Von Karoline Jünke, Russland

Njeposnanez, den 23.03.1932

Ich will in kurzen Worten meine Erfahrung mit dem lebendigen Gott und seine Führung schildern.

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ruft Gott der Allmächtige alle Welt mit ausgebreiteten Händen. Er redet ganz freundlich, weil er allen Menschen helfen will. So rief er auch mich in meinem 22. Lebensjahr. Es war im Jahre 1909, als ich zu meiner inneren Beunruhigung auch noch hörte, dass ein großer Stern fallen werde. Ich wurde dadurch in meiner Seele sehr beunruhigt. Ich sah dabei noch deutlicher meinen verlorenen Zustand und spürte, dass mein Herz mit Gott nicht in Ordnung war. Vor dem Sterben und Verlorengehen hatte ich große Furcht. Den Gedanken, schleunigst in die weite Welt zu fahren, gab ich bald auf. Denn ich war mir darüber klar, dass mich die Allmacht Gottes überall findet. Es wurde mir auch bald gewiss, dass der Tod, den ich herbeiwünschte, mich auch nicht retten konnte. Immer mehr wurde ich davon überzeugt, dass ich Gott bald begegnen musste.

So wandte ich mich mit ganzem Ernst zu Gott und bat mehrere Tage im Verborgenen von ganzem Herzen um Vergebung meiner Sünden. Der Herr stärkte meinen Glauben und ich wurde mir der Sündenvergebung vollkommen gewiss. Und da kam plötzlich eine große Freude in mein Herz, in meine Seele!

Damals war mir die Lehre der Gemeinde Gottes noch ganz unbekannt. Es wurde bei uns gelehrt, dass ein Mensch von seinen Sünden nie ganz erlöst werden kann; er würde halt mehr oder weniger sündigen. Aber mein Herzensverlangen war, von den Sünden völlig frei zu werden. Der Herr half durch anhaltendes Gebet. Er stärkte meine Seele mit völligem Frieden und eine große Stille und Ruhe zog in mein Herz.

Als 1914 der Krieg ausbrach, wurde auch mein Mann eingezogen. Ich musste mit meinen fünf Kindern und meiner kranken Mutter so manche Not durchmachen. Der Liedvers „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ wurde uns oft zum Trost. Als 1915 die Deutschen aus Wolhynien vertrieben wurden, mussten auch wir unsere Heimat verlassen. Diese Prüfung war für uns noch größer. Bei dem großen Durcheinander wurde ich dann mehr und mehr träger im Gebet. Ich unterließ das Lesen des Wortes Gottes und mein Glaubenslicht fing an zu erlöschen. In meiner Nähe waren auch keine Gläubigen. Obwohl ich mich vor gro­ßen Sünden hütete, fanden sich doch die „kleinen Füchse, die den Weinberg verdarben“. Ein tiefes Verlangen, selig zu werden, blieb aber stets in meinem Herzen.

Mit der Hilfe des Herrn kamen wir 1917 in unsere Heimat zurück. Aber wir fanden dort nur Not und Elend. Ich sorgte dann früh und spät um das Häusliche, um unser Leben zu erhalten. So manchen Abend saß ich da, seufzte unter Tränen und sagte zu mir selbst: „Du hast heute zu wenig an Gott gedacht, der doch so viel Gutes an dir getan hat.“ In solch einem Zustand lebte ich bis 1918.

Da kam eines Tages der Bruder meines Mannes, August Jünke, der sich in der Verschickung zu Gott bekehrt hatte. Der erzählte mir von der großen Freude, die er in Jesus gefunden hat, seit er ein Kind Gottes geworden ist. Weil ich in meinem Herzen von solch einer Erfahrung überzeugt war, schätzte ich sie hoch ein. Mein Schwager besuchte uns dann öfter und seine Ermahnungen dienten für mein inneres Leben zur großen Ermutigung.

Im Jahre 1922 fasste ich in meinem Herzen einen Entschluss und bat ernstlich den Herrn, mich aufs Neue mit einer Gewissheit und einem völligen Glauben zu beleben. Ich fing wieder an in der Heiligen Schrift zu lesen, fand auch gleich mehrere Stellen, die mich aufs Neue anspornten und mir eine gute Erfahrung mit Gott machen halfen. Ja, der Herr, der gesagt hat: „Ehe sie rufen, will ich antworten“, schenkte mir auch die völlige Gewissheit. Die Sonne der Gerechtigkeit war in meinem Herzen aufgegangen. Ich fand Weide bei dem guten Hirten und Freude und Friede war mein Teil. Oft sang ich das Lied: „Kommt her, ich will erzählen, was Gott an mir getan.“ Und wo mir nur Gelegenheit gegeben wurde, diese meine Erfahrungen anderen zu erzählen, habe ich es auch getan. Denn das Wort Gottes war mir süßer als Honig und Honigseim geworden.

