Um seiner Liebe willen

Als Kind, wenn einen Menschen ich gesehen,

Unschön von Angesicht und von Gebärde,

Verkommen und allein am Wege stehen,

Geschmähet als ein Abschaum von der Erde;

Wenn ich gemerkt, wie manche ihn verlachten,

Wie andere sich stolz von ihm gewendet,

Wenn auch mein Herz ihn wollte kühl verachten,

Und niemand Trost und Hilfe ihm gespendet:

Da pflegt ich oft mit meinem Schwesterlein

Zu flüstern leis, in kindlich frommen Trieb:

„Wie traurig muss der arme Mann jetzt sein,

Und doch hat seine Mutter ihn so lieb!“

 

Wir dachten uns, wie sie einst mit Entzücken

Ihr Kind begrüßt und lieblich fand vor allen;

Ihn, dem nun jeder lieblos kehrt den Rücken;

Ihn, der sonst keinem Menschen mag gefallen.

Wir sagten uns: „Wie würde sie es schmerzen,

Wenn sie es wüsste, was er trägt im Stillen!“

Und Mitleid füllte unsre kleinen Herzen

Um jener unbekannten Mutter willen.

 

Und nun, wenn an den Zäunen, an den Gassen

Ich Menschen treff, auf deren Stirn die Sünde

Den düstern Stempel hat zurückgelassen, –

Ob auch der Leichtsinn gleißend darauf stünde;

Wenn ich sie eilen seh ins sichre Sterben,

Die starken Männer, von der Lust geknechtet,

Die Weiber, die den Giftkelch vom Verderben

Erhaschen und dann sinken hin geächtet:

Oh, dann durchzuckt es mich mit tiefem Weh:

Den Armen, der zum Mörder ward und Dieb,

Die Tiefgefallne, deren bloße Näh

Die Menschen scheun: Mein Heiland hat sie lieb!

 

Für sie hat er aus herzlichem Erbarmen

Geopfert an dem Kreuz sein reines Leben.

Er möchte bergen sie in seinen Armen,

Für die sein teures Blut er hingegeben.

Mein Herr und Gott, der du auch mich gerettet,

Lass deine Liebe mächtig in uns quillen!

Herr, rette viele, die noch sind gekettet:

Wir lieben sie um deiner Liebe willen!