Der Charakter des Kleinglaubens

Gerade beim Studium des Wortes Gottes ist es wichtig, dass wir Begriffe klären. Es kann unserem Bibelstudium einen ganz anderen Tiefgang geben, wenn wir die biblische Bedeutung von Begriffen gründlich erfassen. Wenn wir uns Gedanken machen, beispielsweise über die Bedeutung der Begriffe «Sünde», «Liebe», «Sanftmut» oder auch «Ernst» aus biblischer Sicht. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Begriff «Kleinglaube». Was genau können wir eigentlich unter dem Begriff «Kleinglaube» verstehen? Was ist der Charakter des Kleinglaubens und was schließt er ein?
Kleinglaube ist eine Mischung aus Glauben und Unglauben. Er ist nicht wirklich Unglaube, denn in dem ganzen Gewirr von Gedankengängen und Handlungen ist durchaus auch Glaube zu finden. Es ist aber auch nicht wirklich Glaube. Denn die Höhe von unbeirrbarem Gottvertrauen erreicht der Kleinglaube nie, dazu ist er viel zu widersprüchlich und mit Unglauben durchsetzt. Kleinglaube ist also eine Mischung aus Glauben und Unglauben. 
Mischungen können durchaus segensreich sein. Ich kann z. B. Stahl von besonderer Qualität produzieren, wenn ich Metalle mische. Wenn ich dem Eisen noch Anteile von Chrom, Nickel oder Mangan hinzufüge, kann der Stahl Eigenschaften bekommen, die ich sonst nie erreichen könnte.
Es kann aber auch das Gegenteil eintreten. Im Laufe der Jahre ist man immer wieder der Frage nachgegangen, warum die Titanic eigentlich gesunken ist. Erstaunlicherweise kam man dabei auch auf ein Ergebnis, mit dem eigentlich kaum jemand gerechnet hätte. Nämlich, dass die Metallurgie einen ganz entscheidenden Anteil hatte, also die Qualität des verwendeten Stahls im Schiffsrumpf. Man konnte nachweisen, dass der Schwefelgehalt in den Stahlplatten ungewöhnlich hoch war. Das hatte zur Folge, dass der Stahl sich schlechter verformen ließ und schneller brach. Bei normalem Stahl hätte der Schiffsrumpf den Stoß des Eisbergs besser auffangen können. Die Stahlplatten wären zwar stark verformt und zerbeult worden, aber es wären nicht so viele aufgerissen. Das Schiff wäre natürlich auch stark lädiert gewesen, aber es wäre wahrscheinlich nicht so viel Wasser eingedrungen, dass das Schiff hätte sinken müssen. Die Vermischung von Stahl mit diesem Schwefelgehalt führte letztlich in die Katastrophe!
Wir finden im Buch Daniel ein sehr ähnliches Beispiel: «Du, o König, schautest, und siehe, ein erhabenes Standbild. Dieses Bild war gewaltig und sein Glanz außergewöhnlich; es stand vor dir, und sein Anblick war furchterregend. Das Haupt dieses Bildes war aus gediegenem Gold, seine Brust und seine Arme aus Silber, sein Bauch und seine Lenden aus Erz, seine Oberschenkel aus Eisen, seine Füße teils aus Eisen und teils aus Ton. Du sahst zu, bis sich ein Stein losriss ohne Zutun von Menschenhänden und das Bild an seinen Füßen traf, die aus Eisen und Ton waren, und sie zermalmte. Da wurden Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold miteinander zermalmt; und sie wurden wie Spreu auf den Sommertennen, und der Wind verwehte sie, sodass keine Spur mehr von ihnen zu finden war. Der Stein aber, der das Bild zertrümmert hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde. Das ist der Traum; nun wollen wir vor dem König auch seine Deutung verkünden:»
«Du, o König, bist ein König der Könige, dem der Gott des Himmels das Königtum, die Macht, die Stärke und die Ehre gegeben hat; und überall, wo Menschenkinder wohnen, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels, hat er sie in deine Hand gegeben und dich zum Herrscher über sie alle gemacht; du bist das Haupt aus Gold! Nach dir aber wird ein anderes Reich aufkommen, geringer als du; und ein nachfolgendes drittes Königreich, das eherne, wird über die ganze Erde herrschen. Und ein viertes Königreich wird sein, so stark wie Eisen; ebenso wie Eisen alles zermalmt und zertrümmert, und wie Eisen alles zerschmettert, so wird es auch jene alle zermalmen und zerschmettern.»
