Durch Zögern wird nichts gewonnen

Es mag Angelegenheiten geben, bei deren Erledigung es ratsam ist zu zögern, vielleicht sogar notwendig. Dadurch mag Zeit zur ruhigen Überlegung, zur Überwindung von Schwierigkeiten und zur besseren Vorbereitung für das bevorstehende Werk gewonnen werden. Der erfahrene General zögert mit dem Angriff auf den Feind, um die günstigste Gelegenheit abzuwarten. Der Kaufmann wartet die günstigste Zeit ab, seine Waren einzukaufen oder zu verkaufen. Von welchem Nutzen kann aber das Zögern in der Aneignung des Seelenheils sein?

Der Leser mag fühlen, dass ihm große Schwierigkeiten im Wege stehen, und sich der Hoffnung hingeben, dass diese später beseitigt würden. Doch kann er sicher sein, dass diese Schwierigkeiten, welcher Art sie auch sein mögen, durch Zögern niemals entfernt, sondern nur vergrößert und vermehrt werden.

Stets gibt es Hindernisse, die dem Sünder im Weg stehen, wenn er zu Gott zurückkehren will. Hindernisse, die er nur durch die göttliche Gnade überwinden kann. Doch sie werden nie geringer sein, als es heute der Fall ist. Jedes längere Zögern errichtet nur neue Schranken und macht deine Bekehrung weniger wahrscheinlich.

Was hoffst du denn, durch dein Zögern zu erreichen? Mehr Licht und Erkenntnis? Ist denn der Weg der Pflicht nicht deutlich genug bezeichnet? Ist dir nicht eine vollständige Offenbarung des göttlichen Willens gegeben? Vernimmst du nicht unaufhörlich die himmlische Stimme, die da spricht: „Dies ist der Weg, den gehet“ (Jes. 30,21)?

Zweifelst du an der Wahrheit und Aufrichtigkeit des Christentums? Dann prüfe in aller Aufrichtigkeit die Ansprüche, die das Evangelium an dein Vertrauen stellt. Nimm deine vernachlässigte Bibel zur Hand und lies sie mit dem ernsten Verlangen, die Wahrheit festzustellen. Wenn du etwas nicht verstehen kannst, so bringe es im Gebet zum Herrn und bitte ihn, den „Vater des Lichts“ (Jak. 1:17), auch dich zu erleuchten und auf den Weg des Heils zu führen. Denn „Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg“ (Ps. 25,9).

William Wirt, Oberstaatsanwalt der Vereinigten Staaten und Präsidentschaftskandidat, war lange Zeit ein Gottesleugner. Schließlich legte er aber doch das Geständnis ab, dass die Lehrsätze des Unglaubens ihn nie befriedigt hätten, und dass er stets die Empfindung hatte, dass es gefährlich sei, sich darauf zu verlassen. Er ließ sich dazu bewegen, die Ansprüche des Christentums gleich einer gerichtlichen Sache zu untersuchen. Und nachdem er die gründlichste und eingehendste Untersuchung angestellt hatte, war er davon überzeugt, dass das Christentum göttlichen Ursprungs und die Bibel Gottes Wort sei. Die Folge war, dass er den Heilsweg betrat und Christus als seinen Erlöser annahm.

„Aber,“ sagt jemand, „die Bibel ist voller Geheimnisse, die ich erst ergründet haben möchte, ehe ich ein Christ werde.“ Ja, es sind Geheimnisse, und kein menschlicher Geist wird je imstande sein, sie jemals alle zu ergründen, denn „kannst du die Tiefe Gottes erreichen oder das Wesen des Allmächtigen ergründen?“ (Hiob 11,7). Doch so weit auch manche der Lehren und Geheimnisse des Christentums unserem beschränkten Verstand überlegen sein mögen, so wurden doch noch keine gefunden, die dem Verstand zuwider sind. Auch werden uns diese Lehren nicht enthüllt als etwas, das wir völlig erfassen und verstehen sollen und müssen, sondern als Glaubensdinge, die auf die göttlichen Aussagen gegründet sind.

