Davids tiefer Fall und seine Folgen

(2.Sam. 11 bis 12)

Mitten in der Glanzzeit seiner Regierung tat David einen tiefen sittlichen Fall. Wohl bald nach seinem 45. Lebensjahr, d. h. etwa im achten Jahr seiner Regierung über ganz Israel, zur Zeit als Joab als Feldhauptmann mit seinem Kampfesheer Rabba im Land der Ammoniter belagerte, sah David eines Abends im Bad die reizende Bethseba, die ihm zum Verhängnis wurde. Erst entehrte er sie und als er das Offenbarwerden der Folgen befürchten musste, nahm er sie sich über die Leiche ihres Mannes, des Hethiters Uria, zur Frau.

Um zu seinem Ziel zu gelangen, griff er zu den dunkelsten und widerlichsten Mitteln, zu denen der Mensch in seiner Verblendung fähig ist. So sehr manches durch die damals herrschende Sitte auf dem Gebiet der Moral und Ehe auch gestattet war und ohne Anstoß hingenommen wurde, – Davids Lüge, Tücke und Skrupellosigkeit überschritten jedoch jedes Maß. Wie wenig vermag doch auch eine noch so reiche Vergangenheit den Menschen vor einem Anstoß in der Gegenwart zu bewahren! Auch in seiner Bewährung bleibt der Mensch von Fall zu Fall abhängig von seinem Gott. Steht dem Menschen trotz all seiner Erfahrungen und Gotterlebnisse das Eigene in irgend einer Form eines Tages höher als Gott und der Nächste, dann schreitet er über Herzeleid, Tränen und Leichen hinweg. Grade Davids Fall lässt uns daher in menschliche Untiefen blicken, wie kaum ein zweites der biblischen Geschichtsbilder.

David fand auch nicht selbst aus diesem Fall mit seiner Nacht den Weg zu einer neuen Auferstehung. Erst als ein Gottesprophet ihm die ganze Tat dolmetschte, erkannte er im Licht Gottes sein Verbrechen, das zu seinem Tode führen müsse. Denn so hat Jahve gesprochen“, sagte der Prophet zum König, „Ich werde wider dich Unheil aus deinem eigenen Hause entstehen lassen, und ich werde deine eigenen Frauen vor deinen eigenen Augen wegnehmen und werde sie einem anderen geben, dass er angesichts dieser Sonne deinen Frauen beiwohnen wird. Denn du hast es heimlich vollbracht, ich aber will dieses Wort angesichts von ganz Israel und angesichts der Sonne vollbringen.“

Gott lässt sich von seiner Gerechtigkeit und seinen sittlichen Reichsgottesnormen auch von seinem Gesalbten nichts abmarkten. In seinem Reich gibt es keine doppelte Moral. Entweder unterwirft auch der Mann der Krone sich der göttlichen Gerechtigkeit und Lebensordnung, oder er scheitert an denselben trotz Salbung und Krone. Hätte David in Demut und Beugung nicht auch auf diese Offenbarung wieder geantwortet, er wäre an seinem Fall zu Grunde gegangen. Aber so tief sein Fall war, so tief beugte er sich unter demselben und Gott konnte in seiner Barmherzigkeit die Tat vergeben.

Die rühmliche Periode seines Lebens und seines königlichen Dienstes fand hier jedoch ihren Abschluss. Obgleich David noch etwa 25 Jahre lang regierte, so war diese Hälfte seiner Regierung voll von selten schwerer Tragik. Und alles floss aus dem engsten Kreise seines Hauses und Familienlebens. Es folgte Tragik um Tragik, unter denen David seelisch endlich zusammenbrach und die ihm jedes höhere Handeln raubten. Sein Einfluss war gebrochen. Nur im verborgenen Umgang mit Gott richtete seine Seele sich immer wieder auf und fand in seinen Psalmen Worte, wie sie nur die Edelsten aus ihren Tiefen heraus zu singen vermögen.

Die erste Bitterkeit durchkostete er, als ihm der Erstgeborene der Bethseba bald nach dessen Geburt starb (2.Sam. 12:15-23). Er empfand das Sterben des Kindes als Gericht. Es gibt Folgen der Sünde, die keine Vergebung hinweg nehmen kann. Nicht als ob die Vergebung nicht völlig wäre. Aber auch durch jeden schweren Fall wird etwas in unser Leben hineingebaut, das nicht mehr weggebrochen werden kann. So groß David nachher in seiner Vergebung auch erscheint, so viel Trost auch aus seinen Bußpsalmen nachher zu Gefallenen gesprochen hat, aus dem Gesamtbild Davids ist sein Fall mit der Bethseba niemals mehr hinwegzutilgen. Die Narbe blieb, welche die große Wunde zurückließ.

