Die Inflation

Die erneute Übernahme einer Landwirtschaft hatte uns der Herr noch auf eine andere Weise unmöglich gemacht. Wohl war der Erlös von unserem Gut in Sibirien eine große Summe gewesen, so dass wir schließlich ein ganzes Säckchen Geld hatten. Aber das Vergehen alles Irdischen zeigte sich uns am deutlichsten in der Inflation (Geldentwertung). Mehr und mehr, wie ein Schneeball auf warmer Herdplatte, schmolzen die einst so wertvollen Münzen und das Papiergeld zusammen. Schließlich bekamen wir für unser Säckchen Geld, als in Wolhynien ein großer Lebensmittelmangel einsetzte, nur noch einen Sack Schrotmehl. Das war wirklich nicht viel und reichte für eine große Familie nicht lange.

Neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit hatte ich einen weiteren Beruf nicht erlernt. Und obwohl in Klempnerei (Spenglerei) noch unerfahren, wandte ich mich als Notbehelf doch dieser Arbeit zu. Ich reparierte zunächst Milchkannen, Töpfe, Zentrifugen und machte schließlich Blechgefäße. Nicht wissend, was ich in der schweren Zeit der Inflation für meine Arbeit fordern sollte, fragte ich meist die Leute, was sie meinen, dafür geben zu können. Keineswegs wollte ich jemanden überfordern. So kam es, dass ich oft nur den vierten Teil als Gegenwert für meine Arbeit bekam. Bei unseren Bekannten war es schon fast sprichwörtlich, dass ich so gut wie umsonst arbeitete. Der Herr gab mir aber Arbeitslust und Gelingen. Wenn auch das spärliche Einkommen zu keinen Anschaffungen reichte, hatten wir doch von Tag zu Tag etwas zu essen. Ich arbeitete fast nur gegen Bezahlung mit Lebensmitteln. Denn für Geld war nichts zu bekommen, niemand verkaufte etwas von seinen Vorräten.

Einmal aber hatten wir gar nichts mehr zu essen. Schon hätte das Mittagsmahl für die Familie bereitet werden sollen, aber es war nichts an Lebensmitteln da. In der Ecke stand noch eine fertige Reparatur, die ich für achtbare Leute des Nachbarortes gemacht hatte, die aber noch nicht abgeholt war. So machte ich mich mit dem Gefäß auf den Weg zu den Leuten, in der Hoffnung, dass ich für das Mittagessen noch etwas an Lebensmitteln nach Hause bringen könnte. Die Leute fühlten sich fast nicht würdig, dass ich ihnen das Haushaltsgefäß nach der Reparatur selbst brachte. Sie wiederholten immer wieder, dass sie es sich doch hätten abholen können. Nun sollte ich für meine Arbeit ein Säcklein Kartoffeln bekommen. Aber die guten Leute redeten auf mich ein, dass sie mir doch nicht zumuten können, die Kartoffeln zu tragen. Sie würden es mir heute noch bringen. Einer von ihnen käme ja des Tages ein paar Mal mit Erde vorbeigefahren, der würde es dann mitbringen. Ich wollte ihnen nicht sagen, dass wir nichts mehr zu essen hätten. Unauffällig gelang es mir aber noch, ihnen das Versprechen abzunehmen, dass sie mir es kurz nach Mittag gleich mit der nächsten Fuhre mitschicken würden.

Wir sahen den Mann auch mit seiner Fuhre daherkommen. Aber er fuhr vorbei – man hatte vergessen, ihm die Kartoffeln mitzugeben. Wir schauten weiter aus und warteten. Gegen vier Uhr kam er wieder und hatte die Kartoffeln noch nicht. Die Leute hatten es mit dem Mitgeben nicht so eilig, und er brachte es uns erst am Abend. Erst dann konnten wir Hungrigen uns die Kartoffeln kochen. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass die Satten nicht wissen, wie es den Hungrigen zu Mute ist. Hierbei musste ich an jene armen Menschen denken, die einen ungestillten Hunger nach dem Brot des Lebens in ihrer Seele haben.