Mund und Herz

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle“ (1.Kor. 13:1).

Die Gemeinde in Korinth war aufs reichste mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet. Sie hatte den ganzen Brautschmuck einer apostolischen Gemeinde. Es gab Lehrer der Gemeinde, es gab Wundertäter, es gab solche, welche die Gaben der Krankenheilung hatten, es gab Helfer, Regierer und schließlich auch noch solche, die mit Zungen redeten.

Wir können uns heute kaum ein Bild von einer apostolischen Gemeinde machen. Wie geht es in unseren Kirchen zu? Der Pastor betet und die Gemeinde lässt sich einpredigen, sie hat dem Pastor die ganze Arbeit allein übertragen. In den Versammlungen der Kinder Gottes ist es nicht so. Da ist nicht nur der Leiter allein tätig und alle Gemeindeglieder untätig, sondern da sind alle tätig, da trägt ein jeglicher etwas zur Belebung und Hebung der Versammlung bei. – So wie in der apostolischen Gemeinde, wie Paulus es beschreibt, wie es auch in Korinth zuging in einer Versammlung der Gemeinde: „Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeglicher Psalmen, er hat eine Lehre, er hat Zungen, er hat Offenbarung, er hat Auslegung“ (1.Kor. 14:26). Es fehlte nicht an Beweisungen des Heiligen Geistes und seiner Kraft. Er heilt Kranke auf das Gebet des Glaubens. Er gibt besonders Licht durch diesen oder jenen Bruder. Darum ist die apostolische Gemeinde ein Muster für uns.

„Strebet aber nach den besten Gaben!“ (1.Kor. 12:31). Wohl ist es nicht richtig, dass wir diese oder jene bestimmte Gabe gerade für uns erbitten. Doch erst wenn wir diese Gabe haben, stehen wir eigentlich auf dem Boden von 1.Kor. 13. Solange wir noch arm sind, können wir ja uns gar nicht mit den Korinthern vergleichen in diesen Stücken. Eines, gewiss, dürfen wir nicht vergessen, dass über den verschiedenen Geistesgaben wie Zungenreden (Fremdsprachen), Weissagen, Wundertun die Gabe der Liebe steht. Wenn der Apostel schreibt: „Strebet nach den besten Gaben!“, so fügt er alsbald hinzu: „Und ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen“. Und dann kommt das so genannte Hohelied der Liebe 1.Kor. 13.

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete,“ so beginnt es, „und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.“ Ist das denn möglich? Wenn es nicht möglich wäre, dann würde der Apostel es nicht sagen. Man kann die Gabe des Zungenredens (Fremdsprachen) haben, sagte er, und dabei kann man die Gabe der Liebe ermangeln. Er denkt nicht an ein Zungenreden, dass von einem falschen Geist gewirkt worden ist, wie es sich in der Vergangenheit und jetzt da und dort gezeigt hat, sondern er denkt an ein Zungenreden, dass der Heilige Geist gewirkt hat. Man kann die Geistesgabe des Zungenredens haben. Man kann mit Menschen- und mit Engelzungen reden und dabei kann man ohne Liebe sein. Und dann ist es gerade ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Ein scharfes Wort, aber ein wahres Wort, denn das Hauptstück des Christentums ist die Liebe. Der Mangel an Liebe kann durch nichts anderes ersetzt und ausgefüllt werden. Geistesgaben ohne Liebe haben keinen Wert. Die Liebe ist die größte unter ihnen und die wichtigste der Gaben. Wenn die Geistesgaben heute so sehr in der Gemeinde Gottes fehlen, wie steht es dann mit der Gabe der Liebe? Ach, der Mangel an Liebe schreit zum Himmel! Das haben wir schon bei der Betrachtung des Bildes gesehen: Wie Jesus liebte.

Ich möchte die Worte des ersten Verses praktisch besprechen. Du redest von Jesus. Vielleicht bist du ein Prediger oder ein Versammlungsleiter, oder du bist ein schlichtes Kind Gottes, dass gar nicht in der Öffentlichkeit hervortritt. Nun, dann bist du doch berufen, ein Zeuge Jesu Christi zu sein. Das sollen ja alle seine Jünger und Jüngerinnen sein: Zeugen des Herrn. Und nun lass dir’s sagen: Wenn du mit den beredtesten Worten predigst, wenn du in klarer Weise ein Zeugnis ablegen könntest und hättest der Liebe nicht, so wärest du ein tönend Erz und eine klingende Schelle.