Ist der Mensch erst in seiner inneren moralischen Kraft gebrochen, dann gewinnt er auch keine moralische Kraft mehr, um andern auf diesen Gebieten zu dienen. So nahm auch die Schwäche Davids seinen Kindern gegenüber immer mehr zu und trug die übelsten Früchte. Er fand nicht den Mut und die Kraft, die Blutschande Amnons (2.Sam. 13:1-14) oder den Brudermord Absaloms zu strafen (2.Sam. 13:20-29). Wäre ihm nicht sein Feldhauptmann Joab mit seiner Energie und Entschlossenheit zu Hilfe gekommen, menschlich gesprochen wäre David an den Palastrevolutionen seiner Söhne elendiglich zu Grunde gegangen, gefallen durch seiner Söhne Hand. Als Joab zu entscheidenden Mitteln griff, um Absaloms geheimes Treiben unschädlich zu machen, sah sich dieser vom König hernach dennoch begnadigt (2.Sam. 13:39, 14:1-33). Absaloms Antwort war die Revolution. Bei diesem Ausbruch einer schamlosen Empörung gab der König Jerusalem auf und entfloh (2.Sam. 15:13-23).

Was kein äußerer Feind erreicht hatte, das erreichte eine unselige Frucht seines Lebens. So ging dem König Jerusalem verloren, und seine Freunde und das Volk trauerten über die Schmach. Israels Herrlichkeit war groß nach außen, aber innerlich gebrochen. Als David auf seiner Flucht bis nach Mahanaim kam, da musste er das Heer, das ihm folgte, sammeln, und Joab übernahm dessen Führung. Er führte den Kampf gegen den Aufstand mit Mut und Vorsicht, erstach jedoch Absalom, der den ruchlosen Aufruhr angezettelt hatte. Damit war der durch Davids Schwäche und durch des Sohnes Schandtat heraufbeschworene Revolutionskampf zu Ende. Aber anstatt dem Heer und dem Führer zu danken, trauerte David nur um seinen gefallenen Liebling. Nur dem mutigen Auftreten Joabs war es zu verdanken, dass sich der König schließlich dem Heer zeigte und dadurch dasselbe vor einer völligen Auflösung bewahrte (2.Sam. 19:1-8).

Aber was war Davids Dank? Dass er Amasa, dem Feldherrn seines ruchlosen Sohnes Absalom mit einem Eide feierlichst versprach, ihn an Joabs statt zum Feldhauptmann zu machen, falls es ihm gelänge, Absaloms Partei in Juda zu beruhigen. Die nächste Gelegenheit benutzte nun Joab, um Amasa zu beseitigen. Fast völlig ohnmächtig ergab sich der König in seine schicksalsschwere Lage und überließ hinfort uneingeschränkt Joab die Herrschaft über Heer und Volk.

In Gilgal brach bei der Rückkehr Davids nach Jerusalem ein neuer Aufstand und Bürgerkrieg aus und zwar zwischen Juda und den anderen Nordstämmen Israels. „Die Abgesandten aus Israel ärgerten sich darüber, dass ihnen die Judäer durch ihr früheres Eintreffen am Jordan den Rang abgelaufen hatten, und sie machten ihrem Unmut in bitteren Worten Luft. Auf beiden Seiten kam es zu scharfen Reden. Die Israeliten brüsteten sich, sie seien zehn Stämme und hätten obendrein das Erstgeburtsrecht; auch wären sie eher als die Judäer für den König eingetreten. Die Judäer blieben ihrerseits die Antwort darauf nicht schuldig; ja sie überboten die Israeliten noch an heftigen, verletzenden Ausdrücken. Plötzlich in der allgemeinen Verwirrung stieß der Benjaminit Seba in die Posaune und gab mit lauter Stimme die verhängnisvolle Losung aus: „Wir haben keinen Teil an David und kein Erbe am Sohn Isais; ein jeder eile in seine Heimat, Israel!“ Auf diesen Ruf scharten sich die Israeliten um Seba; nur die Judäer blieben David treu und brachten ihn nach Jerusalem.“ (Dr. Albrecht, „Geschichte des Volkes Israel“, Seite 103)

Wäre Juda auch noch abgefallen, dann hätte David den Zusammenbruch seiner ganzen Lebensarbeit erleben müssen. In dieser Not kam ihm wieder Joab zu Hilfe. Ihm gelang es, gegen Seba und die Nordstämme zu ziehen und Amasa in Juda zu beseitigen. In der Festung Abel-Bet-Maacha in der Nähe von Dan gelang es ihm, die Bürger der Stadt und die Streitkräfte Sebas einzuschließen. In dieser offenbar verzweifelten Lage warfen eines Tages die Bürger das Haupt Sebas über die Mauer und Joab zog seine Besatzung zurück. So wurde die bereits jetzt schon drohende Reichstrennung, die nach dem Tod Salomos nicht mehr aufzuhalten war, während der letzten Regierungsjahre Davids noch verhindert.

