Der Kaukasus

Der Kaukasus ist ein gewaltiges Kettengebirge, das höchste Gebirge Europas. Er hat höhere Spitzen und ist länger in seiner Ausdehnung als die Alpen. Das Gebirge ist etwa 1400 Kilometer lang. Die höchsten Gipfel sind alle erloschene Vulkane. Die Höhe des Gipfels Elbrus ist 5630 Meter, und die des Kasbeck 5040 Meter. Sie sind mit gewaltigen Gletschern und mit Schnee bedeckt. Als Grenze zu Asien erhebt sich der gewaltige Kaukasus, der sich in der Tausendkilometerlänge von der Halbinsel Krim in der südöstlichen Richtung bis nach Baku am Kaspischen Meer erstreckt.

Unvergesslich bleibt mir ein Erlebnis aus dem Kaukasus. Ich hatte damals erst angefangen, für den Herrn zu arbeiten. Während einer Reise kamen wir an ein Wasser. Eine Brücke war nicht vorhanden, so mussten wir mit Flößen herübergesetzt werden. Als wir an das Wasser kamen, trafen wir gerade mit den umherziehenden Hirtenvölkern zusammen. Diese haben nirgends einen festen Wohnsitz. Sobald der Winter naht, ziehen sie in die ebenen, wärmeren Gegenden, um Weide für ihr Vieh zu finden. Im Sommer suchen sie kühlere Gegenden in den Bergen auf. Da ist dann Wasser und Gras vorhanden, und ihr Vieh wird dort nicht von Pferdeflöhen und anderen stechenden Insekten geplagt. Während dieser zwei oder drei Monate ziehen sie immer zu gut liegenden Orten empor und suchen frische Weiden.

Ihre Hütten oder Zelte bestehen aus Fellen, die sie mit Filz bedecken. Sie sind ganz rund und so kunstvoll gebaut, dass sie sie leicht mit sich führen können, und zwar auf ihren Wagen mir vier Rädern. Wenn sie die Zelte aufstellen, bringen sie die Tür stets auf der Südseite an. Außer ihrem Wagen haben sie noch ein vorzügliches Fahrzeug auf 2 Rädern. Dies ist ebenfalls mit Filz bedeckt und so vorteilhaft, dass sie darin sitzend einen ganzen Regentag aushalten können, ohne nass zu werden. Diese Wagen werden von Ochsen und Kamelen gezogen. Die Nomaden führen auch ihre Frauen und Kinder, ihr Hausgerät und die Lebensmittel darin mit.

Mir war es dort auch vergönnt zu sehen, wie sie tausende von Schafen auf Flößen übersetzen. Das Floß fasste nur 200-300 Schafe. Schon früher hatte ich manchmal gefragt, was für den Hirten wohl das Schwerste sei. Hier erlebte ich, dass nicht das Weiden der Schafe, sondern das Trennen das Schwerste ist. Um die Schafe auf das Floß zu bekommen, müssen die Hirten eine List anwenden. Und ich glaube, die Schäflein Christi werden auch nur durch List und Raffinesse voneinander getrennt.

Die Nomaden nehmen zur Überführung immer einige Ziegen mit, also Tiere, die eigentlich nicht in die Schafherde gehören. Allerdings ist es für die Ziegen keine Schwierigkeit, fremden Grund und Boden zu betreten. So werden an der Spitze der Herde die Ziegen herübergetrieben, und die Hirten treiben zugleich eine Anzahl Schafe den Ziegen nach. Andere treiben andere Schafe hinterher. Und wenn die Herde merkt, dass sich ein Teil der Schafe bewegt, so laufen sie einfach alle nach. Nur mit großer Anstrengung gelingt es den Hirten, zwei- bis dreihundert Schafe von den übrigen abzuteilen. Auch hierzu müssen sie wieder beides in Anwendung bringen: Gewalt und List. Das geschieht, indem die Hirten nebeneinander treten und ihre großen Pelze ausbreiten, die sie anhaben. Und auf diese Weise bilden sie einen Zaun. Die Pelze sind aus Schaffellen und täuschen die Tiere. Wenn die Schafe an die Pelze herankommen, hören sie mit dem Vorwärtsdrängen auf und beruhigen sich.

Ich musste an die Worte des Heilandes denken: „Sehet euch vor den falschen Propheten vor, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reisende Wölfe!“ Für die Dauer sind die Schafe aber mit der Wolle der Pelze allein nicht zufrieden. Und so ist es auch mit den wahren Kindern Gottes, wenn sie von Hirten in Schafskleidern zur Trennung gebracht werden. Leute mit unreinem Herzen können ganz ähnliche „Wolle“ wie richtige Schafe haben. Wenn wirkliche Gotteskinder diesen Vortäuschungen eine Zeit lang Glauben schenken, merken sie doch bald den Unterschied. Sie merken bald, dass sie eine ganze andere „Stimme“ haben, dass sie unlauter und selbstsüchtig sind. Sie können sich nicht wirklich mit ihnen verbinden und sehnen sich nach den wahren Kindern Gottes und dem großen Hirten.

Ich selbst habe einmal geholfen, eine Schafherde zu trennen. Es war mir recht schwer, und sie taten mir auch leid. Im allgemeinen war ich gern dabei, und es bereitete mir auch Freude, mit den Tieren zusammen zu sein. Aber das Trennen gefiel mir nicht.

Noch aus anderen Vorfällen konnte man den starken Trieb der Schafe zur Einheit merken. Zum Beispiel: Zwei Schafe fielen vom Floß herunter ins Wasser. Die Folge war, dass andere Schafe, die dieses bemerkten, ihnen nachsprangen. Sie schwammen dann wieder zurück ans Ufer zu dem größeren Teil der Herde. Andererseits, als aber die Mehrzahl der Schafe am anderen Ufer war, sprangen schon einige Tiere im Voraus ins Wasser, um möglichst schnell zu den anderen Schafen zu kommen. Ich musste an 1.Joh. 3:16 denken: „Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen“.

Ich war zu jener Zeit mit Bruder Doebert in der kaukasischen Steppe. Wir besuchten dort auch der alten Bruder Ulmer, der eine große Herde Schafe zu versorgen hatte. Wir waren erstaunt, dass er eine so große Schafherde zu hüten vermochte. Sehr bald kamen wir mit ihm auf die Natur der Schafe zu sprechen. Er sagte uns, er wolle uns mal ein biblisches Bild vor Augen führen. So nahm er ein Lamm auf seine Achsel und ging davon. Gleich hinter ihm folgte die Mutter des Lammes und dann noch zwei oder drei Schafe. Er ging weiter, und diesen Schafen folgten weitere fünf oder sechs. Und es kamen immer mehr Schafe und liefen hinterher. Immer breiter wurde der Zug der sich in Bewegung setzenden Schafe. Er fing an zu laufen. Das Lamm aber schrie und wandte sich zu seiner Mutter und den anderen ihr folgenden Schafen. Es dauerte nicht lange, und die ganze Herde, etwa zweitausend Schafe, war in Bewegung. Wir staunten darüber, was die eine Stimme des Lammes verursachen konnte! – „Und sie folgen dem Lamm nach, wo es hingeht!“