Davids Krönung und Regierung

(2. Sam. 2-10)

Während seiner schweren Konflikte mit Saul hatte David bewiesen, dass er sich die Königswürde über Israel nicht gewaltsam nehmen, sondern als der einst durch Samuel Gesalbte empfangen wollte. Es wäre ihm jedenfalls nicht allzu schwer gewesen, sich durch eine Revolution an die Stelle des verworfenen und gemütskranken Saul zu setzen. In solch einem Versuch hätte sich aber der Geist Sauls, der Geist einer bewussten Autokratie und nicht der Geist der Theokratie offenbart. Trotz aller Menschlichkeit lebte aber in David etwas von jener Hingabe an Gott, die sich in ihren Handlungen abhängig weiß von den Aufträgen und der Kraft Gottes.

Allein diese ehrfurchtsvolle Hingabe an Gott hielt David auch zurück, vor der Zeit eigenmächtig zu nehmen, was erst zu seiner Zeit von Gott gegeben werden konnte – die königliche Würde über Israel. Denn als David nach der Nachricht vom Tod Sauls den Herrn fragte: „Soll ich in eine der Städte Judas hinaufziehen?“, da wurde ihm die Antwort: „Ja!“ So wagte David nach Hebron mit seinen beiden Frauen und allen Kriegsknechten, die bei ihm waren, hinaufzuziehen. Hier wurde er vom Stamm Juda offenbar mit Freuden begrüßt und alsbald öffentlich zum König gesalbt (2.Sam. 2:1-4). Nach biblischer Überlieferung regierte er in Hebron und über die angrenzenden Nachbargebiete siebenundeinhalb Jahre.

Aus Dankbarkeit, dass sie in den ersten Regierungstagen Sauls durch eine kühne und entschlossene Tat Sauls von jener Schmach errettet worden waren, die die Philister den Bürgern von Jabes antun wollten, hatten diese den verstümmelten Leichnam Sauls und die seiner Söhne Jonathan, Abinadab und Malkischua vom Schlachtfeld auf den Höhen Gilboas geholt und die Gebeine in Ehren in Gibea begraben. Als David das erfuhr, wandte er sich gleich nach seiner Krönung an die Bürger der Stadt Jabes in Gilead mit der Botschaft: „Gesegnet seid ihr von Jahve, die ihr eurem Herrn Saul diese Liebe erwiesen und ihn begraben habt. So möge euch Jahve Liebe und Treue erweisen, und auch ich will euch Gutes erweisen dafür, dass ihr dies getan. So seid denn nun unerschrocken und zeigt euch als wackere Männer, denn Saul, euer Herr ist tot, und mich hat das Haus Juda zum König über sich gesalbt.“

In dieser Botschaft lag mehr als nur eine dankbare Anerkennung der Tat der Bürger von der Stadt Jabes. Durch den Ausgang der Schlacht sah sich Israel in seiner zusammengebrochenen Stellung wieder in die alte Abhängigkeit von den Philistern zurückgedrängt. War Sauls Regierung auch sehr wechselvoll gewesen, am ihrem Ende stand Israel so ohnmächtig den Feinden im Westen wie auch im Osten gegenüber wie am Anfang derselben. Nach dem Sieg nutzten die Feinde ihre Vormachtstellung dem zusammengebrochenen Israel gegenüber in Eile aus. „Die Kisonebene nicht nur bis Gilboa, sondern auch Beth-Schean und die Städte der Jordanaue diesseits und jenseits des Flusses fallen von selbst in ihre Hände. Wer konnte sie hindern, wieder wie einst das Gebirge Ephraim in Besitz zu nehmen und in dem Gibea Sauls ihren Vogt einzusetzen?“ (Nach R. Kittel, „Geschichte des Volkes Israel“, S. 184.)

