Hast du mich lieb?

In meiner Kindheit morgenfrischen Tagen,

Inmitten Träumerei’n von ird’scher Lust,

Hört ich, wie Glockenton in meiner Brust,

Des Heilands Stimme freundlich ernst mich fragen:

„Hast du mich lieb?“

 

Und abermals, als sonnbeglänzte Pfade

Mich führten auf des Lebens schönsten Höhn,

Da trat mit wunderbarem Siegsgetön

Mein Herr zu mir und sprach voll Huld und Gnade:

„Hast du mich lieb?“

 

Und heute, in dem Todesschatten-Tale,

Von allem Trost, von aller Freude fern,

Vernimmt mein bebend Ohr das Wort des Herrn,

Und seine Stimme fragt zum dritten Male:

„Hast du mich lieb?“

 

„Ja!“, sagt ich einst, mit hoffnungsreichem Sehnen;

„Ja!“, rief ich wieder, voller Liebesglut.

Heut aber, Herr, – betrübt ist Herz und Mut, –

Heut lausch ich deiner Frage unter Tränen:

„Hast du mich lieb?“

 

Und dennoch, ob ich arm bin und geringe,

Ob mir gleich Leib und Seel verschmachtet schier,

Ich fühl es doch: Du bist das Liebste mir!

O Herr, mein Herr! Du weißest alle Dinge:

„Ich hab dich lieb!“