Wenn die Pferde durchgehen

Soweit meine Kindheitserinnerungen zurückreichen, hatten wir auf unserem Hof immer ein oder mehrere Pferde, die durchgingen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Als ich sieben Jahre alt war, fuhr mein Vater einmal zur Stadt. Drei Brüder und ich durften mit. Unser Wagen wurde von zwei solchen widerspenstigen Pferden gezogen. An jenem Morgen benutzten wir die alte Halteleine statt der kürzlich gekauften neuen. Als wir die Einkäufe beendigt hatten, war unser Wagen mit einem Faß Salz, einem Fässchen Melasse, einem Getreidemäher mit seinen scharfen Senseklingen, mehreren Paketen Kolonialwaren und zwei Brettern als Sitzgelegenheit beladen. Die Straße hatte ein leichtes Gefälle, das ungefähr eine halbe Meile lang war. Kaum waren wir aufgebrochen, als die Pferde scheuten. Beim Versuch, die Tiere zu bändigen, brach die Zugleine in Stücke, und jeglichen Zwanges und jeglicher Führung frei, rannten die Pferde mit langen Sätzen los.

Mein Vater rief uns zu, den Wagen zu verlassen. Ihm und zweien meiner Brüder gelang dies Vorhaben. Mein Bruder F. und ich blieben nun allein im Wagen zurück. Wir wurden samt dem Inhalt des Wagens schrecklich durcheinander geworfen und waren zu Tode erschrocken. Jedem Vorbeigehenden schrieen wir zu, doch die Pferde aufzuhalten. Einige versuchten es, aber leider ohne Erfolg. Jetzt begegneten wir einem Wagen, der mit Menschen besetzt war. Er wurde von der Hinterradnabe unseres Wagens gerammt und zur Seite geschleudert. Der Bruch einiger Speichen unseres Wagenrades war die Folge, aber in rasendem Galopp ging es weiter. Nachdem die Pferde 1,5 Meilen (1 engl. Meile = 1600 m) dahingejagt waren, verlangsamten sie das Tempo. Plötzlich hielt ihnen ein des Weges kommender Mann einen Besen entgegen und versuchte, die Pferde zum Halten zu bringen. Sie eilten um ihn herum und die Jagd ging weiter. Auf einmal erschien ein großer Mann, der sich ebenfalls anschickte, die beiden Pferde zum Halten zu bringen. Diesmal gelang es ihnen nicht vorbeizueilen. Der Mann warf sich nach vorn und ergriff die Zügel dicht am Gebiß der Pferde. Nun hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht daran und brachte die rasenden Tiere zum Stehen. Sie waren beinahe erschöpft und das beschädigte Rad wäre in den nächsten Sekunden vollkommen zerbrochen. Zum Glück war niemand ernstlich verletzt, doch war uns der Schreck in alle Glieder gefahren. Erst als wir zu Hause wieder beisammen waren, wich die gegenseitige Sorge um unser Schicksal.

Ein andermal, als ich wohl 15 Jahre alt war, holte ich an einem Frühlingstag Futter. Ich fuhr mit meinem Wagen durch die Gegend und dachte nicht daran, dass ich in den nächsten Minuten ein unangenehmes Abendteuer zu bestehen hätte. Der Boden war ziemlich weich und da die Pferde eine Zeitlang wenig Beschäftigung gehabt hatten, waren sie feurig und widerspenstig. Plötzlich machte das Leitpferd einen Sprung. Dann bäumten sich beide hoch auf und galoppierten los. Ich hatte meinen Sitz oben auf dem Futter eingenommen und war noch Herr über die Tiere, bis wir an eine alte Bahnböschung kamen. Als der Wagen an der anderen Seite der Böschung herunterfuhr, verlor ich das Gleichgewicht und kam ins Rutschen. Beim Abgleiten gelang es mir noch, die Pferde zum Stehen zu bringen. Die Zügel entglitten jedoch meinen Händen, als ich auf der Erde zwischen den Zugriemen an den Hufen des Seitenpferdes landete. Als das andere Pferd merkte, dass ich die Zügel verloren hatte, ging es vorwärts. Für mich gab es kein Entkommen mehr. Ich konnte nur zwischen den Zugriemen hochklettern und mich an der hinteren Wagenzunge festhalten. Gerade als mir dies gelungen war und ich mit gespreizten Beinen auf der Zunge saß, ging die Jagd wieder los, wobei die Pferdehufen an jeder Seite meines Kopfes vorbeistrichen.

Meine Mutter und Geschwister sahen mich erschrocken in dieser Lage, denn wir waren inzwischen nahe am Hause angelangt. Dann rannten die Pferde gegen einen Apfelbaum. Bei diesem Aufprall zerrissen die Zügel, das Zaumzeug sowie die Halsjoche und Zugriemen. Aber der Wagen kam zum Stehen. Hierbei wurde leider mein Fuß eingequetscht. Sobald es mir möglich war, befreite ich mich durch einen Sprung aus meiner misslichen Lage. Sogleich eilten Mutter und Geschwister hinzu und bestürmten mich mit Fragen, ob ich verletzt sei. „Nein, nur ein Bein ist gebrochen“, kam es über meine Lippen. Sie trugen mich nach Hause und stellten dort fest, dass außer der Quetschung auch das Fußgelenk verrenkt war. Nach einigen Wochen war jedoch der Schaden behoben und ich konnte wieder meine Arbeiten verrichten.