Eine Leidenszeit

Ein anderes Mal waren wir auf der Rückreise von Rio Grande do Sul nach Nova Esperanca. Das dauerte damals, wenn man ohne Umsteigen gereist wäre, etwa 6 Tage. In Rio das Antas machten wir Halt. Einige Abende hatten wir dort Gottesdienste und ich sprach dabei auch darüber, dass man mit der Hilfe Gottes auch in Trübsalen dankbar sein kann. Nun nahm mich Gott beim Wort und schickte mir ein schweres, langes und schmerzhaftes Leiden. Ich erkrankte an Gelenkrheumatismus. Auch meine Frau litt sehr darunter, denn sie musste mich Tag und Nacht bedienen. Infolge dieser Krankheit lag ich 3 Monate im Hause von Br. Eduard Wegner. Die Geschwister hatten mit mir große Last und Unkosten. Sie sind beide schon in der Ewigkeit, doch fühle ich mich noch heute dankbar für das, was sie damals an uns getan haben.

Als es mir wieder etwas besser ging, fand sich eine Gruppe, die eine Reise von Rio das Antas nach Neu-Hoffnung machen wollten. Mit denen fuhren wir mit. Ich war noch sehr schwach, als man mich auf den alten Lastwagen hob. Die Lenkung dieses Lastwagens war sehr ausgeleiert und es war eine gefährliche Reise. Die Wege waren so schlecht, dass wir von Rio das Antas bis nach Caçador von 10 Uhr abends bis gegen Morgen, als es schon hell wurde, fuhren. Das waren nur 30 km. Die zweite Nacht schlief ich auf dem Wagen, da wir alle im Freien übernachteten. In der dritten Nacht hatte ich ein Bett. Am Morgen des vierten Tages fuhren wir die Subida-Serra hinunter. Als wir unten waren, verloren wir noch ein Rad. Was wäre geschehen, wenn sich das Rad vorher beim Fahren durch die vielen steilen Kurven gelöst hätte? In Subida suchten wir einen andern Wagen und kamen dann abends in unserer Wohnung in Nova Esperanca an. Die zurückgelegte Strecke mochte etwa 380 km lang sein und die Reise dauerte vier Tage.

Ich kam sehr schwach an. In meinem Körper sammelte sich Wasser und ich dachte, mein Ende wäre gekommen. Bald brach auch der zweite Weltkrieg herein. In jener Zeit wurde ich so herzleidend, dass ich nicht mehr gut sprechen, singen oder predigen konnte. Ich war zu jeglicher Arbeit unfähig. Meine Frau und unsere Tochter versahen die Arbeit auf dem Lande, damit wir unseren Lebensunterhalt hatten. Wir hatten ja sonst keine Unterstützung. Mein Herzleiden hielt vier Jahre lang an. Erst dann konnte ich wieder geistliche Arbeit verrichten. Gott sei Dank, dass er mir auch durch diese schwere Zeit hindurchgeholfen hat. Er gab mir wieder soviel Gesundheit, dass ich mich danach wieder stärker als je zuvor im meinem Leben an der geistlichen Arbeit beteiligen konnte.

 

Wie ich schon vorher schrieb, waren die Reisen in Südamerika mit viel Beschwerden verbunden und mitunter standen wir auch in Lebensgefahr. So hing ich einmal an den Griffen eines fahrenden Zuges, und es ist nur der Gnade Gottes zu verdanken, dass ich mit dem Leben davon kam. Meine Frau saß im Wagen und man sagte ihr, ich sei unter die Räder gekommen. – Welch ein Schrecken für sie! Doch einige Mitreisende halfen mir aus meiner unglücklichen Lage.

