Jetzt und einst

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ (1.Kor. 13:12).

Der Anfang dieses Verses hat den Auslegern von jeher viel Mühe gemacht. Was soll das bedeuten: „Durch einen Spiegel in einem dunklen Wort“? Da hat man geredet von einem Spiegel aus geschliffenem Metall, der die Gegenstände nur sehr schwach und unbestimmt wiedergibt. Andere erinnerten an einen durchscheinenden Stein, der die Stelle unseres Glases vertrat, der das Licht durchließ, den Wind aber abhielt. Durch solche Fenstern konnte man natürlich auch nur unbestimmte Umrisse erkennen. Wir wollen uns an dem Streit der Ansichten nicht beteiligen. So viel ist gewiss, das Paulus hier sagen will, dass unsere Erkenntnis von göttlichen Dingen in mancher Hinsicht dunkel, verhüllt und unvollkommen ist. Wer musste dem nicht zustimmen?

Vielleicht will Paulus mit dem Spiegel und dem dunklen Wort dieses sagen: Wenn göttliche Aufträge und Botschaften niedergeschrieben werden, so wäre es unvermeidlich, dass dem Göttlichen Menschliches beigemischt werde. Was soll das heißen? Soll das heißen, dass ich die Bibel irgendwie antasten will? O nein, da ist Gott vor. Sondern ich denke daran, was Petrus schreibt: „Wie auch unser lieber Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat, wie er auch in allen Briefen davon redet, in welchen sind etliche Dinge schwer zu verstehen“ (2.Petr. 3:15-16). Die Schreiber der Bücher und Briefen der Bibel waren Menschen, welche getrieben wurden vom Heiligen Geist, aber immerhin Menschen. Und von ihrer Persönlichkeit, ihrem Stil zu schreiben, ihrer Art zu denken, teilte sich etwas der göttlichen Botschaft mit. Paulus schreibt anders wie Petrus. Johannes schreibt anders wie Jakobus. Jeder hat einen besonderen Stil, seine besondere Eigenart. Dadurch gibt es eine gewisse Verdunkelung. Und wenn ich jetzt die Bibel lese, dann wiederholt sich  derselbe Vorgang. Ich erkenne sie nach meinem Licht, nach meinen Führungen, nach meinen Erfahrungen. Darum stellt sich mir diese Wahrheit so dar und jenem anders. Darum kann ich das nicht entdecken, was ein anderer aus der Bibel herausliest, was er zum Gesetz auch für andere erheben möchte. Es ist mit aller Ehrfurcht gesagt, aber ich darf es sagen, weil Paulus es sagt, – ein dunkles Wort.

Das wollen wir uns gegenwärtig halten, wenn wir verschiedene Auffassungen und Anschauungen aus der Bibel herauslesen. Da wollen wir nicht die eigene Anschauung als richtig hinstellen und die andere verlästern. Wir sehen jetzt auch in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Da wird kein Streit der Meinungen mehr sein. Da wird Herrlichkeit herrschen, volle Klarheit. Da lesen wir dem Herrn seine Winke und Weissagungen von den Augen ab. Wollen wir uns nicht darauf schon jetzt einstellen und den Streit um Meinungen ruhen lassen? „Von Angesicht zu Angesicht...“ – O, wie töricht wird uns dann unser Streiten vorkommen. Wie geringfügig werden uns da die verschiedenen Ansichten und Meinungen erscheinen. Da werden wir sagen: „Wie konnten wir nur unsere Zeit damit zubringen, uns zu bekämpfen. Hätten wir uns doch lieber damit beschäftigt zu lieben, ja, zu lieben!“

„Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin“. Welch wunderbares Wort. Ich werde dann so erkennen, wie Gott mich erkannt hat. Göttliche Erkenntnis. Ja, dann ist alles Stückwerk zu Ende, wenn wir mit offenen Augen schauen werden. Ich kann darüber kein Wort mehr schreiben. Aber ich kann staunen und anbeten bei dem Gedanken: Ich werde dann so erkennen, wie Gott mich erkannt hat. Sieh, wie Gott mich kennt, so durch und durch, dass alles bloß und aufgedeckt vor ihm ist, so werde ich dann auch erkennen.