David hatte mithin durch seine Krönung ein sehr schweres Erbe angetreten. Alles durch Saul Gewonnene war wieder schmachvoll zusammengebrochen. Sauls Leben hatte keine positive Frucht zum Heile seines Volkes zurückgelassen. Den Bedrängten gilt nun Davids erste Botschaft und Stärkung. Gewiss ein weiser Schritt, das Vertrauen zu ihm und seiner königlichen Aufgabe zu wecken.

Unterdes hatte aber Sauls Feldhauptmann Abner den vierten Sohn seines gefallenen Herrn, Isbaal, zum Könige über Israel erhoben, und zwar in Mahanaim in Gilead im Ostjordanland. Offenbar war es Abner gelungen, sich mit dem Rest des geschlagenen Heeres von den Höhen Gilboas nach dem Ostjordanland zurückzuziehen. Da Isbaal der direkte Erbe der israelitischen Krone war, wurde dieser Akt Abners vom ganzen Israel außer dem Stamme Juda anerkannt. Die eigentliche Regierung aber lag in der Hand Abners, durch den auch Isbaal selbst vollständig beherrscht wurde.

In Mahanaim musste man die Krönung Davids in Juda als einen schweren Eingriff in die Erbfolge des rechtmäßigen Königtums in Israel empfinden. Man begriff immer noch nicht, dass Israels Königtum letzthin nicht von einer rechtmäßigen Erbfolge abhängig sei, sondern von dem, der es in seiner Souveränität seinem Gesalbten gibt. Erst schwere Bruderkämpfe, die Israels Stellung den Feinden gegenüber noch mehr schwächen musste, führten schließlich eine Entscheidung herbei. Abners Macht und Einfluss ging in diesen Kämpfen mehr und mehr verloren, und zuletzt suchte er durch einen Friedensschluss ein einheitliches Reich herbeizuführen. David war bereit dazu, aber sein Feldhauptmann Joab, ein Sohn der Zeruja, vereitelte die friedliche Beilegung des Streites. Er lockte Abner, der bereits ins Land Benjamin wieder abgereist war, wieder nach Hebron zurück und verübte an demselben einen unwürdigen Meuchelmord. Joab und sein Bruder Abisai hatten nämlich Abner ermordet, weil er ihren Bruder Asael in Gibeon während seiner Verfolgung getötet hatte (2.Sam. 3:30). So unangenehm David auch dieser Ausgang war und so stark er die Handlung seines Feldherrn auch verurteilte, er konnte die Sache nicht mehr ungeschehen machen. Als man Abner in Hebron feierlich begrub und der König und das ganze Volk um ihn trauerte, sang David das Klagelied (2.Sam. 3:33-34):

„Musste Abner den Tod eines Gottlosen sterben?

Deine Hände waren nicht gebunden,

Deine Füße waren nicht in Fesseln gelegt –

Wie einer vor Ruchlosen fällt, bist du gefallen.“

Wie wenig dem König David die Gewaltmittel gefielen, um auch Israel für sich zu gewinnen, geht ferner auch aus der Ermordung Isbaals hervor. Diese erfolgte durch die beiden Söhne Rimmons aus Beerot, deren Name Baana und Rakab war, die Isbaal nach dem Tode Abners als Anführer über seine Streitscharen gesetzt hatte. Diese brachten eines Tages das Haupt des von ihnen ermordeten Königs nach Hebron und übergaben es David mit den Worten: „Da ist das Haupt des Isbaal, des Sohnes Sauls, deines Feindes, der dir nach dem Leben getrachtet hat. Aber Jahve hat dem Könige, meinem Herrn, heute Rache an Saul und seinen Nachkommen gegeben.“ (2.Sam. 4:5-8). In seiner Entrüstung über diese Tat der beiden Söhne Rimmons gab David den Befehl, dass sie getötet werden sollten. Nicht von Mörderhand wollte er die Krone auch über Israel empfangen, sondern aus der Hand dessen, der ihn durch Samuel hatte salben lassen über das ganze Volk.