Mein Herzensverlangen war, Gottes Gebote ganz auszuleben. Auch von der Fußwaschung (Johannes 13), die mir bis dahin ganz unbekannt war, wich ich keinen Fingerbreit. Denn Jesus befiehlt es in den Versen 15-17 dreimal zu tun, wie er es getan und befohlen hat. So auch die Großtaufe und das Halten des Abendmahles. Dieses alles zu befolgen, war mein fester Entschluss.

Aber mein Mann, der während der Gefangenschaft in Deutschland ganz ungläubig geworden war, wollte mir die Freiheit rauben. Dass ich mich bekehrt hatte, freute ihn. Er sagte öfter, wenn er auch an nichts glaube, so habe er doch eine fromme Frau. Der Herr, der aller Menschen Herzen lenken kann, hat aber durch mein ernstes Gebet auch meines Mannes Sinn so verändert, dass er mir erlaubte, die Gebote Gottes zu befolgen.

1924 konnte ich mit der Hilfe des Herrn in Natalien von Bruder Malzon getauft werden. Mutig und entschlossen für die Sache Gottes zu wirken, fuhr ich dann nach Hause. Ich vertraute dem, der gesagt hat: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen!“ So hat Gott es auch an mir erwiesen. In dem ersten Jahr musste ich durch so manche Stürme gehen. Bruder A. Jünke besuchte mich öfter und war mir eine große Hilfe.

Bald darauf erweckte der Herr durch große, schwere Krankheit eine in Sünden lebende Person. Diese wurde dann meine liebe Schwester. Am 1. Ostertag kam sie zu mir mit der freudigen Botschaft, dass Jesus in ihrem Herzen auferstanden sei. Auch hierin hatte der Herr mein Gebet erhört!

Unsere kleinen Gottesdienste fingen wir mit Gebet und schönen Liedern an. Und es erfüllte sich das Wort: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Der Herr gab uns Mut zum Zeugen. Wir hatten eine Anzahl Zuhörer, die teilweise aus Neugier kamen. Manche kamen aber auch mit dem ernsten Verlangen selig zu werden.

Mein tiefes Verlangen, noch mehr in dem Worte Gottes unterrichtet zu werden, hat der Herr auch erfüllt. Denn ich erfuhr durch Bruder August Jünke, dass in Horschtschik – etwa 30 Kilometer von uns entfernt – ab dem 01.09.1926 eine zehntägige Bibelversammlung stattfinden sollte. Und Bruder August war mir behilflich, dass ich daran auch teilnehmen konnte. Meinen kleinen Säugling nahm ich mit mir, und meine mir vom Herrn geschenkte Schwester Erenstine folgte auch hierin ihrem inneren Drang und kam mit. Der Frost und das Schneegestöber war auf jeder Reise unserem Leib nicht behaglich. Aber die Liebe Gottes brannte in unseren Herzen, so dass uns die Prüfung nicht schwer wurde. Ein Beamter, der die Gläubigen hasste und auch uns gut kannte, hieß uns, den Wartesaal zu verlassen. Wir folgten auch ohne Widerrede. Als er uns dann aber draußen sitzen sah, nötigte er uns, wieder hereinzukommen und erwies uns Freundlichkeit. Des Unwetters wegen kam der Zug fast unbeobachtet heran. Und als wir aus dem Wartesaal herauskamen, setzte er sich schon wieder in Bewegung. Aber plötzlich lief dieser Mann ganz schnell, gab unsretwegen ein Haltezeichen und wir konnten noch einsteigen. Unsere Herzen waren für die wunderbare Hilfe mit großem Dank erfüllt. Als wir in Horschtschik ankamen, brachte uns Bruder Malzon zu den gastfreundlichen Geschwistern Otto Schwarz.

Gleich in den ersten Tagen der Bibelversammlung ging mir ein Licht über die Gemeinde Gottes auf – und auch über die Verwirrungen, aus denen mich der Allmächtige herausgebracht hat. Alles, was der liebe Gott mir offenbarte, schien mir wie ein süßer Traum. Gelobet sei sein Name!

Mit der Hilfe des Herrn durften wir die ganzen 10 Tage unter dem Schall des Wortes Gottes zubringen. Unsere Heimfahrt war wie die des Kämmerers aus dem Mohrenland. Auch Schwester Erenstine hatte in jenen Versammlungen die ganze Wahrheit erkannt. Sie wurde im Frühjahr 1926 getauft. Und so lebten und kämpften wir miteinander in inniger Gemeinschaft für den Glauben, der einmal den Heiligen übergeben ist. Im Jahre 1927 schenkte der Herr uns eine junge Familie Engelbrecht, die Frau eine geborene Prochnau. Diese Geschwister mussten aber viel leiden. Doch je mehr sie gehasst wurden, desto stärker wurden sie im Glauben. Ihren heiligen Entschluss und überaus glücklichen Zustand konnte ihnen niemand rauben, denn sie liebten Gott mehr als Vater, Mutter und Freunde.