Aber Davids Leiden kamen nicht zur Ruhe. Als seine Kraft mehr und mehr zusammenbrach, da glaubte Adonia, der der älteste der königlichen Prinzen war, dass er allein für die Thronfolge in Frage käme. In dieser seiner Meinung sah er sich sowohl von der militärischen Macht, durch den Feldhauptmann Joab, als auch durch die geistliche Macht unter Führung des Hohenpriesters Abjatar bestärkt. Diese für ihn überaus günstige Stimmung ausnutzend, ließ sich Adonia bei einem Opfermahle seiner Freunde als König über Israel ausrufen (1.Kön. 1:5-10).

David hatte jedoch seinen Sohn Salomo von der schönen Bethseba zum Thronerben ausersehen. Er sah sich unterstützt durch den Propheten Nathan, durch den Hohepriester Zadok und durch den Führer seiner Leibwache Benaja. Als Adonias Ernennung bekannt wurde, ließ David gleich den jungen Salomo, der kaum erst zwanzig Jahre alt war, zur Zionsburg am Tal Gihons führen und in Gegenwart einer großen Volksmenge öffentlich durch den Propheten Nathan und den Hohenpriester Zadok zum König über ganz Israel und Juda salben (1.Kon. 1:28-49). Durch den Akt wurde eine neue, ungeheure Aufregung unter das Volk getragen. Die eine Partei rief von den östlichen Bergen: Es lebe der König Adonia!“, und die andern riefen von den westlichen Hügeln: „Es lebe der König Salomo!“

Nur dem Umstande war es zu verdanken, dass kein neuer Bürgerkrieg ausbrach, dass Adonia unter der Zusicherung seiner Begnadigung schließlich zurücktrat und ebenfalls Salomo als zukünftigen Herrscher über Israel seine Huldigung darbrachte.

So ward Davids Lebenskelch zuletzt bis an sein Lebensende mit Bitterkeiten über Bitterkeiten gefüllt. Bevor er zu seinen Vätern ging, übergab er noch Salomo sein Testament (1.Kön. 2:1-12), das ebenfalls keinen reinen Charakter mehr trug. Zwar empfahl er seinem Sohn, alles zu beachten, was der Herr durch Mose geboten habe, aber der Schluss seiner Weisung atmete Bitterkeit und Vergeltung. Anstatt in königlicher Großmut Vergangenes zu vergeben und zu zudecken, um eine völlig neue Zukunft für das ganze Volk unter dem neuen Gesalbten beginnen zu lassen, wurden alte Sünden und Vergehen selbst der treuesten Freunde Davids aufgezählt und die Vergeltung als ein Erbe Salomo übergeben. Am Herzen Gottes hatte dies David, dem so viel vergeben worden war, nicht gelernt. Der dunkle Schatten seiner letzten Regierungszeit fiel selbst auf sein Kranken- und Totenbett. Die Theokratie hatte längst in David ihr Wort verloren, sie musste schweigen auch im letzten Testament ihres Trägers.

Offenbar nur zuletzt leuchtete das Göttliche noch einmal in voller Klarheit auf und verklärte Davids Tod. Denn ihm werden letzte Worte (2 Sam. 23:1-7) von der biblischen Überlieferung zugeschrieben, die uns ihn wieder als den Gesalbten des Herrn in der ganzen Größe seiner Hingabe und Glaubensstärke sehen lassen. Unter allem Schutt loderte die göttliche Flamme noch einmal empor und verriet das göttliche Leben, das auch in den dunkelsten Zeiten nicht erstickt worden war:

„Der Geist Jahves redete durch mich,

Und sein Wort ist auf meiner Zunge.

Der Gott Jakobs sprach,

Zu mir redete der Fels Israels:

Wer gerecht über Menschen herrscht,

Herrscht in der Furcht Gottes,

Der ist wie das Licht, das am Morgen aufleuchtet,

Wie die Sonne am Morgen ohne Wolken,

Die hervorsprossen lässt (nach dem Regen) grünes Kraut aus der Erde.“

Danach starb David nach vierzigjähriger Regierung in seinem 70. Lebensjahr und wurde zu Jerusalem in der Davidsstadt begraben. Mit ihm ging ein Leben zu Ruhe, das selten reich an schwersten Konflikten und sichtlichen Erfolgen für das Wohl seines Volkes gewesen war. Es kann uns dessen Geheimnis nur gelöst werden durch den Psalm, den dieses Leben sang.