Natalien

Als wir im Herbst 1922 in Horschtschik eine größere Versammlung anberaumten, zu der wir auch all die zerstreuten und zurückgekehrten Geschwister in Wolhynien einluden, kam auch aus der deutschen Kolonie Nataliendorf bei Nowograd-Wolynsk (Swel) ein junger Mann als Kundschafter. In den Kolonien dort hatten sich verschiedene Gläubige, die aus der Kirche ausgetreten waren, zu einer Konferenz getroffen. Sie wollten sich organisieren oder eine Gemeinde gründen, die mit der Schrift übereinstimmte. Als sie sich wegen der Gründung und Benennung der Gemeinde hin und her aussprachen, sagten die Brüder Arndt und Jünke aus Raditsch, dass nach ihrer Meinung und Überzeugung die wahre Gemeinde von Christus gegründet worden ist. Denn Jesus sagte: „Auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen...“ (Mt. 16:18).

Durch dieses Gespräch kam dann dem Bruder Jünke in den Sinn, dass er gehört habe, dass in Horschtschik eine Gemeinde sei, deren Lehre mit der Schrift übereinstimmt und die sich Gemeinde Gottes nennt. Daraufhin wurden sie schlüssig, den jungen Bruder Krause, den sie sicherheitshalber schon auf mehrere Orte geschickt hatten, auch nach Horschtschik zu schicken. Nachdem Bruder Krause alles für recht befunden hatte, nahm er gleich an den Verordnungen teil, ließ sich taufen und lud uns im Auftrag der dortigen Gläubigen in ihre Gegend ein.

Kurz darauf fuhren Bruder Alexander Grimm und ich mit seinem Fuhrwerk dorthin. Wir kehrten in der Kolonie Raditsch bei Geschwister Arndt ein. Diese hatten eine Anzahl Leute zu einer Versammlung in ihr geräumiges Haus eingeladen. Die Kunde von unserem Kommen verbreitete sich in einer kurzen Zeit sehr schnell und rief allgemeine Neugierde hervor.

Die Adventisten hatten dort schon viel gewirkt und glaubten, dass sie in all diesen Orten etwas Fuß gefasst haben. Nun waren sie auf der Hut und wollten uns auf jede Art und Weise den Weg versperren. Weil wir bis zur Abendversammlung noch Zeit hatten, fuhren wir in die zehn Kilometer entfernte Kolonie Neu-Grüntal. Da hatten schon vor dem Krieg unsere Geschwister gewohnt.

Die Adventisten, in der Meinung, dass wir unsere erste Versammlung eventuell dorthin verlegen würden, kamen uns dahin nach. Als wir dann aber zur Versammlung wieder zurück nach Raditsch fuhren, kamen sie auch wieder zurück. Sie wollten uns doch gleich in der ersten Versammlung einen Riegel vorschieben.

Und in der Tat war diese Versammlung für die ganze Gegend die entscheidende. Vertreter vieler Gemeinschaften und überhaupt eine Menge Leute waren anwesend. Doch der Herr half, dass die Menschen nachher durch die mancherlei Fragen und Antworten von der Wahrheit des lebendigen Gottes überzeugt wurden. So konnten sie durch all die Wirren der Lehren den rechten Weg und den Willen Gottes erkennen.

Der Herr hatte alles so wohl geführt. Die Leute dort standen so für sich allein; nichts war hier zeitgemäßer, als die Botschaft von der Lehre der wahren Gemeinde Gottes. Wir spürten und sahen, dass der liebe Gott die Leitung dieser Versammlung selbst in der Hand hatte. Auch während der Diskussion nach der Versammlung, die von der Seite der Gemeinschaftsvertreter immer wieder geschürt wurde, hat der Herr selbst die Antworten so trefflich gegeben. Wie im Flug hatte ich dadurch die Zustimmung beinahe aller Anwesenden. Ich merkte, dass der Herr durch diese einfache Worte Lichtstrahlen in die Herzen der Hörer warf, so dass die Mehrzahl von dem inneren Wesen der Gemeinde Gottes überzeugt wurde. Dieses war auch der Schlüssel für die ganze Gegend, für den Eingang der Gemeinde Gottes dort.

Als ich dann am nächsten Tag nach Natalien kam, forderte man mich auf, von allen biblischen Verordnungen: Taufe, Abendmahl und Fußwaschung ganz offen zu sprechen. Dieses war bis dahin allen Rednern untersagt worden. Ohne dass ich von der Taufe gepredigt hatte, drangen die Geschwister in dem Ort darauf. Und wir hatten, obwohl es schon kalt war, in dem Herbst noch zweimal Taufe…

Als im Frühjahr 1923 zum dritten Mal Taufe stattfinden sollte, erließ der Küster der lutherischen Kirche, der damals schon unseren Gesang einübte, durch ein Rundschreiben eine große Bekanntmachung. Er lud die Leute zu diesen Gottesdiensten ein. Sehr viele dieser Kirchenleute, die noch nie Versammlungen der Gläubigen besucht hatten, strömten mit den anderen zu unseren Gottesdiensten. In Gegenwart aller wurden dann die Verordnungen gefeiert. Zwanzig Geschwister folgten freudig dem Herrn ins Wassergrab der Taufe. In besonderer Weise bekannte sich der Herr zu uns, als die Täuflinge am Ufer standen. Viele Augen füllten sich mit Tränen, als ich vor ihnen sagen konnte: „Diese kleine Herde steht hier zum Zeugnis für die ganze Gegend!“

Auch die Fußwaschung und das Abendmahl hielten wir in Bruder Reskes großer Scheune inmitten Hunderten, die es zum ersten Mal sahen. Das Wort: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ gab den Geschwistern Kraft, diese Gebote mit großer Freudigkeit zu befolgen. Dem Herrn sei Dank für das Wirken seines Geistes, mit dem er die geredeten schlichte Worte begleitete. Es schien, als habe diese Feier ganz besonders in den Herzen der Bevölkerung gewirkt. So fing der Herr an, sein Werk in dieser Gegend zu bauen und er tat es auch weiterhin mit mächtiger Hand. An jedem ersten Sonntag im Monat hatten wir dann größere Versammlungen, und in den Sommermonaten auch jedes Mal Taufe.

Ein etwa siebzigjähriger Mann, der nur die Baptistengemeinde für die richtige hielt, träumte eines Nachts, dass er gestorben und in den Himmel gekommen war. Dort sah er eine Anzahl Sänger zusammensitzen und geistliche Lieder singen. Er ging auf sie zu und fragte, ob sie auch zur Baptistengemeinde gehörten. Sie gaben zur Antwort, dass sie zu den Kindern Gottes gehören. Ein Stück weiter traf er wieder solche Häuflein, die zusammensaßen. Auf seine Frage, wer sie seien, antworteten auch sie, dass sie Kinder Gottes seien. Darauf wachte er betrübt auf. Bald darauf hörte er, dass seine Kinder in Natalien sich bekehrt hätten. Als er sie dann besuchte und nachfragte, hörte er, dass sie zu den Kindern Gottes gehörten. Darauf sagte er, dass sie den richtigen Standpunkt haben und nicht fehlgehen werden. Denn nur Kinder Gottes werden im Himmel sein... Auch dieses diente zum Aufbau der Gemeinde.