Uns vier Geschwistern war es vergönnt, der dreitägigen Bibelversammlung in Natalien beizuwohnen, wo wir mit allen Kindern Gottes jubelnd und mit Freude erfülltem Herzen das Lied singen konnten:

 

„Gottes Liebe, sie hat keine Grenzen,

Tiefer ist sie, als das tiefste Meer.

Höher reicht sie, als die Sterne glänzen;

Weiter, als die Nebel ziehn einher.

 

Ja, er nahm mich Sünder an

Und zog mir neue Kleider an,

Vergab mir alle meine Sünd

Und heut bin ich ein Gotteskind!“

 

Bald darauf bekehrte der Herr bei uns noch drei Schwestern. Und so fing das Werk Gottes in Njeposnanez an größer zu werden. Der Feind aber ruhte auch nicht. Er wirkte so lange, bis eines Tages unsere Versammlung verboten wurde. Dieses war für uns wieder ein großer Glaubenskampf. Nach vielerlei Ringen und Beten erhielten wir den Sieg und die Obrigkeit hob das Verbot auf. Die Stürme der Anfechtung legten sich. Die Gnadensonne schien wieder hell.

An Neujahr 1928 entschloss sich auch mein lieber Mann und besuchte die dreitägige Versammlung in Neugrüntal. Dort war es, wo auch er die Vergebung seiner Sünden erlangte. Nun konnte auch er die unbeschreibliche Freundlichkeit des Herrn schmecken. Darüber waren wir alle hoch erfreut. Er wurde auch von dem Rauchlaster, von dem er Tag und Nacht versklavt war, befreit. Noch in demselben Jahr wurde er gemeinsam mit Geschwister Engelbrecht getauft. Diese gewaltige Umstellung und Bekehrung meines Mannes machte auf so manchen großen Sünder einen tiefen Eindruck.

Im September desselben Jahres wurde bei uns ein dreitägiger Gottesdienst gehalten. Zu dem kamen von weit und breit viele Leute zusammen. Wir wurden mit Strömen des lebendigen Wassers gesegnet. Auch zu unserem 17-jährigen Sohn redete der Herr. Er tat für seine Sünden Buße und pilgert jetzt mit uns. Etliche Leute spotteten über die kleine Herde. Einer davon erschrak aber in seinem Innern und bekehrte sich; ebenso auch seine Frau. Alles muss zum Guten dienen, wenn der Herr dahinter steht.

1930 hatten wir wieder eine zweitägige Versammlung, in der noch etliche Seelen von der Wahrheit überzeugt wurden. Im Frühjahr feierten wir dann zum ersten Mal bei uns die Verordnungen. Bei dieser wichtigen Handlung flossen Freudentränen. Am 4. Mai 1931 hatten wir Tauffest, 28 Geschwister wurden getauft. Manche von diesen gingen durch Schweres hindurch. Sie fürchteten aber kein Drohen, sondern sangen freudig das Lied:

 

„Ich will folgen dir, mein Heiland,

Was mein Teil auch sein mag hier!

Wo du hingehst, will ich folgen,

Folgen treulich, Heiland, dir!“

 

Als die Zuschauer die Demut und den heiligen Ernst der Täuflinge sahen, wurden fast alle zu Tranen gerührt. Gleich nach der Taufe wurde auch das Mahl des Herrn gefeiert.

Auch bei uns hat sich das Gleichnis vom Senfkorn erfüllt. Der Herr konnte das Werk hier nicht durch gebildete und weise Personen ins Leben rufen. Es gefiel ihm, durch törichte Predigt die Leute glücklich und selig zu machen. Ich rufe mit dem Mann Gottes aus: „Wie hat er doch die Leute so lieb!“ Ja, es geht mir so wie Jakob: „Ich bin viel zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die er an mir erwiesen hat!“ Er hat mich zu seinem Kinde gemacht, auch meinen Mann und Sohn erlöst. Und wenn ich in Krankheit und Not zu ihm flehe, erhört und hilft er mir auch. Durch die Gnade Gottes stimme ich mit Josua ein: „Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“

Mein Wunsch und Entschluss ist, dem Herrn treu zu sein bis an den Tod. Er ist es wert, dass man ihn ehrt. Mein Leib und Leben und alles, was ich besitze, gehört ihm.

 

Ich will von seiner Güte singen,

So lange sich die Zunge regt.

Ich will ihm Dankesopfer bringen,

So lange sich ein Glied bewegt.

Ja, wenn der Mund wird kraftlos sein,

So stimm ich noch mit Seufzen ein.

 

Öfter singe ich mit meiner Familie das Lied:

 

„Wie herrlich ist’s hienieden,

Wenn man von Sünden rein;

Von allem abgeschieden

Und bleibt im Herrn allein!“

 

Wir sind davon überzeugt, dass der Herr sein Volk von allen Sünden erlösen und heiligen kann, wenn sie sich ihm zum Opfer weihen.