Nach diesem völligen Untergang des Hauses Sauls kamen nun alle Ältesten Israels nach Hebron und schlossen daselbst einen Vertrag mit David ab und salbten ihn daselbst zum König auch über Israel. Denn sie sprachen zu David: ,,Siehe, dein Bein und dein Fleisch sind wir. Schon ehedem, als Saul König über uns war, hast du Israel ins Feld geführt und uns wieder heimgebracht, und Jahve hat zu dir gesagt: Du sollst mein Volk Israel weiden und du sollst Fürst über Israel sein.“ (2.Sam. 5:1-4).

Hatte David gelegentlich während seiner schweren Konflikte mit Saul auch geglaubt, dass all seine selbstlose Hingabe an sein Volk und an das Haus Sauls fruchtlos geblieben und von der Zeit mit ihren unendlichen Wirrnissen vergessen worden sei, es kam der Tag, wo ihm durch Gottes Fügung öffentlich vergolten wurde, was seine Liebe und sein Dienst geopfert hatten. Im Reiche Gottes geht letzthin nie dauernd eine Frucht verloren, die im höheren Auftrage im Geiste selbstloser Hingabe gewirkt wurde. Hatte David auch bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr auf den königlichen Dienst warten müssen, es kam doch die Stunde, wo ihm freiwillig und in Hingabe die Königswürde vom ganzen Volke übergeben wurde. So empfing er zur rechten Stunde, was er sich vorzeitig nur durch Revolution und Blut hätte nehmen können.

Wie Gott einst durch Mose als seinen Propheten Israel aus dem Diensthaus Ägyptens errettet und zu seinem Eigentumsvolk berufen hatte, so wollte er durch den Gesalbten seinen Erstgeborenen in dessen Erbe von dem Druck aller Feinde befreien. Israel sollte ein freies Volk in seinem Land sein und als solches seine prophetische Aufgabe unter seinen Nachbarvölkern erfüllen. Hinfort musste sich nun zeigen, inwieweit David diese seine göttliche Berufung in der Abhängigkeit vom Herrn erfüllen würde oder nicht. Auch er musste in der Hingabe an seine Berufung entweder von Fall zu Fall seine Auferstehung erleben oder aber im Versagen seinen Untergang finden.

Eine seiner ersten Taten nach empfangener Königswürde über ganz Israel war die Eroberung der Jebusiter-Festung Zion mit der Stadt Jebus, die sich an den Abhängen der Höhen bis zur Quelle Gihons im Tal ausdehnte. David erhob die Burg nebst der Stadt zu seiner Residenz und hinfort wurde Jerusalem zur größten Bedeutung in der zukünftigen Geschichte Israels.

Bevor David zu weiteren Unternehmungen schritt, suchte er Jerusalem als Königssitz auszubauen und zu befestigen. In diesen seinen Bestrebungen kam ihm Hiram, der König von Tyrus sehr entgegen, indem er ihm Zedernstämme, Zimmerleute und Steinmetzen sandte, die David einen Palast bauen mussten. Auch ließ David Zion mit der Zitadelle oder Millo nebst den angrenzenden Stadtteilen vollständig neu aufbauen. Dieser ausgebaute Stadtteil trug alsdann den Namen „die Stadt Davids“ (2.Sam. 5:6-10).

Mit dem König Thelmas von Gessur in den südöstlichen Wüsten hatte David wahrscheinlich vorher schon ein Bündnis abgeschlossen und zur Besiegelung der Freundschaft Maacha, die Tochter des Gessuriter-Königs zur Frau erhalten. Von ihr wurde ihm sein Sohn Absalom geboren, der später so viel Kummer und Leid in seine alten Tage trug. Denn auch David als Gesalbter des Herrn musste erleben, dass jede innere Abweichung von seiner göttlichen Berufung nicht zum Segen für sich und sein Volk, sondern zum Fluch und Gericht führte. Wie manche falsche Geistes-Ehe im Reich Gottes hat seither zu einer Frucht geführt, die sich später zu einer verhängnisvollen Feindschaft wider das Reich Gottes entwickelte!

