Begegnung mit Gliedern der Gemeinde

Ich hatte als Kind einmal beim Vorübergehen gehört, wie meine Schwester meiner Mutter erzählte, dass es Leute gäbe, die glauben, ein heiliges Leben führen zu können. Diese ihre Worte gingen mir damals sehr zu Herzen und in mir erwachte ein Verlangen, mit solchen Leuten zusammenzukommen und selbst ein solches Leben zu führen.

Als dann das Verlangen nach der äußeren Gemeinschaft mit solchen Menschen aufs höchste gestiegen war, hatte ich eines Nachts eine Erscheinung im Traum, darin ich nach Westpreußen gerufen wurde. Der Ruf in dieser Erscheinung wurde mir so klar und deutlich, dass ich ihm nicht mehr ausweichen konnte. Und der Herr führte mich wunderbare Wege.

Ich sah mich mit unserem ältesten Prediger auf einer Missionsreise. Als ich an einem Ort ankam, klagten die Leute, dass sie für mich weder Essen noch Obdach hätten. Dieses schien mir aber doch ganz unglaublich. Ehe ich in den angrenzenden Raum zum Nachmittagsgottesdienst ging, kam eine alte, mir gut bekannte Schwester aus Westpreußen. Ich hatte sie kennengelernt, als ich ein Jahr in Christfelde/Weichsel war. Diese nahm meine Hand in ihre beiden hageren Hände, rief meinen Namen aus und sagte: „Komm zu uns!“ Sie schilderte mir, dass hier bei diesen abgefallenen Leuten nicht mein Platz wäre. Ich ging dann mit dieser Schwester aus dem Haus heraus und wir gingen auf einem wunderschönen, gebahnten Weg, der beiderseits mit Linden bepflanzt war. Dabei erzählte sie mir, dass sie daheim solche freudige Stunden erlebt hätten, und führte mich weiter an der Hand.

Da erwachte ich und sah, dass es ein Traum war. Mir ließ es nun keine Ruhe mehr. Der Klang ihrer freudigen Stimme schallte immer wieder in meinen Ohren. Schließlich reiste ich auch wirklich nach ein paar Tagen nach Polen in Richtung Westpreußen. Dort an der Grenze kehrte ich bei einem mir bekannten Prediger ein. Während des Gesprächs fragte ich ihn auch nach diesen Leuten. Er riet mir aber, nicht dorthin zu fahren. „Die Leute sind auf einen Nebenweg geraten,“ sagte er, „sie lehren sogar, ein heiliges Leben führen zu können.“ Ich zog meine Bibel aus der Tasche und sagte, dass wir doch hingehen und ihnen zurechthelfen wollen. Er wollte aber nicht und sagte, dass er schon zweimal vergebens dagewesen wäre. Er warnte mich wiederholt, nicht dahin zu gehen und beauftragte mich, in seinem Arbeitskreis eine Gemeinde zu besuchen, die mir von früher bekannt war. Als ich dabei zu der Familie Hoffmann kam und sie nach den Geschwistern in Christfelde fragte, rieten sie mir, doch einmal hinzufahren.

Während ich noch da war, kam Bruder W., der Schwiegersohn von der Schwester, die mich im Traum gerufen hatte, von Wolhynien von der ersten großen Erweckungsversammlung bei Geschwister Hinz. Er erzählte, dass Brüder Karl Arbeiter, Otto Doebert und Schwieger dagewesen wären. Bruder W. hatte früher an diesem Ort gewohnt. Als ich vor einem Jahr da war, siedelte er gerade nach Westpreußen um. Er half mir damals zu einem Grenzpass. Jetzt war ich  glücklich, dass er gerade wieder kam. Ich glaubte, er würde mir wieder einen Grenzpass verschaffen. Als ich ihn aber darum bat, sagte er: „Nein, mein Bruder! Wir haben jetzt die Lehre der Gemeinde Gottes. Für so etwas wie jenes Mal könnten wir beide Buße tun!“ Nun stand ich da. Er hatte mir noch gesagt, dass ich selber sehen sollte, wie ich auf legalem Weg einen Pass bekäme. Wenn ich bis übermorgen um zehn Uhr fertig wäre, könnte ich noch mit ihm zusammen fahren.

Ich wusste erst nicht recht, was ich anfangen sollte. Denn mir war klar: Wenn ich mir solch einen Pass auf dem legalen Weg beschaffen wollte, müsste ich mindestens ein bis zwei Monate Zeit dazu haben. Schließlich bekam ich doch eine innere Freudigkeit, denn durch meinem Traum war ich mir des Willens Gottes zu dieser meiner Westpreußenreise fast sicher. Ich bat Gott ernstlich und vertraute ihm, dass wenn es sein Wille ist, dass ich dorthin kommen sollte, er auch irgendwie eingreifen würde. Und ich entschloss mich, zur „Gmina“ (polnische Behörde) zu gehen. 

