Meine Schulzeit

Meine Eltern hatten nur eine spärliche Schulbildung. Da jedoch die Brüder meiner Mutter Lehrer waren, erkannten diese bald die Notwendigkeit einer guten Schulbildung für uns. Die Bildungsmöglichkeiten waren damals in diesem Teil des Landes sehr gering; dennoch besuchten sechs Kinder von uns eine Schule und fünf davon wurden später Lehrer.

Während der ersten Jahre meiner Schulzeit befand sich das Schulhaus meines Heimatdorfes am Waldrand, ungefähr eine drei Viertel Meile von unserem Hof entfernt. Zu beiden Seiten der Straße, die zur Schule führte, befanden sich Lattenzäune. Die ganze Wegstrecke führte durch ein Gehölz. Zur Winterzeit waren Weg und Steg meistens verschneit und im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, war die Straße, die zur Schule führte, völlig verschlammt. Um nun einigermaßen trockenen Fußes nach Hause oder zur Schule zu gelangen, nahmen wir unseren Weg dicht am Zaun entlang. Und an solchen Stellen, wo das Wasser die ganze Breite des Weges einnahm, kletterten wir auf der unteren Zaunleiste von Latte zu Latte.

Das Schulgebäude war ein einfaches Fachwerkhaus. Im Unterrichtsraum, der Platz für ungefähr 50 Schüler bot, standen rings an den Wänden Bänke mit Schreibpulten aus Walnussholz. Das Alter der Schüler schwankte zwischen 6 und 21 Jahren. Wir saßen zu dritt auf einer Bank und waren in Gruppen eingeteilt. Ein Ofen, der nie geputzt wurde, stand in der Mitte des Zimmers. Ein Wasserkrug hatte seinen Platz in der Nähe der Tür. Eine Blechbüchse oder ein ähnliches Schöpfgerät diente als Becher, den jeder benutzte, der sich den Durst löschen wollte. Der Fußboden war der Ort für den verbliebenen Inhalt des Bechers. Zu diesen Zeiten, manchmal viermal am Tag, setzte unter uns Jungen ein Aufheben der Hände oder Zeigen mit dem Finger ein, von dem Rufe begleitet: „Herr Lehrer, darf ich den Wasserkrug füllen?“, oder „Darf ich Holz holen?“ Viele betrachteten die Verrichtung dieser oder ähnlicher Dienste als eine willkommene Ablenkung in dem eintönigen Verlauf der Unterrichtsstunden.

Oft wurde die fortgeschrittene Leseklasse zum Lesen aufgefordert und musste dann das ganze Übungsstück hersagen, während der Lehrer sich in einem anderen Teil des Raumes befand. Mit dem Rücken zu den Vorlesenden gekehrt, war er dann oft bei irgend einem älteren Schüler emsig mit der Lösung einer schwierigen Rechenaufgabe beschäftigt. Einer nach dem andern musste nun lesen. Zögerte jemand, so sagte der Lehrer, ohne den Kopf zu drehen: „Der Nächste“. Hatte die eine Gruppe das Stück durchgelesen, kam die nächste dran, während der Lehrer immer noch mit der Lösung des Rechenproblems beschäftigt war.

Die Anfängerklasse bildete die vordere Reihe und musste bei ihren Übungen aufstehen. Die fortgeschrittene Klasse, bekannt unter dem Namen Hauptklasse, musste mittags und abends vor Schulschluss ihre Übungsstücke vortragen. Die Platzordnung war so gestaltet, dass der beste Leser am Schluss den oberen Platz einnahm. Er erhielt ein Lob und nahm am nächsten Tag seinen Platz wieder als unterster ein. Das Aufrücken zur Spitze der Klasse geschah aufgrund des guten Vorlesens. Ich war 12 Jahre alt, als ich auch an diesen Lesewettbewerben teilnahm. Abend für Abend lag ich auf dem Fußboden am Kamin und studierte beim flackernden Licht der brennenden Holzscheite meine Leseübungen für den nächsten Tag, bis ich ins Bett musste. Die Zeit auf dem Weg zur Schule oder von der Schule war ebenfalls mit Üben ausgefüllt. Es gelang mir jedoch nicht oft, den Preis zu erlangen. Zu einer Zeit, als es mir gar zu schwer fiel, die Aufgaben zu meistern, bat ich ganz ernstlich, die Schule aufgeben zu dürfen. Meine Mutter war jedoch ganz anderer Meinung und sagte ernst: „Zur Schule musst du gehen; denn mit 18 Jahren wirst du auch zur Oberschule wollen, wie es deine älteren Brüder getan haben.“ Ich entgegnete: „Ich will nicht mehr zur Schule gehen. Ich will auch nicht zur Oberschule, wenn ich 18 Jahre bin. Ich will Bauer werden und ein Bauer braucht doch nicht solch eine Bildung.“ An jenem Tag durfte ich die Schule versäumen, aber dann hieß es wieder fleißig lernen, um die verlorenen Stunden nachzuholen.

