Das verlorene und wiedergefundene Paradies

O des Tags voll Furcht und Todeswehe,

Da von seines Gottes sel’ger Nähe

Der gefallne Mensch musst jäh entfliehn!

O des Tags voll bittrer Not und Grauen!

Von des Paradieses lichten Auen

Musst er in die öde Ferne ziehn.

 

Nach dem ewig grünen Baum des Lebens

Sehnt sich seine Seel hinfort vergebens,

Denn der Zugang ist von Gott verwehrt.

Draußen vor dem holden Friedensorte

Lagern Cherubim sich an der Pforte,

Schwingen hoch ihr feuerflammend Schwert.

 

Weh! Der Mensch, von seinem Gott geschieden,

Findet Ruhe nicht noch Freud hienieden,

Dürstet ahnend nach verlornem Glück.

Ob mit Heldenkraft er’s will gewinnen,

Ob im heißen Kampf ihm Tränen rinnen:

Nichts gibt ihm das Paradies zurück.

 

Und es treten her die alten Weisen,

Sinnen, forschen, neue Bahnen preisen.

Doch das Vaterhaus, sie finden’s nicht,

Denn das Schwert, es brennt nach allen Seiten;

Keiner, keiner kann vorüberschreiten.

Nur dem Glauben strahlt ein Hoffnungslicht.

 

Da ist abermal ein Tag gekommen

Schwarz wie Nacht. Doch sieh, es ist entglommen

Aus der Dunkelheit ein heller Schein!

Denn der Gottessohn, der Menschgeborne,

Macht sich auf, den Menschen das verlorne

Paradies zu bringen wieder ein.

 

Nicht ein neues Tor hat er durchbrochen,

Nicht ein Machtwort hat er bloß gesprochen;

Nicht entschlägt er sich des scharfen Schwerts,

Nein, er beugt sich unter dessen Klinge,

Fasst’s in seine Arme, dass es dringe

In sein starkes, treues Heilandsherz.

 

Da erlischt die heil’ge Zornesflamme

In dem reinen, teuren Blut vom Lamme.

Offen, frei ist nun der Lebenssteg.

Und er breitet weit hinaus die Hände,

Und er rufet aller Welten Ende:

„Kommet her zu mir, ich bin der Weg!“

 

O des Tags voll Finsternis und Schrecken!

Selbst der Mittag muss den Glanz bedecken

Vor der Freveltat, die hier geschah.

O des Tags in Ewigkeit besungen,

Da die Liebe hat den Tod bezwungen

Und die Höll erbebt vor Golgatha!

 

Eh an jenem großen Freitagabend

Schwand der Sonne Licht und milde labend

Um Jerusalem sich senkt die Nacht,

Hat der Sieger in der Dornenkrone

Eine Seele schon zum Schmerzenslohne

Mit sich in das Paradies gebracht.

 

Und ihm folgen unzählbare Scharen.

Auf dem Kreuzesweg sind sie gefahren

Ihrem Herzog nach zur Herrlichkeit;

Warten mit uns, bis auf neuer Erde

Gottes Hütte aufgerichtet werde,

Schöner noch als Edens Seligkeit.

 

O Lamm Gottes! Deine Brautgemein’e

Hier und droben wirft sich im Vereine

Dir zu Füßen, lobt und betet an.

Du bist wert, zu nehmen Preis und Ehre,

Ruhm und Macht von dem erlösten Heere,

Du hast uns den Himmel aufgetan.