Es ist nicht notwendig, dass du alle Tatsachen und Lehren des Christentums völlig erfassen und verstehen musst, um dich der Segnungen des Heils erfreuen zu können. Ebenso wenig wie es notwendig ist, dass du den Verdauungsprozess verstehst, um Nutzen aus der Speise, die du genießest, zu bekommen. Von dir wird nur gefordert, die großen Wahrheiten der göttlichen Offenbarungen im Glauben zu erfassen, auch wenn sie noch so weit über deine Erkenntnis erhaben sind. Dann werden sie sich an dir als „eine Kraft Gottes, die da selig macht,“ erweisen (1.Kor. 1,18).

Aber warum, lieber Leser, solltest du dich mit Dingen beschäftigen, die alles menschliche Wissen weit übersteigen? Denn die Frage, die dich betrifft und die für dich von der größten Wichtigkeit ist, lautet: „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ Diese Frage ist von so großer Wichtigkeit, dass sie alles andere in den Schatten stellen sollte, bis dass sie endgültig erledigt ist. Du solltest vor allem wissen, was du zu tun hast, um der furchtbaren Strafe, die auf der Sünde ruht, zu entgehen, und wie das Ebenbild Gottes in dir wiederhergestellt werden kann. Niemand könnte sagen, dass die Heilige Schrift in Bezug auf diese Sache dunkel oder undeutlich sei. Gott hat den Weg des Lebens so deutlich bezeichnet, dass auch ein Tor nicht irregehen kann. Er hat uns ein Buch gegeben, das uns zeigt, wie wir vor ihm gerechtfertigt werden können. Und niemand, der es mit betendem Herzen liest und mit einem Verlangen, den rechten Weg zu finden, wird vergeblich suchen, sondern wird in alle Wahrheit geleitet werden.

Doch mag es sein, dass der Leser sich nicht nach mehr Erkenntnis sehnt, sondern dass es ihm an der nötigen Sündenüberzeugung fehlt. „Es mangelt mir nicht an Verständnis,“ sagst du vielleicht, „denn ich habe meine Pflicht erkannt. Ich weiß, dass der in der Bibel beschriebene Weg der rechte ist, und dass außer Christus nirgends Heil zu finden ist. Aber mir fehlt die rechte Erkenntnis meines gefallenen und verlorenen Zustands, die rechte Sündenüberzeugung. Wie kann ich nun in einem solchen Zustand das mir angebotene Heil annehmen?“

Willst du wohl das, was Gott als einen Frevel ansieht, als eine Entschuldigung vor ihn bringen? Eben diese Unempfindlichkeit ist schon eine große Sünde in Gottes Augen. Sie ist kein bedauerlicher Umstand, sondern eine Folge davon, dass du die Warnungen, die Gott beständig an dich ergehen ließ, vernachlässigst und missachtet hast. Niemand kann ernstlich über seinen verlorenen Zustand nachdenken und sich die große Gefahr, vom Tode übereilt zu werden und verloren zu gehen, vergegenwärtigen, ohne von einem tiefen Ernst und einer großen Besorgnis um sein Seelenheil befallen zu werden. „Mein Volk vernimmt’s nicht“ (Jes. 1,3). „Keiner ist, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was mache ich doch!“ (Jer. 8,6).

Ich bin unempfindlich! Welch ein Vorwand für eine arme, sündige Kreatur, die unter dem Fluch des göttlichen Gesetzes steht, das sie übertreten hat! Der Leser mag mehr Sündenüberzeugung haben, als er zugeben will; mehr, denn er selbst zu haben meint. Woher kommen diese beängstigenden Gedanken an die Zukunft? Woher diese Furcht vor dem zukünftigen Gericht? Was verursacht diese inneren Vorwürfe, die einer Pflichtversäumnis folgen?

Es ist wahr, dass Sündenüberzeugung notwendig ist und der Bekehrung vorangehen muss, aber es ist schwer darüber zu bestimmen, welcher Grad dieser Überzeugung erforderlich wäre. Es gibt solche, die scheinbar nur wenig Sündenüberzeugung haben und dennoch Christen werden, während diejenigen, die von ihrem Schuldgefühl fast überwältigt werden, doch in ihrem Zustand verharren. Es ist nicht die Tiefe deiner Sündenüberzeugung, die dir das Heil sichert, sondern die tatsächliche Unterwerfung und Übergabe deines Herzens und Lebens an den Herrn.