 Die Vorgänge in Hebron und später in Jerusalem blieben nicht ohne Eindruck auf Israels Nachbarvölker. Besonders beunruhigt sahen sich die Philister. Als sie vernahmen, „dass man David zum König über Israel gesalbt habe, zogen die Philister insgesamt heran, um seiner habhaft zu werden.“ (2.Sam. 5:17-25). Aber die Philister sahen sich in allen ihren Unternehmungen geschlagen, so dass David ausrufen konnte: „Jahve hat alle meine Feinde vor mir her durchbrochen, wie das Wasser einen Damm durchbricht. Darum hat man jenem Ort den Namen Baal-Perazim, d. h. Herr, der Durchbrüche gegeben.“

In welch einer inneren Stellung David versuchte, seine königliche Aufgabe in Israel zu erfüllen, bekundet er in dem Versuch, die Lade Jahves als Symbol der Gegenwart des Herrn von Baal in Juda („Baal“ in Juda = Kirjat-Jearim) hinauf gen Jerusalem zu bringen (2.Sam. 6:1-19). Sie trug den Namen: „Jahve der Heerscharen, der über dem Cherubim thront.“ Sie sollte hinfort in der Stadt wohnen, die seine Residenz und der Mittelpunkt des ganzen Lebens Israels war. Davids Leben und königlicher Dienst sollte sich in der Gegenwart des Herrn vollziehen, vor den Augen des Allerhöchsten, dem er sich in all seinen Handlungen verantwortlich wusste.

Auf dem Weg nach Jerusalem geschah jedoch etwas Furchtbares. Als man mit dem Rinderwagen, auf der die Lade Gottes stand, bis zur Tenne Nachons gekommen war, da langte Ussa, einer der beiden Priestersöhne Abinadabs, die den Wagen geleiteten, nach der Lade und berührte sie. Er wollte sie stützen, da die Rinder sich losgerissen hatten. „Da entbrannte Jahves Zorn wider Ussa, und er schlug ihn dort, weil er seine Hand nach der Lade ausgestreckt hatte, so dass er dort vor der Lade Elohims starb.“ Als David dieses Gericht an dem Priester Ussa sah, fürchtete er sich sehr und wollte nicht, dass die Lade hinaufkäme in seine Stadt. Da er sah, mit welch heiligem Ernst die Gegenwart des Herrn verbunden sei, entfiel ihm der Mut und er befahl, dass man die Lade in das Haus Obed-Edoms aus Gat bringen solle.

So unverständlich uns auch manches in dem ganzen Vorgang bleiben mag, so ist doch Davids Furcht ungemein bezeichnend für seine Stellung. Er war sich offenbar bewusst, dass auch in seinem Leben so manches vorlag, das die Gegenwart Gottes nicht ertragen könne. Nachdem der Herr sich in dem Fall Ussas ein Exempel seiner Heiligkeit und des Ernstes seiner Gegenwart geschaffen hatte, da fürchtete sich David hinfort vor dem Gericht der Gegenwart des Herrn. Denn es war damals nicht anders, wie es auch heute im Reich Gottes ist, dass in Gottes Gegenwart alles menschliche Wesen sich gerichtet sieht. Gottes Kraft schaltet das selbständige Handeln der Menschen aus. Wo Gott wirkt, gibt es keinen Raum für das fleischliche Können des Menschen.

Aber das Unerklärliche war nun, dass Obed-Edom aus Gat durch die Gegenwart des Herrn nicht gerichtet wurde, sondern sich vielmehr mit seinem ganzen Haus gesegnet sah. Welch ein Gegensatz! Dort Tod, hier Leben! Das sind Paradoxien, die in jeder Offenbarung der Gegenwart Gottes liegen. Die Ägypter gehen bei der Offenbarung Gottes im Roten Meer unter und die Israeliten feiern ihre nationale Auferstehung. Wie die Sonne mit ihren Strahlen zu gleicher Zeit das Stroh fürs Feuer und das Korn für die Ernte reifen lässt, so wird Gottes Gegenwart dem fleischlichen Wesen des Menschen zum Gericht, dem geistlich Gerichteten aber zum Leben. Daher der verborgene Zug durch die ganze Offenbarungsgeschichte: „Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen des Herrn trägt.“

