12. Der Wein des Gebets

Frage: Ich habe mit Gebetsträgheit zu kämpfen. Wenn ich zum Beten niederknie, dann wandert mein Geist in der ganzen Welt umher: zu meiner täglichen Beschäftigung oder zu irgendwelchen Dingen, die gar keinen Wert haben. Das kränkt und enttäuscht mich. Jesus ist so treu zu mir, ist des Preises und Anbetung so würdig, dass es doch schändlich ist, solche Gefühle während des Gebets zu haben. Ich habe es bekannt, aber noch keine befriedigende Befreiung erlangt und sehe auch keine Lösung dieser Sache. Könnt ihr mir helfen? Ich würde es sehr schätzen, wenn ihr mir sagen möchtet, wie ich die Salbung des Gebets bekommen und das inbrünstige Gebet der Gerechten darbringen kann. Oh, helft mir! Mein Herz sehnt sich, ja, es schreit nach der Nähe Gottes im Gebet, damit meine Seele zu mächtiger Fürbitte für andere, besonders für die Verlorenen, hingezogen würde.

Antwort: Noch lange bevor wir Kanaan betraten, hörten wir von seinen Früchten. Da gab es mächtige Weintrauben, Granatäpfel, Milch und Honig, Korn und Wein. Als wir noch in der Wüste waren, wurde uns von Früchten erzählt, die so wunderbar seien, dass sie die Pilger stark und tapfer machen, für Immanuel zu kämpfen. Und gewiss, wir waren begierig, sie zu pflücken und zu kosten. Aber wir stellten fest, dass jeder seine Früchte selbst säen und ernten muss, und auch dass die besten Früchte an kaum zugänglichen Orten wachsen, und dort, wo der Boden hart und steinig ist.

Nimm zum Beispiel den Honig. Kaum wird diese erquickende und kräftigende Nahrung an anderen Plätzen als in den Felsspalten der harten Prüfungsberge gewonnen. Und der Wein des Gebets wird aus Trauben gepresst, die am besten im Tal schwerer Versuchungen gedeihen.

Meinst du, Kaleb würde uns sagen können, wie wir diese Früchte bekommen? Wir sind besonders für den Wein des Gebets interessiert. Lass uns gehen und Kaleb heute aufsuchen. Er empfing uns bei unsrem letzten Besuch so freundlich; sicher wird er sich freuen, uns wiederzusehen. Lass uns gehen!

Ja, er ist heute zu Hause. O er befindet sich auf seinen Knien, der liebe alte Heilige Kanaans! Und was tut er gerade eben? Dort im Schatten seines prächtigen Gartens scheint er etwas aus einem Fass zu schöpfen. Ja, tatsächlich, das muss der Wein des Gebets sein. Wie gut, dass wir ihn gerade bei solcher Gelegenheit antreffen. Er sieht uns nicht. Lass uns hier abseits von seinem Heiligtum etwas warten.

Kaleb scheint sich in innigem Umgang mit Immanuel ganz verloren zu haben. Beachte die himmlische Freude, die aus seinem wettergebräunten Gesicht herausleuchtet! Er scheint durch das Getränk, das er aus seinem Weinfass bekommt, belebt zu werden. Wenn er mit seiner Andacht und Gebet fertig ist, wollen wir ihn begrüßen. Sieh, er steht auf! Welch ein herrliches Leuchten seines Angesichts! Es gelüstet mich, an demselben heiligen Ort meinen Durst zu stillen. Mein Leben scheint mir so irdisch zu sein, darin des Himmlischen und Heiligen so viel mangelt.

– Pilger Kaleb, sage uns, was du getrunken hast, und wie wir dasselbe bekommen können.

– Recht gern! Erst muss ich euch ein Geheimnis verraten. Die Trauben, aus denen der beste Wein gemacht wird, stammen aus dem Tal schwerer Versuchungen. Das ist wirklich kein angenehmer Ort. Verschiedene schlimme Riesen treiben dort ihr Wesen. Böse Luft, Stolz, Verfolgung, Weltlichkeit, Habsucht und andere machen ihn sich zu einer Art Hauptquartier. Sie beschädigen die Weinstöcke nicht, nur die Pilger belästigen sie. Der Boden ist felsig und schwer zu bearbeiten. Ich begehrte die besten Früchte des Landes; somit musste ich auch im Tal der schweren Versuchungen ein Grundstück nehmen und mit der Arbeit beginnen.

Gleich nachdem ich mein kleines Grundstück abgesteckt hatte, kamen die Riesen herbeigeeilt. Roh und unbarmherzig stießen sie mich hin und her. Der alte Riese Stolz versuchte, mir einzuschärfen, dass ich der größte Mann sei, der je Kanaan betreten hat. Der alte Riese Habsucht redete immer von einer Silbergrube, die Bileam eröffnete, und wo auch Demas arbeitet. Leicht könnte ich reich werden, sagte er, wenn ich den Weinbau aufgeben und ihm in seine Grube folgen würde. Er erzählte mir eine glaubhafte Geschichte und versuchte, mich mit aller Gewalt zu beeinflussen. Der alte Riese Böse-Lust versuchte mit großer Anstrengung, meine Aufmerksamkeit auf das Tal zu lenken, das stracks nach Ägypten führt. Ich hatte aber genug von Ägypten und widerstand ihm mit all meiner Kraft. Aber ungeachtet dessen, wie ich auch Widerstand leistete und mich gegen die Riesen wehrte, sie blieben doch in diesem Tal. Wie es scheint, kann sie keiner vollkommen vertreiben. Ihre Gegenwart mag für den Weinbau sogar nötig sein.