Das alte Schulhaus wurde außer dem normalen Unterrichtsbetrieb auch für Erweckungsversammlungen und besondere Abendkurse benutzt. Viele unserer Lehrer hatten damals noch nicht das Vorrecht einer Seminarbildung gehabt, folglich mangelte es bei ihnen an Fähigkeiten, einen geordneten Schulbetrieb einzurichten und zu führen. Drei bis fünf handfeste Stöcke standen immer in der Ecke und dienten täglich ihrem Zweck, so dass sie oft erneuert werden mussten. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten dieser kleinen Burschen in selbstgefertigter, grober Kleidung daherkamen und einige von ihnen in traurigen Verhältnissen groß wurden, ist es doch erstaunlich, welche stattliche Anzahl Kinder aus jener Schule nach Jahren gute Stellungen als Lehrer, Prediger, Doktoren, Rechtsanwälte und sogar hohe Staatsstellungen einnahmen. Nachdem wir einige Jahre den Unterricht in unserem alten Schulhaus genossen hatten, entwuchsen wir allmählich unserer groben Wollkleidung. Das Land wurde besser bevölkert und die Lebensbedingungen günstiger. Die wöchentlichen Fortbildungskurse am Abend wurden eine Sache öffentlichen Interesses für die ganze Gegend. Leute aus den verschiedenen Schulen des Stadtbezirks nahmen daran Teil, um ihre Fähigkeiten zu vervollkommnen. Diese Mischung von Schülern verschiedener Gesellschaftsgruppen bewirkte eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten. Es bildeten sich literarische Gruppen, in denen auch das Reden in der Öffentlichkeit geübt wurde.

Von den interessanten Ereignissen meiner Schulzeit ist mir noch sehr lebhaft unser erster Redewettstreit in Erinnerung. Eine Anzahl der Schüler war schon erwachsen, doch noch keiner von uns hatte solch einem Wettstreit beigewohnt. Glücklicherweise hatte unser Lehrer ein richtiges Seminar besucht und genoss den Ruf eines guten Pädagogen. Eines Tages schlug er solch einen Redeabend vor. Nachdem er uns seinen Plan mitgeteilt hatte, ging er dazu über, alles einzurichten und uns vorzubereiten. Nur zu bald mussten wir die Probe unseres Könnens ablegen. Unser Lehrer amtierte als Vorsitzender.

Als solcher bestimmte er das Thema, über welches gesprochen werden sollte, und legte die Wortführer, welche auch Gruppenführer genannt wurden, fest. Ihre Aufgabe war es, je drei andere Sprecher zu wählen. Nun standen sich je vier Redner gegenüber. Das erste Thema lautete: Beweise, dass Wasser schädlicher ist als Feuer. Die Gruppe, welche alle Gründe ins Feld führen musste, die für eine größere Schädlichkeit des Wassers sprachen, erhielt als Wortführer den ältesten Schüler unserer Schule namens Hiskia. Ich wurde als Führer der Gegengruppe gewählt und hatte die Aufgabe, diese Behauptungen zu widerlegen. Die zwei Rednergruppen bestanden aus acht unerfahrenen, schüchternen sogenannten Rednern.

Die Neuigkeit, einem solchen Wettstreit beiwohnen zu können, hatte sich bald in der ganzen Gemeinde herumgesprochen und war sogar bis zu den benachbarten Dörfern durchgedrungen. Damals hatten wir schon unser neues, aus Ziegelsteinen gebautes Schulhaus bezogen, das ganz modern eingerichtet war. Indessen dienten noch eine Öllampe und mehrere Talgkerzen als Beleuchtung. An jenem Abend strömten die Leute hinein, um sich dieses Schauspiel anzusehen, so dass das Haus voll besetzt war. Der Vorsitzende, der seinen Platz vorn im Zimmer auf einer Erhöhung eingenommen hatte, bat jetzt die Anwesenden um Aufmerksamkeit. Den Rednern war vorher mitgeteilt worden, dass sie ihren Platz nach freiem Ermessen wählen konnten. Der Vorsitzende hielt dann eine kurze Ansprache, in der er den Zweck des Abends bekannt gab. Er teilte darauf das zur Diskussion gestellte Thema mit und rief den ersten Redner auf, dem zehn Minuten Zeit zum Sprechen gegeben wurde. Totenstille erfüllte den Raum.

Wie gebannt war die Zuhörerschaft, als Hiskia sich in der Mitte des Zimmers von seinem Platz hinter dem Ofen erhob. Er räusperte sich, sprach einige Worte, räusperte sich wieder, sagte dann vielleicht ein Dutzend Wörter und machte sich nach einigem Zögern mit der Kerze zu schaffen, die sein Blatt beleuchtete. Dann ging er dazu über, sich mit der Frage noch einmal auseinanderzusetzen. Jetzt kam noch einige Male ein „hm, hm“ heraus, dann war die Kerze aus. Nachdem es einige Zeit in Anspruch genommen hatte, ein Streichholz zu finden, um die Kerze wieder anzuzünden, prüfte er im Kerzenlicht seine Notizen ganz bedächtig, räusperte sich wieder mit Anzeichen größten Unbehagens und führte noch einiges aus seinen Notizen an. Dann wurde er vom Vorsitzenden darauf aufmerksam gemacht, dass seine Zeit um sei und er sich nicht noch die Zeit des nächsten Sprechers aneignen dürfe.