Tue das, was du bereits als deine Pflicht erkannt hast. Und es wird nicht lange währen, bis du neue Entdeckungen machen und mehr Licht bekommen wirst, nicht nur über die Schrecklichkeit der Sünde, sondern auch über die Fähigkeit und Bereitwilligkeit Christi, dir zu helfen, über die Größe deines Heilands. Du weißt, dass du ein Sünder bist. Warum tust du dann nicht Buße? Du weißt, dass nur Jesus dich retten kann. Warum nimmst du dann nicht zu ihm deine Zuflucht? Du weißt, dass du eine hilfsbedürftige Kreatur bist, die gänzlich auf Gott angewiesen und von ihm abhängig ist. Warum bittest du ihn dann nicht um seinen Beistand?

Was kannst du sonst noch durch dein Zögern zu gewinnen hoffen? Werden die Heilsbedingungen geändert und leichter gemacht werden? – Niemals. Warum sollten sie geändert werden? Sind sie nicht eben derart, wie sie sich für Gott geziemen, ihn ehren und gleichzeitig auch den Bedürfnissen der Menschen entsprechen? Sind sie nicht sowohl auf die unendliche Weisheit, als auch auf das unendliche Wohlwollen und Erbarmen Gottes gegründet? Gott rettet die Menschen auf die von ihm vorgeschriebene Weise und auf keine andere. Es gibt für den Sünder keinen anderen Weg. Er muss entweder Buße tun oder verloren gehen, Glauben üben oder der Verdammnis anheimfallen.

Werden die Beweggründe zur Frömmigkeit jemals stärker und mächtiger werden? Wie könnte das überhaupt sein? Welche neue Wahrheiten könnten enthüllt werden? Könnte das Heil in dringenderer Weise angeboten werden? Könntest du dir einen Himmel vorstellen, der herrlicher, oder eine Hölle, die schrecklicher; eine Liebe, die zarter und inniger, oder eine Verpflichtung, die heiliger und bindender ist, als du sie im Evangelium beschrieben findest? Es liegen Beweggründe für dich vor, die sowohl von dieser Zeit als auch von der Ewigkeit ausgehen. Beweggründe, die sowohl Hoffnung als auch Furcht in dir erwecken sollen. Sie richten sich an dein Verständnis, an dein Gewissen und an deine Gefühle. Wäre das menschliche Herz nicht so hartnäckig und seine Verdorbenheit nicht so groß, so könnte es diesen Beweggründen nicht länger widerstehen. Niemals können ernstere und feierlichere Wahrheiten dem Menschen zu Gemüt geführt werden. Und wenn diese Wahrheiten ihn nicht bewegen, so ist keine Hoffnung für ihn, dass er das Heil je erlangen wird. Niemals kann oder wird Gott ein heiligeres, gerechteres und wohlwollenderes Gesetz erlassen. Er kann uns keinen Heiland geben, der mächtiger und williger ist, uns zu helfen. Er kann uns keinen herrlicheren Himmel und keine schrecklichere Hölle in Aussicht stellen.

Wiederum frage ich: „Werden deine Umstände und Verhältnisse später geeigneter sein? Ich fürchte, nicht. Die gelegene Zeit, von der du träumst, mag niemals kommen. Du hast schon lange, jedoch vergeblich, auf eine solche Zeit gewartet. Für einen Sünder wird es stets mehr oder weniger unangenehm sein, sich zu Gott zu wenden. Dies ist schon in der Kindheit und in der Jugend der Fall – wie viel mehr noch im fortgeschrittenen Alter! Doch wie hoch dein Alter und wie deine Verhältnisse auch sein mögen, es bedarf eines festen Entschlusses und einer starken Anstrengung deinerseits, um die Bande zu brechen, die dich an das Vergängliche binden. „Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt tun, die reißen es an sich“ (Mt. 11,12).

Wird der Einfluss, den der Heilige Geist auf dein Gemüt ausübt, jemals mächtiger werden? Welchen Grund hast du für eine solche Hoffnung? Der Geist Gottes mag schon lange aufs mächtigste an dir wirken. Und wenn du diesem Einfluss widerstanden hast, so kannst du nicht auf noch mächtigere Einwirkung hoffen. Im Gegenteil, wenn du dem Geist Gottes beständig Widerstand entgegensetzest, so mag er auf immer von dir weichen. Und wenn er auch noch mächtiger an dir wirken sollte, so kann dieselbe Härte und Verdorbenheit des Herzens, die dich bis jetzt zurückhielt, dich auch fernerhin bewegen, ihm zu widerstehen.