Das erste Mal erzielte ich eine spärliche Ernte. Dann baute ich mir eine Weinpresse, die aus Glauben, Geduld und Gehorsam zusammengesetzt war, und tat ein schweres Gewicht obendrauf, das aus Beharrlichkeit bestand. Ich gewann ein wenig Wein; und wie war er köstlich und erfrischend! Seitdem habe ich vom Weinbau und der Kelterei mehr gelernt. Auch bekomme ich jetzt mehr Wein aus den Trauben als früher, und zwar dadurch, dass ich ein schwereres Gewicht nehme und größere Bausteine zum Bauen der Presse verwende.

Nichts ist so erfrischend wie der Wein des Gebets. Die ganze Seele wird aufgerichtet, gekräftigt, belebt und inspiriert. Er verleiht große Tatkraft. Die Riesen zittern, beben und suchen das Weite, wenn sie sehen, dass ein Pilger auf sie zukommt, der sich aus seinem Weinfass erfrischte. Gepriesen sei Immanuel! Dank, Lob und Ehre sei seinem großen Namen in Ewigkeit! Oh, Er hat für uns solch eine Kraft, Salbung und Labung vorgesehen! Ruht nicht, Pilger, bis ihr euren Weingarten habt. Immanuel segne euch!

Dank sei Kaleb für seine Worte!

 

Gebetsträgheit ist die Folge eines Mangels an Interesse. Niemand ist träge in den Dingen, für die er ein reges Interesse hat. Deshalb sollte man nicht gegen die Trägheit kämpfen, – den Trägheit ist nur eine Folgeerscheinung – sondern vielmehr für ein wirkliches Interesse am Gebet. Suche dir etwas, wofür du beten kannst, und dann bete mit all deiner Kraft.

Das Umherschweifen der Gedanken während des verborgenen Gebets kann ebenfalls dem Mangel an Interesse für die wahren Dinge zugeschrieben werden. Wenn deine Gedanken umherwandern, so ist das keine Sünde, sondern ein Zeichen, dass du nichts besonders Dringendes hast, wofür du beten möchtest. Verlangst du nach etwas, das du sehr nötig brauchst, – z. B. wenn du schwer und ernst versucht oder krank und leidend bist, oder wenn du verfolgt wirst, so dass du Hilfe brauchst – so wirst du sicherlich ernstlich genug beten. Oder wenn dir ein Freund oder Verwandter am Herzen liegt, der Hilfe nötig hat, dann kannst du auch ernstlich beten.

Das Heilmittel für Gebetsträgheit und Umherschweifen der Gedanken liegt daher im Empfinden und Erkennen unserer eigenen oder anderer Bedürfnisse, für die wir ins Gebet gehen. Es gibt zu viele Nöte und Bedürfnisse, als dass man im Gebet träge sein könnte. Sicherlich kann niemand Inbrunst und Salbung des Gebets immer in gleichem Grade empfinden; aber es kann davon immer genug vorhanden sein, so dass wir das Gebet zu einer wirklichen Erfrischung unserer Seele machen können.

Gebet ist mehr als Bitten; es ist Lobpreis, Danksagung und Unterredung mit Gott. Wir werden ermahnt: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden“ (Phil. 4:6). Gebet schließt also Danksagung mit ein.

Beginne mit Danksagung. Wenn der Herr etwas für dich getan hat, so danke Ihm dafür. Zähle die empfangenen Segnungen auf, wenn du vor ihm kniest. Denke an den Sündenschlamm, aus dem Er dich herauszog. Betrachte, wie oft Er dir half und wie oft Er dich beschützte. Wenn wir in dieser Weise unsre Seele erheben, so wird es uns in die richtige Gemütsverfassung bringen, weiterzubeten und unsere Bitten in ernstem Gebet und Flehen vorzubringen.

Gib Gott eine Gelegenheit, zu dir zu reden, während du betest. Bitte um eine Unterredung. Sei stille und lausche der Stimme Gottes; erwarte von Ihm, dass Er redet.

Wenn du etwas bittest, so sei willig, dich unter den Willen Gottes zu beugen. Bitte, so wird dir gegeben – aber nicht immer gleich, wenn du bittest. Zudringlichkeit im Gebet ist ebenso notwendig wie Beharrlichkeit und Geduld.

Ein solches Leben im Vertrauen und Gebet ist etwas Herrliches. Im täglichen Umgang mit Christus können wir auf dem Lebensweg wandeln und uns einer Gemeinschaft mit Ihm erfreuen, die zu reich, zu tief und zu heilig ist, als dass sie beschrieben werden könnte. Beginne, siehe und schmecke selbst!