In Brasilien sowie in Argentinien waren in den Gegenden, in denen wir arbeiteten, nur Lehmstraßen, die sehr primitiv waren und bei Regenwetter gefährlich und zum Teil unpassierbar wurden. Noch heute sind die Straßen in dem Städtchen Leandro N. Alem, wo sich die Zentrale unseres Werkes befindet, und in der Umgebung Lehmstraßen. In Leandro N. Alem findet jedes Jahr eine große Lagerversammlung statt. Bei Regenwetter aber sind fast alle Wegverbindungen abgeschnitten. Meine Frau und ich mussten einmal dort nach einer Lagerversammlung zwei Wochen länger bleiben, weil der Verkehr durch den Regen lahmgelegt war. In der jetzigen Zeit ist es schon um vieles besser geworden, besonders hier bei uns in Brasilien. Es werden schon Asphaltstraßen gebaut und der ganze Verkehr läuft besser. Prediger oder Besucher, die jetzt aus dem Ausland kommen, können sich kein Bild davon machen, was wir in früheren Jahren mitgemacht haben.

Unser Dienst war mit großer Selbstverleugnung verbunden. Hinzu kam noch, dass wir und auch mein Sohn Heinrich mit seiner Familie die meiste Zeit unsere Arbeit ohne Unterstützung aus dem Ausland taten. In solcher Lage findet man aus, ob man von Herzensgrund dient oder um des Gewinns willen. Dennoch sollten die Prediger von den Gemeinden auch so gut wie möglich unterstützt werden. Doch die Unterstützung sollte nur Mittel zum Zweck sein und nicht Selbstzweck. Der Prediger sollte auch vorbildlich sein im Opfern und im Geben des Zehnten. Dabei sei der Zehnte nicht befohlen, sondern empfohlen. Viele Kinder Gottes gaben aus Liebe zu Gott den Zehnten und mehr. John Wesley hatte folgenden Grundsatz: „Arbeite soviel du kannst, spare so viel du kannst und gib so viel du kannst.“ Er tat auch selbst danach.

Zur Ehre Gottes darf ich erwähnen, dass der Herr mich in meinem langen und arbeitsreichen Leben nie verlassen hat, so dunkel wie es auch manchmal aussah. Auch sei an dieser Stelle den Brüdern der Christian Unity Press in York, USA, gedankt, die uns eine Zeitlang monatlich mit 2,50 Dollar und dann mit 15 Dollar unterstützt haben. Seit 1956 ist dann das wieder weggefallen. Gott segne sie, dass sie sich unserer Notdurft angenommen hatten.

 

Nun wieder zurück zu unseren Reisen. In den ersten Jahren bestand ein großer Teil unserer Arbeit in Reisetätigkeit, um den wenigen Gemeinden, die ja noch sehr klein und sehr zerstreut waren, voranzuhelfen. Wenn wir nach Argentinien wollten, mussten wir von Neu-Hoffnung 6 Tage reisen, um an die argentinische Grenze zu kommen. Auf brasilianischer Seite suchten wir dann das Städtchen Porto Lucena auf. Dort übernachtete man in einem Hotel, denn manchmal musste man mehrere Tage dort bleiben. Von Porto Lucena fuhr man dann mit einem Flussdampfer den Uruguaystrom flussabwärts, bis man auf argentinische Seite durch den Zoll konnte. Dann war es nicht mehr allzuweit bis nach Leandro N. Alem.

Von Leandro N. Alem aus fuhren wir einmal mit einer Anzahl Geschwister zu einem Gottesdienst an einem Ort, der etwa 30 Kilometer von dort entfernt ist. Auf dem Rückweg regnete es und der Lastwagen kam nicht mehr weiter. Darum legten wir die restlichen 15-20 km zu Fuß zurück. Unterwegs fanden wir eine Hütte, in der wir Feuer machten, um unsere Kleider zu trocknen.

