Strom und Bächlein

Ein Bächlein wanderte froh und hell

Durchs grüne duft’ge Tal,

Es plätscherte über die Kiesel hin

Und glänzte im Sonnenstrahl.

Es plauderte sanft mit den Blumen all,

Die es traf auf seiner Bahn

Und „Vorwärts! Heimwärts!“, sang es leis,

„Ja, heim zum Ozean!“

 

Auf Bergeshöhn ein Strom entquoll

Und eilte herab ins Gefild;

Die Felsen, sie konnten ihn halten nicht

Im Laufe kühn und wild.

Die Alpenröschen flehten leis:

„O treib bei uns dein Spiel!“

Ernst sprach er: „Wunderschön ist’s hier,

Doch ist das Meer mein Ziel!“

 

Und sieh! Im kühlen Talesgrund

An eines Waldes Rand,

Wo rings Vergissmeinnichte blühn,

Der Strom das Bächlein fand.

„Wohin? Wohin?“, fragt er behend,

„Du liebes Bächlein, du?“

„Zum Meer,“ sprach es, „zum tiefen Meer,

Denn dort erst find ich Ruh.“

 

„Dein Ziel ist meins,“ so jubelt er,

„Dein Hoffen ist auch mein;

O komm mit mir, den weiten Weg

Lass nicht uns ziehn allein!“

Gar leis erklang des Bächleins „Ja!“

Im stillen Waldesdom,

Und strahlend in des Himmels Licht

Ward eins es mit dem Strom.

 

Und nun zusammen eilen sie

Zum weiten Meere hin;

Eins sprach dem andern freundlich zu,

Eins stärkt des andern Sinn.

Oft ging durch sonn’ges Wiesenland,

Durch Schatten oft die Bahn;

Doch froh erreichten sie ihr Ziel,

Den herrlichen Ozean!

 

O Bruder, Schwester, wunderbar

Vereint durch Gottes Hand!

Zieht freudig aus! Der Herr mit euch,

Durchs ganze Erdenland.

Und ob euch glänzt des Glückes Strahl,

Ob’s dunkel um euch her,

Behaltet fest im Aug das Ziel,

Des Himmels Freudenmeer!