Als David mitgeteilt wurde, dass Jahve Obed-Edom während der drei Monate gesegnet habe, wo die Lade bei ihm im Haus war, da zog er abermals hin und holte sie mit Freuden hinauf in seine Stadt. Diese seine Freude wurde jedoch getrübt durch einen Vorwurf, der dem König von seiner Frau Michal wurde. Als diese durch das Fenster sah und Davids Teilnahme an dem Reigentanz während des Festzuges wahrnahm, da sprach sie zu ihm: „Wie ehrenvoll hat sich heute der König von Israel benommen, da er sich vor den Augen der Mägde und seiner Knechte entblößt hat, wie es sonst nur Leichtfertige aus dem Volk tun!“ David aber in seiner Freude antwortete Michal: „Vor Jahve will ich tanzen. Gepriesen sei Jahve, der mich vor deinem Vater und deiner ganzen Familie erwählt hat, um mich zum Fürsten über Jahves Volk, über Israel zu setzen. Wenn ich tanze vor Jahve, so schätze ich mich noch nicht zu gering dafür und komme mir nicht zu niedrig vor. Aber bei den Mägden, von denen du redest, – bei ihnen werde ich an Ehre gewinnen.“

So gewiss der primitive Ausdruck der Freude Davids jener alten Zeit entsprach, so klar zeigte aber auch Michal, wie sehr ihrem Innenleben die Grundlage zum richtigen Verständnis der Freude Davids fehlte. Sie fühlte offenbar nicht das Bedürfnis, ihr Leben vor den Augen des Herrn zu führen, und es war für sie keine Entbehrung, dass die Lade Gottes nicht in Jerusalem zeltete. Man kann äußerlich auf allen Gebieten mit dem Reich Gottes verbunden sein und doch der Gegenwart des Herrn völlig fern bleiben. Vielfach sind es gerade die Menschen, die jede Lebensäußerung innerhalb des Reiches Gottes nur kritisch beobachten und alsdann in ihrem Herzen verurteilen. Was andren auf Grund bestimmter Erlebnisse mit Gott ein Ausdruck ihrer Glaubenshingabe, eine Bezeugung ihrer Freude und ihres Dankes ist, das ist ihnen nur eine verwerfliche Form, eine seelenlose Handlung ohne Inhalt und Sprache.

David hatte Jerusalem immer mehr als eine Residenz umbauen lassen und sie vor allen Dingen mit einem Königspalast, einem Arsenal und einem Staatsschatz geschmückt, in welchem die gewonnenen Kriegsbeuten aufbewahrt wurden. Als nun die Bundeslade nach Jerusalem gebracht worden war, kam dem König der Wunsch, dem Herrn auch ein Haus zu bauen (2.Sam. 7:1-29). Daher sprach er eines Tages zu seinem Propheten Nathan: „Siehe doch, ich wohne in einem Zedernpalast, während die Lade Elohims hinter Zeltdecken weilt“. Darauf erhielt David die Antwort von dem Propheten: „Wohlan, führe alles aus, was du nur immer planst, denn Jahve ist mit dir.“

Bald zeigte es sich jedoch, dass wohl der Prophet, aber nicht Gott gesprochen hatte. David hatte eine Antwort von Nathan, aber damit noch nicht von Gott erhalten. Niemals deckte sich ohne weiteres Prophetenwort auch mit Gotteswort. Der Prophet redet auch als Prophet immer nur insoweit Gottes Wort, als er solches vorher vom Herrn empfangen hat. Denn in der darauf folgenden Nacht erging das Wort Jahves an Nathan: „So spricht Jahve: Solltest du mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne? Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit der Zeit, da ich die Kinder Israel aus Mizrajim heraufführte bis zu diesem Tag, viel mehr zog ich hin und her in einer Zeltwohnung. Habe ich etwa, so lange ich mit allen Kindern Israels hin- und herzog, zu einem der Sopheten [Richter] Israels, denen ich geboten habe, mein Volk Israel zu weiden, gesagt: Warum habt ihr kein Zedernhaus gebaut? So sollst du nun zu meinem Knechte David sprechen: So spricht Jahve der Heerscharen: Ich habe dich von der Weide hinter dem Kleinvieh hinweggeholt, damit du Fürst über mein Volk Israel werdest. Und ich bin mit dir gewesen in allem, was du unternommen hast... und ich will ihm [meinem Volke] Ruhe geben vor allen seinen Feinden, und dich will ich groß machen und will dir ein Haus bauen.“ (2.Sam. 7:4-11).