Ein andermal war ich mit Br. Kästner mit der Bahn nach Joinville zu einer Lagerversammlung unterwegs. Etwa 30 km vor Joinville entgleiste der Wagen, in dem wir saßen, und fuhr etwa 80 Meter neben den Gleisen auf den Schwellen. Seitlich von den Gleisen befand sich ein etwa 8-10 Meter tiefer Abhang und weiter unten ein Fluss. Doch der Herr bewahrte uns vor allem Schaden. Auf allen unsern Reisen erfuhren wir, was wir in einem Lied singen: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über uns Flügel gebreitet.“ In dieser Gefahr und in vielen andern Nöten erhielt der Herr meine Seele in tiefem inneren Frieden. Dem Herrn sei alle Ehre für eine völlige Erlösung! Das gibt dann auch immer wieder neuen Mut, für den Herrn und seine Gnade zu zeugen.

Oftmals, wenn wir nach Argentinien fuhren, mussten wir in Cruz Alta übernachten, bis man mit der Bahn auf einer Nebenstrecke bis nach Santa Rosa weiterreisen konnte. Mitunter gingen wir dann noch für einige Stunden in ein Hotel zum Ausruhen. Doch oftmals saßen wir auch bis zum andern Morgen auf dem Bahnhof, obwohl es dort windig und kalt ist. Bei Santa Rosa hat uns Vater Zielke des Öfteren mit seinem Pferdewagen abgeholt und in sein Haus aufgenommen. Die Geschwister waren immer sehr freundlich und gastfrei, obwohl sie arm waren und nur ein ganz primitives Haus hatten. Vater Zielke hat uns auch mit seinem Pferdewagen weite Strecken bis in den Urwald zu Geschwister Makus oder nach Guarany gefahren. Das ging mit dem Pferdewagen oft den ganzen Tag lang. Möge es Gott vergelten, was diese Geschwister und ihre Kinder mit Familien an uns getan haben. Ich habe es nicht vergessen. Vater Zielke ist im Alter von 80 Jahren vor nun schon einer Reihe von Jahren heimgegangen. Die Mutter Zielke lebt noch bei ihren Kindern. Ihre Kinder sind die Familien Feuerharmel, Adolf Henke, Emil Zielke und Oskar Novatzky. Die Familie Zielke kannte ich schon von Europa aus. Als ich vor dem ersten Weltkrieg bei Warschau wohnte und in dem Werke diente, hielt ich bei der Mutter des verstorbenen Vater Zielke Hausgottesdienste.

In besonderer Erinnerung ist mir noch eine Lagerversammlung in Guarany, in Rio Grande do Sul, Brasilien. Bruder David Meier mit seiner Frau waren dort einige Jahre tätig. Unsere dortige Lagerversammlung wurde auch von Leuten einer anderen Richtung besucht. Anschließend an diese Lagerversammlung wurde ich dann auch in ihre Kirche eingeladen, um ihnen das Wort Gottes zu verkündigen. Es ist mir wie eine Wunde am Herzen, wenn ich daran denke, dass nach soviel geistlicher Arbeit und Opfern die Versammlungen in Guarany, Candeia und Tuparendi durch den Wegzug der Geschwister eingegangen sind.

Auch Vater Josef Krebs diente 9 Monate in Guarany, nachdem Geschwister Meier nach Argentinien gezogen waren. Von Guarany waren es wohl 40 km bis an den Uruguaystrom, der dort die Grenze zwischen Argentinien und Brasilien bildet. Man fuhr etwa 20 km mit dem Pferdewagen bis zum nächsten Städtchen. Dort aß man etwas zu Mittag. Ich erinnere mich noch, wie einmal ein Gast mit dem Essen nicht zufrieden war. Der Gastwirt machte dem Streit ein Ende, indem er seinen unzufriedenen Gast einfach zu Boden schlug... Von dem Städtchen ging dann ein Bus bis Porto Lucena. Doch war die Straße so schlecht, dass man dazu einige Stunden brauchte. Manchesmal musste man auch aussteigen und mithelfen schieben. Bruder Meier meinte einmal, dies sei die schlechteste Straße der Welt.