Leben heißt Lieben

„Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“ (1.Kor. 13:2).

Auch hier redet der Apostel wieder von Geistesgaben, die in Korinth vorhanden waren: von der Gabe der Weissagung und der Offenbarung. Und damit vergleicht er wieder die Gabe der Liebe und zieht den Schluss, dass man diese Gabe haben kann und doch nichts ist, wenn die Liebe fehlt. Weissagen ist hier nicht das gewöhnliche Predigen, sondern besonderes Aussprechen göttlicher Gedanken, bei dem Gott den Menschen als einen Sprecher benutzt, da der Mund nicht eigene Gedanken, sondern gewissermaßen wie auf Diktat Sätze ausspricht, die Gott mitteilt. Vom Weissagen sagt das Wort: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist“ (2.Petr. 1:21). „Ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“ (Mt. 10:20). „Ich will euch Mund und Weisheit geben“ (Lk. 21:15). Eine wunderbare Sache, so dem Herrn zur Verfügung zu stehen, dass er die menschliche Sprachwerkzeuge benutzen kann, um seine Gedanken mitzuteilen! Aber es kann sein, dass man weissagt und doch keine Liebe hat. Wenn das nicht möglich wäre, würde es der Apostel nicht sagen. Ja, man kann alle Geheimnisse wissen und alle Erkenntnis haben, und doch ohne Liebe sein.

Auch deutet der Apostel Paulus auf die Gabe der Offenbarung. Man kann Blicke tun in die Geheimnisse Gottes, tiefe Erkenntnis von Wahrheiten haben, die anderen verborgen sind, und doch der Liebe ermangeln. Paulus, zum Beispiel, war solcher hohen Offenbarungen gewürdigt. Er wurde entzückt bis in den dritten Himmel hinein und hörte unaussprechliche Worte. Ihm erschlossen sich Wahrheiten, die anderen dunkel und verborgen waren, wie etwa das Geheimnis der Entrückung und Verwandlung (1.Kor. 15:51); das Geheimnis, dass die Heiden Miterben seien (Eph. 3:3-6). Und dabei kann man ohne Liebe sein? Ja, Paulus hält es für möglich und für denkbar, dass man ein Haushalter über Gottes Geheimnisse sein kann, und doch der Liebe ermangeln. Ja, es geht sogar noch einen Schritt weiter.

Er sagt: „... und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“. Da spricht er nicht von einem toten Kopfglauben, der keine Kraft hat und keine Kraft ist, sondern von einem lebendigen Glauben, der Gott beim Wort nimmt, der mit Gott rechnet und Taten tut, dass man staunen muss. Auch solcher kann da sein ohne Liebe, und auch solcher Glaube ist wertlos ohne Liebe. Ohne die Liebe wäre man nichts mehr, kann man nichts anderes sein als „Nichts“.

Man spricht so oft von dem herrlichen Kapitel der Liebe, von dem köstlichen Hohelied der Liebe in 1.Kor. 13. Ist es wirklich so herrlich und so köstlich? Ich meine, wer es so meint, der hat es noch gar nicht recht gelesen und verstanden. Sind das nicht Spieße und Nägel, die Paulus hier schreibt? Du kannst Glauben, Erkenntnis und Offenbarungen haben und dabei ohne Liebe sein, und du bist nichts. An deiner ganzen Erkenntnis ist nichts gelegen, wenn sie sich nicht mit der Liebe verbindet, wenn sie nicht die Liebe als Resultat hervorbringt. Nicht wahr, das ist ein scharfes Wort: nichts ohne Liebe?

Da ist vielleicht ein Bruder, oder bist du es am Ende selber, der hat eine Schrifterkenntnis. Man muss staunen, wie er es versteht, auch schwierige Stellen auszulegen. Er hat Licht über das prophetische Wort, er kann klar und deutlich von den letzten Dingen sprechen. Er kennt die Offenbarung beinahe auswendig, aber er ist ohne Liebe. Aus seinem Munde kommen scharfe Worte, er kann so scharfe Urteile über andere fällen. Was ist dieser tief gegründete Bruder? Paulus sagt, er ist nichts. Sagst du noch, ein köstliches Kapitel? Wo fängt das Leben nach der Schrift an? Beim Lieben! Wo kein Lieben ist, da bestreitet Paulus, dass ein rechtes Leben vorhanden sei. Das ist scharf. Aber Johannes, der Jünger der Liebe, urteilt gerade so: „Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, denn wir lieben...“ (1.Joh. 3:14). Ohne Liebe kein Leben. Ja, dies Lieben ist wichtiger als Glauben. Wer Berge versetzt mit seinem Glauben und es an der Liebe fehlen lässt, der ist kein Glaubensheld, der ist nichts.

Da steht ein gläubiger Kaufmann vor der Frage: Soll er Sonntags seinen Laden schließen? Sein Gewissen sagt ja, seine Vernunft sagt nein. Sonntags ist gerade ein Haupteinnahmetag für ihn, da kommt die ganze Landkundschaft zu ihm. Wenn er am Sonntag schließt, wird er nicht nur die Sonntagseinnahme verlieren, er wird auch die Kundschaft verlieren. Denn wenn die Kunden Sonntags in ein anderes Geschäft gehen müssen, werden sie auch in der Woche dort hingehen. Die Frage steht vor ihm wie ein Berg. Wird er nicht großen Ausfall haben in seinem Geschäft, wenn er schließt? Endlich fast er den Entschluss und schließt den Laden. Das ist ein Glaubensakt. Respekt vor solchen Brüdern, die den Mut haben, das zu tun. Aber so schön und so kühn dieser Glaubensakt ist, so sehr man diese Tat anerkennen muss, – wenn der Bruder es an der Liebe fehlen lässt, ist er nichts.

Bruder, bist du etwas? Was ist das Entscheidende bei dieser Frage? Liebst du? – Das ist das Entscheidende. Wenn du nicht liebst, bist du nichts. Wenn du nicht liebst, hat deine Erkenntnis keinen Wert. Ja, sie schadet mehr, als sie nützt. Denn Erkenntnis ohne Liebe ist kalt und stößt ab. Und du selbst hast um so mehr Verantwortung, je mehr Erkenntnis du hast. Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert. Was ist Grundsatz des Gesetzes? Jesus sagt es uns: Du sollst lieben. Was ist das Erkenntniszeichen der Jünger Jesu? – Die Liebe. Was ist es, das die Gemeinde des Herrn baut, verbindet und zu einer Behausung Gottes im Geiste, zu einem heiligen Tempel macht? – Die Liebe.

Bruder, liebst du? Was nützt dein Bibellesen, wenn du nicht erkennst, dass die Bibel wandelnde Liebe fordert? Was nützen die Offenbarungen, die du hast, wenn dir das nicht offenbar wird, dass du als wandelnde Liebe durch die Welt gehen sollst? Was nützt dir dein Glaube, all dein Bekennen von Gott, wenn es in der Praxis des Lebens an der Liebe fehlt, wenn du deinen Kindern keine Liebe entgegenbringst, wenn deine Frau sich über deine Lieblosigkeit beklagt. Leben heißt Lieben. Lebst du? Liebst du?