«Dass du aber die Füße und Zehen teils aus Töpferton und teils aus Eisen bestehend gesehen hast, bedeutet, dass das Königreich gespalten sein wird; aber es wird etwas von der Festigkeit des Eisens in ihm bleiben, gerade so, wie du das Eisen mit lehmigem Ton vermengt gesehen hast. Und wie die Zehen seiner Füße teils aus Eisen und teils aus Ton waren, so wird auch das Reich zum Teil stark und zum Teil zerbrechlich sein. Dass du aber Eisen mit Tonerde vermengt gesehen hast, bedeutet, dass sie sich zwar mit Menschensamen vermischen, aber doch nicht aneinander haften werden, wie sich ja Eisen mit Ton nicht vermischt.»
«Aber in den Tagen jener Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht untergehen wird; und sein Reich wird keinem anderen Volk überlassen werden; es wird alle jene Königreiche zermalmen und ihnen ein Ende machen; es selbst aber wird in Ewigkeit bestehen;  ganz so, wie du gesehen hast, dass sich von dem Berg ein Stein ohne Zutun von Menschenhänden losriss und das Eisen, das Erz, den Ton, das Silber und das Gold zermalmte. Der große Gott hat den König wissen lassen, was nach diesem geschehen soll. Und der Traum ist zuverlässig, und seine Deutung steht fest! Da fiel der König Nebukadnezar auf sein Angesicht und verneigte sich tief vor Daniel und befahl, ihm Speisopfer und Räucherwerk darzubringen.» (Dan. 2,31-46)
Also, das ganze Standbild fiel zusammen, als der Stein auf die Füße fiel. Das war allerdings auch naheliegend, denn gerade die Füße waren weder aus Gold noch aus Silber oder aus Erz oder Eisen, sondern aus einer Mischung, der auch wir nicht allzu viel zugetraut hätten. Die Mischung aus Eisen und Ton hält eben nicht viel aus. So ähnlich ist auch die Mischung von Glauben und Unglauben. 
Selbst dann, wenn uns klar geworden ist, wie sehr der «Tonanteil» die Stabilität unseres Glaubenslebens beeinträchtigt, kann es uns noch einen echten Kampf kosten, zu einem gesunden und biblischen Glaubensleben zu finden, in dem diese Anteile nicht mehr zu finden sind. Nicht selten kann es uns so gehen, wie es in Markus 9,24 heißt: «Und sogleich rief der Vater des Knaben mit Tränen und sprach: Ich glaube, Herr; hilf mir, [loszukommen] von meinem Unglauben!»
Wir können an dieser Stelle einen kurzen Test machen, um zu prüfen, ob dieses Thema auch für uns wichtig sein könnte: Die Schrift lehrt uns, dass Gott unser Vater ist. Der Gott, den das Universum nicht fassen kann, genau dieser Gott liebt uns tiefer als der beste Vater es je tun könnte. Er liebt uns mit einer Liebe, die größer und reiner ist als alles, was wir kennen und uns vorstellen können. Wir bekennen das auch und beten «Unser Vater im Himmel»! Kann es sein, dass wir zwar sagen, dass Gott unser himmlischer Vater ist, aber dennoch so denken und handeln, als wäre das gar nicht der Fall? Könnte es vielleicht sein, dass, wenn wir uns ehrlich untersuchen, wir einen Widerspruch in uns feststellen und eine erstaunliche Inkonsequenz. Müssten wir mit Sorgen und Ängsten nicht ganz anders umgehen, wenn Gott wirklich unser himmlischer Vater wäre? Wenn Gott wirklich unser himmlischer Vater ist, müssten unsere Gebete nicht viel mehr Hoffnung und Erwartung ausdrücken? Müssten wir in schwierigen Lagen nicht deutlich zuversichtlicher und mutiger sein? Müssten wir nicht gelassener und getroster leben? Müsste man in unserem ganzen Denken nicht viel mehr Frohsinn und Dankbarkeit finden können? Müssten wir nicht auch viel zuversichtlicher mit Menschen über Christus sprechen können? Und müsste unser ganzes Gottdienen nicht insgesamt viel mehr Ausdauer haben, auch dann, wenn es schwierig wird, Christus nachzufolgen?
Wenn Gott wirklich unser himmlischer Vater ist, müsste dann nicht auch die Geradlinigkeit kindlichen Glaubens deutlicher bei uns zu finden sein (Lk. 18,17)? Und müssten wir uns nicht viel konsequenter an den Unsichtbaren halten, als sähen wir ihn (Hebr. 11,27)?
Wenn wir uns jetzt ehrlich prüfen und zu dem Ergebnis kommen, dass da überhaupt keine Inkonsequenz in uns zu finden ist, dann ist diese Ausarbeitung sicher nicht sonderlich wichtig für uns. Ansonsten aber könnte sie uns wirklich etwas zu sagen haben. Denn nicht nur wir, sondern auch David hatte dieses Problem.