Hier sprach mehr als ein Prophet. Es wird David in der Antwort durch Nathan so Grundsätzliches innerhalb des Reiches Gottes gesagt, das heute noch für allen Reichsgottesbau Bedeutung hat. Sobald der Mensch sich wie David in seinem Leben gesegnet und in seinen Handlungen begnadigt sah, glaubte er, dem Herrn einen Tempel bauen zu sollen. Er ahnt aber nicht, wie er dadurch je und je versuchte, Gott auf seine menschliche Stufe hinunterzuziehen. Der Mensch ist in seinem Wohnen abhängig von Zelten, Heimstätten und Palästen. Er bedarf in seiner Erdverbundenheit dieser Grundlagen für sein Sein und sein Handeln.

Aber Gott, dem alle Lande eine Fülle seiner Herrlichkeit sind, ist unendlich größer als alle Zelte und Tempel, die ihm gebaut werden können. Und nicht in einem Heiligtum aus Zedern, Marmor und Edelerzen wollte Gott unter Israel wohnen, sondern unter seinem Eigentumsvolke selbst. Sein Wohnen unter Israel sollte sich in der kleinsten Hütte wie im Palast, im Ackerbau wie im Opferkult, im Kampf mit den Feinden wie beim Lesen der Trauben im Weinberge offenbaren. Das Volk mit seinem Leid und seiner Freude, mit seinem Säen und Ernten, mit seinem Ringen und Ruhen sollte ihm jenes königliche Priestertum sein, in welchem er wohnen wolle. Zelte und Tempel können wohl heilige Kultusstätten sein, – Offenbarungsstätte der Gegenwart, Herrlichkeit und Majestät Gottes kann jedoch nur der Mensch sein, der als Geistesschöpfung allein Geisteswirkungen zu empfangen und zu bewerten vermag.

Welch ein ungemein feiner Zug liegt nun darin, wenn Gott in seiner Antwort David daran erinnert, dass er es war, der ihn von der Weide hinter dem Kleinvieh holte; er es war, der ihn zum Fürsten über ein auserwähltes Volk setzte; er es war, der ihm Ruhe vor seinen Feinden verschaffte und er es auch sein wird, der seinem Hause eine Zukunft zu geben vermag, die weit über die nächste Erbfolge hinausreichen soll. Aber wie selten hat auch später die Kirche Christi es begriffen, dass nicht sie dem Herrn einen Tempel baut, sondern sie selbst von Gott als Tempel erbaut wird. Wie oft hat sie Gottes Gegenwart aus ihrem Leben, ihrer Weltanschauung, ihrem Kulturaufbau, ihrer Staatspolitik in Tempel und Heiligtümer verbannt, und ihr Sein und ihre Zukunft unabhängig von Gott und dessen Aktivität gestaltet. Sie war sich selbst genug und lebte von der Eigengesetzlichkeit des einst von Gott Empfangenen.

