Meine Kindheit

Der „Alte Stammsitz“ war nicht nur mein Geburtsort, sondern hier verbrachte ich auch 20 Jahre meines Lebens. Viele Begebenheiten aus den Tagen meiner Kindheit sind mir noch im Gedächtnis, doch zu den frühesten Erinnerungen gehört wohl die an meine kleine Schwester, deren Lebensfaden jäh abgerissen wurde, als sie erst elf Tage alt war. Ich entsinne mich, wie ich auf Mutters Schoß saß, dann auf Vaters Knie kletterte und die Tränen beobachtete, die über ihre Wangen rollten. Ich verstand noch nicht ihres Herzens Kummer. Sie aber verstanden die Worte meines Plauderzüngchens und dass ich die Tiefen ihres Schmerzes noch nicht erfassen konnte.

Da unsere Farm früher aus dichtem Wald bestand, war es mein Vorrecht, in meiner Kindheit an einem Leben voller Pionierarbeit teilzunehmen. Gut erinnere ich mich, wie die Bäume mit der Axt gefällt, in Blöcke von vier bis fünf Meter Länge zerhauen und dann zu großen Haufen zusammengerollt und verbrannt wurden. In ähnlicher Weise wurde das Gebüsch niedergemacht, hoch aufgetürmt und den Flammen übergeben. Auf diese Weise konnten durch harte Arbeit der Farm jedes Jahr einige Acker hinzugefügt werden. Wir zogen unseren Flachs und brachen ihn, um Werg zu machen, das dann zu den Spinnrädern heimgebracht wurde, zur Haspel, zur Weberkette und zum Webstuhl, der in einem der oberen Räume des Hauses aufgestellt war. Dort wurde dann für die Mutter das Linnen gewebt, aus dem sie die Wäsche für die Familie nähte.

Gut erinnere ich mich, wie unser Heu mit der Heugabel ausgebreitet, mit dem Handrechen in Schwaden gerecht und dann mit der Gabel auf den Wagen geladen wurde. Ein paar Jahre später kaufte Vater eine Mähmaschine. So blieb das Gras immer an der Stelle liegen, wo es geschnitten wurde, und sein Ausbreiten war nicht mehr erforderlich. War es trocken, so wurde es mit dem Zweirad-Rechen, den ein Pferd zog, zusammengerecht. Ein am Ende des Wagens befestigter Patentheulader beförderte das Heu nach oben, während die Pferde den Wagen an den Schwaden entlang zogen.

Anfangs wurden unsere kleinen Flecken Weizen mit der Handsichel gemäht, später mit Sensen, mit denen ein Mann einen nahezu zwei Meter breiten Streifen schneiden konnte. Dann wurde das Getreide mit der Hand gerecht, in Garben gebunden und in Haufen von je zwölf Bunden aufgesetzt. War dann alles ganz trocken, wurden die Garben auf dem Fußboden der Scheune ausgebreitet, und unsere Pferde mussten durch dauerndes Hin- und Herlaufen die Körner aus den Ähren heraustreten. Nach Beseitigung des Strohs reinigte eine Fuchtel den Weizen von der Spreu. In späteren Jahren wurde das Getreide mit einer Mähmaschine geschnitten, die es in Garben warf. Diese mussten nur noch von Hand gebunden werden.

Die nächste Erfindung war eine Maschine, die das Getreide schnitt und die Garben mit Draht band, und später kam eine Maschine auf, die mit Garn band und selbständig Garbenhaufen bildete. Anstatt dass das Getreide durch Pferde ausgetreten wurde, verrichtete nun eine Dreschmaschine ihr Werk. Sie wurde durch Pferde und später durch Dampfkraft angetrieben und konnte mehrere hundert Scheffel am Tag ausdreschen. Auf den großen Farmen des westlichen Amerikas schneidet eine große kombinierte Mäh- und Dreschmaschine das Getreide, drischt es und legt die Säcke mit den Körnern in Reih und Glied auf das Feld. Das gibt uns einen Begriff von wenigstens einigen technischen Errungenschaften im Farmwesen, deren sich die Pionierfarmer noch erfreuen konnten. Als ich acht Jahre alt war, fing ich an, mit zwei Pferden zu pflügen. Rammte sich der Pflug zwischen Wurzeln und Stumpen fest, kam mein Vater oder mein Bruder, die mit anderen Pflügen arbeiteten, und lösten ihn für mich. Oft, wenn die Spitze des Pfluges an einen Stein stieß und sich der Pflug aus dem Boden erhob, so dass ich ihn nicht zurückziehen konnte, drehte ich mit dem ganzen Gespann um, um in derselben Furche noch einmal von neuem anzufangen.

