Der Bruder aus dem Südural

Ich habe den Namen des Bruders, der uns aus dem Südural besuchte, nicht behalten. Er erzählte uns Folgendes aus seinem Leben.

„An meinem Wohnort hatten wir eine Stubenversammlung. Ich war dort Prediger. Als man 1952 überall die leitenden Brüder der Gemeinden verhaftete, wurde auch ich verhaftet. Das Strafmaß war für alle gleich, 25 Jahre Haft.“

„Als es dann nach Stalins Tod etwas freier wurde, sollte auch ich vorzeitig entlassen werden. Wie ich später erfuhr, wusste die Obrigkeit davon, doch man wollte mich nicht so einfach gehen lassen. Sie riefen mich zu sich und sagten mir: ‚Wenn du durch deine Unterschrift versicherst, dass du zukünftig nicht mehr predigen wirst, dann bemühen wir uns darum, das du vorzeitig freikommst. Überlege es und gib uns eine Antwort‘. Ich überlegte, was hier am Besten zu tun sei. Wenn ich weiter hier bleibe, kann ich meiner Familie keine Hilfe sein. Bin ich aber zu Hause, so kann ich der Familie eine Hilfe sein und auch hier und da ein warnendes Wort Gottes sagen, ohne unbedingt zu predigen. So entschloss ich mich zu unterschreiben. Als ich die Unterschrift geleistet hatte, sagte man mir, ich solle mein Versprechen ja nicht vergessen, wenn ich nicht bald wieder da sein will, von wo ich jetzt entlassen werde.“

„Ich wurde frei, kam nach Hause und die Freude war groß. Ich war glücklich, wieder bei den Meinen zu sein. Ich hört dort, dass auch andere freikamen. Das Leben hatte sich geändert, die Leute fingen an, nach Gott zu fragen. Auch an unserem Ort versammelten sich bald andere Gemeinschaften. Die alten Geschwister aus unserer Gemeinde kamen zu mir nach Hause und baten, doch wieder mit Versammlungen anzufangen. Auch meine Kinder stimmten in diese Bitte ein. Ich sagte, ich dürfe nicht, ich hätte unterschrieben, es nicht mehr zu tun. Es schien mir gegen mein Gewissen zu sein. So verging eine Zeit. Die anderen Gemeinschaften versammelten sich in großen Gruppen. Meine Geschwister fingen an, dort die Gottesdienste zu besuchen, auch meine Kinder gingen dort hin. All mein Warnen brachte nichts, ich blieb mit meiner Frau alleine stehen.“

„Wenn ich heute zurückdenke, sehe ich, dass die Obrigkeit mir eine Falle gestellt hatte und ich fiel rein. Ich wäre ohne Unterschrift, so wie alle anderen, freigekommen, aber zu jener Zeit habe ich es nicht verstanden. Ihr wart ebenfalls verhaftet, seid frei und habt nun solche Versammlungen, wo auch eure Kinder sind. Wie tut es mir so leid, das ich das getan habe und nichts ändern kann.“ Der Bruder besuchte uns noch ein weiteres Mal. Dann hörten wir, dass er verstorben wäre.