Nachdem es wieder ruhig geworden war, wurde ich als Sprecher aufgerufen. Mit Furcht und Zittern erhob ich mich in der äußersten Ecke des Raumes. Ich las die zur Diskussion gestellte Frage vor, nahm dann Stellung zu einigen Punkten des gestellten Themas und hatte in knapp einer Minute alles gesagt, was mir eingefallen war. Meine Rede war damit schon zu Ende.

Die auf uns folgenden sechs Sprecher entledigten sich ihres Auftrages in ähnlicher Weise und nun lag es in der Hand des Preisrichters, den Sieger festzustellen. Die Gesamtredezeit aller acht Sprecher betrug 20-25 Minuten. Der Vorsitzende wusste jedoch einen Ausweg, indem er für die folgende Woche eine Wiederholung mit anderem Thema ankündigte. Darauf folgte eine Pause von 30 Minuten und der Rest des Abends war dann eine freie Diskussion, woran sich jeder beteiligen konnte. Bei der nächsten Zusammenkunft wurden die Sprecher aufgefordert, sich mitten im Raum in der Nähe des Ofens aufzustellen und ihr Gesicht dem Vorsitzenden zuzuwenden. Bei der dritten Zusammenkunft mussten sie sich sogar vor die Rednertribüne stellen, so dass die Augen der gesamten Zuhörerschaft auf sie gerichtet waren. Der jeweilige Redner musste das Podium betreten. Trotz dreimaliger Wiederholung ließ der Besuch nicht nach und das Ziel unseres Lehrers wurde insofern erreicht, dass unsere Schüchternheit abnahm und wir jetzt mit zunehmender Ruhe und Kühnheit vor die Zuhörerschaft traten.

Wenige Jahre später richteten einige von uns, mit großer Aussicht auf Erfolg, einen literarischen Kreis ein. Zwei junge Damen unternahmen es jedoch, die Zusammenkünfte zu stören, und versuchten auf jede Weise, die Mitglieder zu entmutigen und sie von den Zusammenkünften fernzuhalten. Die Aufgabe, ein passendes Programm zu gestalten, falls einige der Teilnehmer versagten, fiel auf drei oder vier der Unseren. Längere Zeit mussten wir vor ein paar Leutchen Vorträge halten, Stücke vortragen oder auch ganz unvorbereitet etwas sagen, und doch nahm das Interesse mehr und mehr zu. Und da wir scheinbar die Anstrengungen, unseren Kreis zu stören, nicht beachteten, fanden die beiden Störenfriede ihre Anstrengungen bald nutzlos, wurden endlich sogar selbst interessiert und waren bald nützliche Glieder unseres Kreises. Diese Gegnerschaft und die Art ihrer Beilegung war ein Mittel zur Förderung meiner Erziehung. Es war keine leichte Sache, sich einen Vortrag oder ein zum Aufsagen bestimmtes Stück einzuprägen. Durch landwirtschaftliche Arbeiten war ich zudem so in Anspruch genommen, dass ich wenig Muße für eine rechte Vorbereitung fand, und musste eben während meiner Landarbeit üben und proben. Beim Maisschälen, Bäumefällen oder anderen Arbeiten übte ich meine Reden ein. Dann und wann warf ich einen Blick in ein Buch, das ich stets in der Tasche trug. Dann glitt es wieder in die Tasche und das Üben ging weiter.

Als ich 15 Jahre alt war, starb mein Vater und ich konnte wegen der hierdurch entstandenen Verpflichtungen die Schule nur sehr unregelmäßig besuchen. Nur die Wintermonate verblieben mir noch zum Studium. Im Alter von 19 Jahren besuchte ich einen zwölfwöchigen Kurs an der Oberschule von Ridgeville, ungefähr neun Meilen von unserem Ort entfernt. Das Wochenende konnte ich wegen der geringen Entfernung zu Hause verbringen. Da ich jedoch zu lange ausgesetzt hatte, kehrte ich am Schluss des Semesters mit nur geringen Erfolgen heim. Im nächsten Jahr konnte ich an jener Schule noch einmal zehn Wochen meiner geistigen Entwicklung widmen. Drei Jahre später besuchte ich noch kurze Zeit das Lehrerseminar unseres Staates, musste es dann aber gesundheitshalber aufgeben. Im folgenden Jahr ging ich dann zur Balparaiso Universität, an der ich Vortrags- und Redekunst studierte. Obwohl ich nie ein Vortrags- oder Redekünstler wurde, ist durch gewisse Übungen und Studien auf diesem Gebiet schon eine Fertigkeit für meine spätere Arbeit und literarische Wirksamkeit entwickelt worden. Das folgende Jahr verbrachte ich an der Otterbein Universität und bekam nach einen Lehrgang in Bibelstudien ein Diplom. Mit Ausnahme einiger Fernunterrichtskurse in New York und Chicago war dies das Ende meiner Ausbildungszeit.