Warum hat unsere Kirche im Großen und Ganzen so abgewirtschaftet in unserem Volk? Warum halten sich die Gebildeten so überwiegend der Kirche fern? An manchen Orten freilich die Eingebildeten ebenfalls. – Weil sie gemerkt haben, dass bei vielen Predigern ein so großer Unterschied ist zwischen den Worten und Werken. Sie nehmen die Wahrheit des Evangeliums in den Mund, von der ihr Leben nichts weiß. Das hat die Welt gemerkt, und darum hat sie den Respekt verloren und sich abgewandt. Unsere Worte haben nur so viel Wert, als unser Leben dahinter steht. Wer fromm redet und nicht fromm lebt, der schadet mehr, als er nützt. Und ebenso, wer salbungsvoll beredt von Jesus zu sprechen weiß, und in seinem Leben ist kein Lieben, dann ist er ein tönend Erz, ein leerer Hall und Schall.

Die Welt hat Liebe im Mund, aber nicht im Herzen. Wenn man mit der Welt bekannt wird, redet sie sehr angenehm: „Freut mich sehr“. Wenn man sie besucht, sagt sie auf die Frage, ob man störe: „O nein, bitte sehr, nicht im Geringsten.“ Die Welt hat den Mund voll Liebe, aber das Herz weiß nichts davon. Wie steht es bei dir? Liebst du auch mit Worten und mit der Zunge? Sprichst du auch so süß und freundlich, ohne so zu empfinden? Ach, dann wollte ich, du hieltest den Mund und schweigest still. Was ist durch das fromme Geschwätz schon für Unheil angerichtet worden!

Von Johannes dem Täufer steht ein merkwürdiges Wort in der Bibel. Es war eine Stimme eines Predigers in der Wüste. Nicht er war eine Stimme. Was heißt das? Es soll bedeuten: Alles an dem Manne predigte. Nicht nur sein Mund predigte. Er predigte auch mit seiner Nahrung: Er aß Heuschrecken und wilden Honig. Er predigte auch mit seiner Kleidung: Er bekleidete sich mit Kamelhaaren. Auch seine Wohnung predigte. Darum hatte sein Wort auch einen so durchschlagenden Erfolg, weil er mit seinem ganzen Leben und Wesen predigte. Sieh, so muss auch dein ganzes Leben sein. Das ist die große Forderung des Apostel Paulus. Und das konnte er darum fordern, weil es die Forderung Jesu war, wie wir vorher gesehen haben.

Mein heimgegangener Freund Pastor Girkon begegnete in seiner ostpreußischen Gemeinde einst einem Betrunkenen. Er sprach ihn an und redete mit ihm von der Liebe Jesu. Der Betrunkene wollte den unbequemen Mann gerne loswerden. Aber Girkon hielt ihn fest. Er sagte dem Mann, er habe ihn lieb, darum möchte er ihn gerne gerettet sehen. Da sagte der Betrunkene: „Wenn sie mich so lieb haben, wie sie sagen, Herr Pfarrer, dann geben sie mir doch mal einen Kuss!“ Das war keine Kleinigkeit. Aber der treue Bruder Girkon dachte an den Kuss, den Jesus sich von den Verräterlippen des Judas geben ließ, und er umarmte den nach Alkohol riechenden Mann und küsste ihn. Da war das Eis gebrochen, da merkte der Arme, dass der Bruder nicht nur von der Liebe zu ihm redet, sondern ihn auch wirklich liebt.

Wenn du in dem Eisenbahnwagen ein Gespräch anfangen willst vom Herrn, wenn du ein Plätzchen anbieten willst, was musst du zuerst tun? Erst musst du helfen, den Koffer fassen und oben ins Netz heben. Dann kannst du mit einem Wort der Liebe kommen, wenn du erst mit Taten der Liebe gekommen bist. Denkst du daran? Ich weiß einen Bruder, der in einem Nichtraucher-Abteil saß. Dann stieg ein Raucher zu ihm ein. Den machte der Bruder darauf aufmerksam, dass hier das Rauchen nicht erlaubt sei. Knurrend und brummend warf der Mann seine Zigarette weg. Nach einer Weile wollte der Bruder mit dem Mann ein Gespräch anfangen, um ihm den Heiland zu verkündigen. Da stieß ihn der andere barsch ab. Wohl wäre es sein Recht gewesen, das er gefordert hatte, aber er hatte sich damit die Tür zu dem Herzen des anderen verschlossen. Der Bruder sagte nachher, er werde nie wieder einem Raucher das Rauchen im Abteil verwehren. Lieber wollte er im Rauch sitzen, als sich selber die Tür der Herzen verschließen. Oh, lass Herz und Mund in Übereinstimmung kommen bei dir. Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Sei nicht redende, sprechende Liebe, sondern wandelnde Liebe.