In dieser Beugung des Königs unter die ihm gewordene Offenbarung kommt nun aber am stärksten zum Ausdruck, wie David tatsächlich ein Träger der Theokratie in Israel war. Auch als König beugte er sich in seinem Wollen unter die Autorität dessen, der zu ihm gesprochen: „Ich will dir ein Haus bauen“. In seinem Gebet bekundet daher David jene Dankbarkeit und Hingabe eines Gottesmenschen, der sich in seinem ganzen Werden und Gewordensein von Gott abhängig weiß. „Wer bin ich“, so sprach David in seiner Beugung, „Herr Jahve, und was ist mein Haus, dass du mich bis hierher gebracht hast? Und das war noch zu gering in deinen Augen, Herr Jahve, dass du auch in Bezug auf das Haus deines Knechtes für fernere Zeiten Verheißungen gegeben und mich auf Menschengeschlechter fernerhin hast sehen lassen, Herr Jahve! Und was soll David dir noch weiter sagen? Kennst du doch, Herr Jahve, deinen Knecht! Um deines Namens willen hast du das getan, dass du deinem Knechte kund tätest all das Große. Deshalb bist du groß, o Herr Jahve, denn keiner ist dir gleich, und es gibt keinen Gott außer dir nach alledem, was wir mit unsern Ohren gehört haben!“

Das war eine Antwort des Glaubens, wie sie nur durch Offenbarung geweckt werden konnte. Nachdem Gott gesprochen hatte, konnte auch David der Offenbarung gemäß sprechen. Wer im Lichte zu reden vermag, hat immer zuvor Licht geschaut. Eine Beugung und Anbetung, wie David sie nach empfangener Gottesantwort bekundete, waren nie Frucht eigener Frömmigkeit, sondern immer Wirkung vorangegangener Offenbarung. Und allein auf dieser Grundlage konnte auch die fernere Zukunft Davids und seines Hauses ruhen. Sie lag nicht in der einmal empfangenen Salbung und Königswürde, sondern in dem dauernden Empfangen und in der bleibenden Abhängigkeit von dem Gott, der als der Lebendige mit seiner Offenbarung zu allen Zeiten unter seinem Volk wohnen will. Denn im Blick auf Davids Nachkommenschaft hatte der Herr gesagt: „Ich will ihr Vater und sie soll mein Sohn sein, dass wenn sie sündigt, ich sie mit Menschenruten und mit menschlichen Schlägen züchtige, aber meine Gnade werde ich ihr nicht entziehen, wie ich sie dem entzogen habe, der vor dir gewesen ist“ (2.Sam. 7:14-16).

Auch im Gericht nicht verlassen, auch in der Fremde nicht untergehend, auch im Irren nicht ohne Ziel, auch in Weltkatastrophen nicht ohne Zukunft, auch in der Nacht nicht ohne Tagesahnungen – das bleibt bis heute das Geheimnis des Volkes Gottes! Wahrlich, der Gott, der berief, ist derselbe, der verwarf, und wird derselbe sein, der wiederherstellt! Das Edelmetall geht nicht verloren im Tiegel, wenn sein Schmelzer es von seinen Schlacken erlösen will.

David sah sich hinfort weiter vom Herrn gesegnet, seine Unternehmungen wurden mit Erfolg gekrönt, und seine Kriege führten zu einer Ausdehnung und Sicherung der Grenzen des Landes, wie Israel sie bisher nie besessen hatte. Es folgten „Sieg auf Sieg, Triumph auf Triumph, und häusliches Glück auf Glück.“ Und mitten in diesem Aufstieg vollzog David eine sehr feine und großmütige Tat (2.Sam. 9:1-13). Ungeachtet all der schweren Konflikte, in die er durch das Haus Sauls gekommen war, ließ er Meribaal, oder Mephiboseth, den lahmen Sohn seines Freundes Jonathan in seinen Palast bringen, damit er ständiger Gast an seiner königlichen Tafel sei. Nach dem Tod Isbaals waren Mephiboseth durch seinen Verwalter Ziba die Güter geraubt worden, während er selbst in einem kleinen Ort namens Lo-Dabar, auf der andern Seite des Jordans, elend und verlassen lebte. Auf Davids Befehl mussten die Güter dem Enkel Sauls zurückgegeben werden und Mephiboseth wurde nach Jerusalem gebracht. So triumphierte in David der Dienst der Liebe über alte, brutale Sitten orientalischer Vergeltung.