Dort angekommen, ging ich zum Schreiber und bat ihn, mir einen Grenzpass auszustellen. Zu meinem großen Erstaunen fragte dieser nur nach meinem Namen und anderen nötigen Personalien und stellte mir dann ohne Weiteres einen achtmonatigen Grenzpass aus. Ich wusste nicht, wie mir geschah! Er trug ihn noch selbst zum Vorsteher, ließ ihn unterschreiben und ich ging wirklich mit einem Grenzpass in der Hand heraus. Ich war fast außer mir vor Freude. Ich dankte meinem Gott inbrünstig für das Wunder, dass er an mir getan hatte. Ich als Fremder bekam ohne Weiteres einen Grenzpass ausgestellt. Als ich nun mit großer Freude zurückkam, sagten W. und die anderen wie aus einem Munde: „Ja, dann ist es wirklich Gottes Wille, dass du hinfahren sollst!“ So fuhren wir dann am nächsten Tag um 10 Uhr von Njeshawa mit dem Dampfer los.

Das Wunderbarste und Überzeugendste aber an der ganzen Sache geschah, als ich in das Haus der alten Schwester Schlächter kam. Mit ihren hageren Händen umfasste sie meine Hände, nannte meinen Namen gerade wie in jenem Traum und sagte zu mir: „Warum bist du nicht schon eher gekommen! Wir haben uns vereinigt und beteten für dich, dass der liebe Gott dich herschicken sollte.“ Auf meine Frage, wann sie dies getan hätten, erfuhr ich, dass es gerade zu der Zeit war, als ich jenen Traum hatte.

Ich blieb dann den Sommer über in Christfelde und besuchte die Versammlungen, die meistens von Bruder Doebert gehalten wurden. Dabei wohnte ich im Hause der Geschwister Jabs. Schwester Jabs war es gewesen, die sich mit Schwester Schlachter vereinigt hatte, für mich zu beten. Ich beobachtete sehr genau das Leben und den Wandel der Geschwister in der Familie. Sie bekannten nach der Lehre der Gemeinde Gottes zu leben. Und der Herr ließ mich in diesen neun Monaten das erfahren, worum ich ihn gebeten hatte: Solche Menschen zu treffen, die die Lehre der Gemeinde Gottes auslebten. Ich dankte dem Herrn für diese Erfahrungen und sah, dass ich in meinem Suchen auf den richtigen Weg gekommen war. Und um mich völlig zu überzeugen, ließ Gott mich noch mehr solche Leute und Versammlungen der Gemeinde Gottes finden, wie sie im Neuen Testament beschrieben ist.

An Weihnachten 1908 besuchte ich die verlängerte Versammlung in Essen. Geschwister Doebert und Schwester Clara Stegmann kamen mit uns nach Westpreußen. Und eigenartig! Eines Nachts hatte ich ein Traumgesicht, in welchem ich Schwester Doebert vor mir stehen sah, die mich bat, nach dem Kaukasus mitzukommen. Weil ich mich aber nicht im geringsten irgendwie aufdrängen wollte, sagte ich davon den Geschwistern nichts, sondern quälte mich damit herum. Schließlich offenbarte ich es doch dem Bruder Doebert, der darauf sagte: „Slawa Bogu! („Gott sei die Ehre“ (rus.) Meine Frau wird jauchzen. Sie hat sich nämlich mit Schwester Stegmann vereinigt zu beten, dass jemand, der der russischen Sprache mächtig ist, mit uns nach dem Kaukasus kommen möchte.“

Und so begaben wir uns Anfang Februar 1909 auf den Weg nach dem Kaukasus. Die vier Monate, die ich dort mit Geschwister Doebert zusammen verweilte, sind mir zum bleibenden Andenken und Segen geworden. Der Bruder verstand es, mich so recht väterlich und durch manche Schulen auf dem geistlichen Gebiet zu führen. Ich hatte nun eine tiefere innere Zufriedenheit, weil ich die langersehnte Gemeinde Gottes gefunden und das Vorrecht hatte, für sie zu arbeiten. Ich hatte ja Gott gelobt, nur für diese Wahrheit mein Leben zu weihen.

In der Zeit des Zusammenseins hatte ich das Vertrauen der Geschwister gewonnen. Sie ließen mich allein in meine Heimat zurückfahren und sagten, dass ich dort für Gott tun sollte, was ich konnte.