungen. Wieder andere, die gläubig wurden, ließen nach. Der Herr lenkte ihre Augen auf ihre Verfehlungen. Und so kam ein jeder mit seinen Lasten zum Herrn. Es kam vor, dass wir den Betsaal oft bis zu einem halben Tag lang nicht verlassen konnten, und an manchen Tagen fast gar nicht. Zwischendurch hatten wir noch Hausbesuche zu machen. Der Herr segnete sein Wort und die Menschen bekehrten sich zu Gott. Darunter waren auch solche, die bis dahin von dem Besuch eines Gottesdienstes nichts wissen wollten und abgeneigt waren.

Zu unserem großen Erstaunen hatten sich auch unbekehrte Leute in dem Ort geäußert, dass sie uns nicht fortließen, auch wenn sie uns unterstützen müssten. Der Same, der dort vor dem Krieg ausgestreut worden war, hatte während des Krieges und besonders danach seine Wurzeln geschlagen. Menschen, die vor dem Krieg unsere Feinde zu sein schienen, riefen uns jetzt öfter an ihr Krankenbett und wünschten von uns, dass wir für sie ein „gerechtes Gebet“ sprechen möchten, damit sie selig sterben könnten. Andere verlangten von uns auf ihrem Sterbebett das Abendmahl. Auch bemühten sich Verwandte, dass wir ihre Angehörigen trauen oder beerdigen sollten. Sie nahmen an all diesen Gegebenheiten herzlich teil.

In dieser Kapelle versammelten sich oft 300 bis 400 Menschen. Nachdem wir wieder einmal eine dreiwöchentliche Versammlung gehabt hatten, in der sich Seelen aufmachten und den Herrn suchten, sprachen uns die Diakone, die inzwischen zurückgekommen waren, an. Sie wollten uns vier Hektar Land geben. Wir sollten darauf neben der Kapelle uns ein Haus bauen. Wir wollten aber ihre Hoffnung, uns für ihre Gemeinschaft gewinnen zu können, nicht stärken. Ich gab ihnen zu verstehen, dass ich mich vom Herrn beauftragt fühle, sein großes geistliches Haus bauen zu helfen. Zuerst müsste dieses zustande kommen.

Obwohl sich auf diesem Ort so manche freundschaftliche Verbindung angebahnt hatte, fühlten wir es als die Weisung Gottes, doch nicht dort zu bleiben. Bei uns machte sich immer wieder ein großes Sehnen bemerkbar, mit unseren Geschwistern zusammen zu kommen, die wir vor dem Krieg kannten.

Ich ging los, von einem Ort zum andern, durch manche zerstörte Dörfer und jetzt wüste Gegenden. So ging ich mehr als 100 Kilometer und suchte nach unseren Geschwistern. In vielen Häusern, in denen früher Geschwister wohnten und auch Versammlungen stattgefunden hatten, fand ich Menschen anderer Nationen oder traf nur zerstörte Häuser und Dörfer an. Aus einem Haus, auf das ich mit Freuden zueilte, in der Hoffnung, doch dort Geschwister anzutreffen, stürmte mir beim Öffnen der Türe eine Herde Schweine unter lautem Grunzen und Fauchen entgegen. Ein anderes Haus hatten die Galizianer, die während der Abwesenheit der Deutschen dort hausten, ganz mit Flachs vollgestopft.

Auf meiner Suche weiterwandernd, kam ich in die deutsche Kolonie Horschtschik. O wie groß war die Freude, als ich hier eine Anzahl Geschwister antraf, mit denen wir unsere Knie gemeinsam vor dem Allmächtigen beugen konnten! Wir haben ihm dann für seine wunderbare Führung und Hilfe beim Wiederfinden und für die Hilfe in den schweren Jahren der Verbannung gedankt. Von Herzen konnten wir so für alles Erlebte Gott die Ehre geben. Als die Geschwister uns nötigten, nach Horschtschik überzusiedeln, waren wir uns bewußt, das dies der Wille des Höchsten sei. Ohne lange zu zögern, zogen wir im April 1922 dort hin. Im Geiste sahen wir, dass uns hier eine große Arbeit bevorstand.