Edelweiß

Ich stand am Fuß der Berge

Beim tiefen, dunklen See,

Und schaute mit sehnendem Blicke

Zur schweigenden Alpenhöh!

 

Da naht sich mir ein Mägdlein

Und bittet sanft und leis:

„O kauft doch, edle Frauen,

Mein Sträußchen Edelweiß!“

 

„Nicht doch“, so sagt ich heiter

Mit ungeprüftem Mut,

„Das Blümlein pflück ich selber

An des Gletschers eis’ger Flut“.

 

Spricht’s Kind: „Das könnt ihr nimmer.

Es droht Gefahr beim Eis:

Man muss das Leben wagen,

Zu pflücken Edelweiß!“

 

Und bei des Kindes Worten,

Da zuckte durch mein Herz

Ein ahnender Gedanke,

Voll Wonne und voll Schmerz.

 

Und auf der Muse Schwingen

Eilt mein Gedanke fort

Zu dir, mein Herzensknabe,

Und spricht ein ernstes Wort.

 

Es birgt der Kampf des Lebens

Für dich manch hohen Preis,

Willst du das Leben wagen,

Zu pflücken Edelweiß.

 

Doch nicht nach ird’scher Ehre

Verlangt mein Herz für dich,

Es strebt nach solchen Gütern,

Die währen ewiglich.

 

Hoch ob der Alpen Firnen

Mit ihrem Silberglanz,

Hoch ob dem Berg des Wissens

Mit seinem Lorbeerkranz:

 

Da strahlt ein gülden Kleinod,

Da glänzt ein weißes Kleid,

Da wehen grüne Palmen

Den Siegern nach dem Streit.

 

O dahin richt dein Sehnen,

Darauf wend allen Fleiß.

Man muss das Leben wagen,

Zu pflücken Edelweiß!

 

Was, wagen? Nein, nicht wagen,

Das reicht nicht hin, mein Sohn:

Es gilt das Leben lassen

Um eine ew’ge Kron!

 

Es gilt, die sünd’gen Triebe,

Des eignen Wollens Not

Versenken ohne Wanken

In Jesu Christi Tod.

 

Dann ist auch dein sein Leben.

Und auf die Stirne dann

Drückt er dir einst die Krone,

Die nie verwelken kann.

 

Drum denk daran, mein Knabe,

Im Kampfe schwül und heiß:

Man muss das Leben wagen,

Zu pflücken Edelweiß.