Um vier Uhr morgens mussten wir aufstehen. Vor dem Frühstück mussten die Pferde gefüttert, gestriegelt und geschirrt werden. Schweine, Schafe und Rinder galt es zu versorgen. Es wurde von uns erwartet, dass wir bei Sonnenaufgang oder vorher fertig waren, aufs Feld zur Arbeit zu gehen, um erst bei Sonnenuntergang oder später aufzuhören und dann noch zu Hause die nötige Arbeit zu verrichten. Damals wussten wir noch nichts von einem Achtstundentag-Gesetz. Ab und zu gingen wir auch fischen, schwimmen, Nüsse sammeln und machten auch Spiele. Die Zeiten haben sich seit jenen Tagen gewaltig geändert.

In meiner Jugend litt ich viel unter Furcht und Schüchternheit. Es schien, als sei ich von Natur ein Angsthase. Wenn ich bei hereinbrechender Dunkelheit auf die Waldweiden nach den Kühen geschickt wurde, bereitete es mir manchen Kampf, wenn ich an einem verkohlten Holzblock oder einem schwarzen Stumpf vorbei musste. Ich hatte eine gut entwickelte Vorstellungskraft und manchmal glaubte ich mir ganz sicher zu sein, dass diese Blöcke und Stumpfe Bären seien. Sie schienen Augen und Ohren zu haben wie ein Bär und ich habe mir vorgestellt, ich könnte sehen, wie sich der Bär bewegt. Ich lief dann immer schnell in eine andere Richtung. Meine Angst begleitete mich, wenn ich allein in die Scheune ging, besonders am Abend, wo es meine Aufgabe war, in den Heuspeicher zu klettern, um Heu für die Pferde herunterzuwerfen.

Diese Charakterzüge erschwerten mir Jahre hindurch vieles und sie konnten nur durch tapferes Kämpfen und fortgesetztes Üben im Wagemut und in der Erhaltung des inneren Gleichgewichts überwunden werden. Sogar jetzt noch fühle ich mich manchmal durch Schüchternheit sehr gehemmt und kann diejenigen gut verstehen, die ähnliche Kämpfe haben.

Als ich neun Jahre alt war, kaufte mein Vater noch eine andere Farm, etwa drei Kilometer vom „Alten Stammsitz“ entfernt. Das dazugehörige Land war nur zur Hälfte urbar. Am 1. März begannen wir, weitere 15 Acker urbar zu machen, um schon in der nächsten Ernte einen Nutzen daraus zu ziehen. Die Bäume auf diesem Stück waren schon ein paar Jahre zuvor abgetötet worden, indem man rings um sie eine tiefe Kerbe in die Rinde gehackt hatte. Nun war das Grundstück mit umgefallenen Bäumen wie besät. Groß und klein lagen sie durcheinander, teils die Wurzeln oben, teils in beträchtlicher Höhe abgebrochen. Viele standen noch und mussten mit der Axt gefällt werden.

An jenem Morgen, als wir mit unseren Äxten ankamen, um das Werk zu beginnen, wollte mir schier das Herz entfallen. Welch ein Chaos von Stämmen, Baumkronen, Gebüsch samt den stehenden Bäumen! Ich sagte zu meinem Bruder, dass wir das niemals sauber kriegen würden, und wenn doch, dann würde es wohl 40 Jahre dauern. Mir erschien das eine unerfüllbare Aufgabe zu sein. Aber mein Bruder sagte: „Wir müssen’s zum Sommer fertig haben, damit wir Mais pflanzen können.“ Durch Arbeit von früh bis spät mit den Äxten, einem Pferdegespann und Feuer hatten wir’s in ein paar Wochen pflugbereit.

Mein Geburtshaus stand an der Ostseite der Straße. Es war fast gänzlich aus Wallnussholz erbaut und immer weiß angestrichen. Es steht noch heute, nachdem es ab und zu einer Erneuerung unterzogen wurde, und ist nun über 60 Jahre alt. Ein wenig südlich davon stand das alte Blockhaus aus den ersten Pioniertagen, das viele Jahre als Schafstall benutzt wurde, daneben die alte Blockscheune. In späteren Jahren wurden anstelle der alten große, neue Gebäude errichtet. Lebhaft erinnere ich mich noch an den alten Gartenzaun und das Holzgeländer, das Scheune und Felder umschloss, sowie die Weiden, die sich bis an den Wald ausdehnten. Ebenso an die hohen hölzernen Schranken an jeder Ausfahrt, die während des Tages häufig beiseitegeschoben werden mussten, um durchfahren zu können. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Wälder sind fast verschwunden, Drahtzäune umschließen Felder und Wiesen und gefederte Flügeltüren ersetzen die alten Schranken. Anstelle der alten Handpumpe befördert eine Windturbine das Wasser aus der Quelle in einen Tank und Röhren leiten es überall hin, wo es benötigt wird.