Wird Christus jemals williger sein, dich zu retten? Du könntest ebensowohl seine Macht wie seine Willigkeit, dich zu erlösen, in Frage stellen. Er ist mit zartester Liebe und innigstem Mitleid und Erbarmen gegen dich erfüllt. Seine Arme sind ausgebreitet, um dich an sein liebendes Herz zu ziehen, sobald du dich nur entschließest, zu ihm zu eilen. Welche Bedeutung haben alle seine Einladungen und Verheißungen? Was bedeuten die Tränen, die er vergoss, und die Pein, die er litt? Warum ladet er dich so unaufhörlich zu sich ein und wird nicht müde, dir nachzugehen? Warum steht er vor des Herzens Tür und bittet um Einlass? Warum hat er dich verschont und so viel Geduld mit dir gehabt, da du doch nichts als Zorn verdientest? Welchen Bußfertigen hat er je von sich gestoßen? Hat er jemals seine Ohren vor dem Schrei eines Hilfsbedürftigen verschlossen?

Würde er den Bußfertigen verstoßen, so würde er sein eigenes Wort zu Schanden machen und seine Liebesabsichten vereiteln. Dann würden Engel ihren Lobgesang einstellen und Teufel triumphieren. Vertraue ihm und du wirst nicht enttäuscht werden. Wenn du mit einem wahrhaft bußfertigen und nach Gnade schreienden Herzen verloren gehst, so bist du der erste, dem so etwas widerfahren ist. Fort mit diesem Geist des Unglaubens! Nimm Gott bei seinem Wort und lege dich vertrauensvoll in seine Hände.

Willst du dich erst in einen geeigneteren Zustand versetzen, um zu Christus zu kommen? Er verlangt nichts weiter von dir, als dass du dein Bedürfnis empfindest und dann mit dankbarem Herzen das Heil annimmst, das er dir aus Gnaden frei anbietet. Mache nicht den Versuch, dir teilweise selbst zu helfen, dich teilweise selbst zu retten und dann zu ihm zu kommen, um das Werk zu vollenden. „Ihr seid vollkommen in ihm“ (Kol. 2,10). Er muss unser alles sein, sonst ist er uns gar nichts. Komme so, wie du bist: arm und hilflos, nackt und blind.

Ich habe gesagt, dass durch Zögern nichts gewonnen werden kann, und möchte nun noch hinzufügen: Es geht dadurch sehr viel verloren. Du verlierst dadurch all die Zeit, die du nun in der Sünde lebst, und alle Gelegenheiten Gutes zu tun, die sich dir jetzt bieten. Du verlierst jenen süßen Frieden, der in das Herz einzieht, sobald du dir der Vergebung deiner Sünden bewusst bist. Und deine Aussichten, jemals Vergebung zu erlangen, werden mit jedem Tag ungünstiger. Deine Sünden, die jetzt schon so zahlreich sind, wie der Sand am Meer, werden täglich zahlreicher und erfordern eine um so tiefere Demütigung und gründlichere Buße. Anstatt die Macht der Sünde zu schwächen, werden durch dein Zögern die Bande, die dich an sie ketten, nur noch um so mehr gefestigt.

Es ist eine Kleinigkeit, eine Eichel zu zerdrücken. Lass aber eine Eiche daraus hervorwachsen, so wird kein menschlicher Arm so leicht imstande sein, sie auszurotten. Wir alle kennen die Macht der Gewohnheit. Es ist ein Naturgesetz, dass sündige Gewohnheiten je stärker werden, je länger wir daran festhalten. Wenn du deinen Halt an der Welt jetzt nicht aufgeben kannst, wann wirst du es tun können? Wenn du dich den Einflüssen, die dich dem Verderben zuführen, jetzt nicht widersetzen kannst, wann wirst du es tun können? Jede neue Übertretung bringt dich weiter von Gott und dem Himmel hinweg. Je länger die Buße aufgeschoben wird, je schwerer wird diese werden, da die Abneigung dagegen mit jedem Tag des Zögerns größer wird. „Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Parder seine Flecken? So könnt ihr auch Gutes tun, die ihr des Bösen gewohnt seid“ (Jer. 13,23).