Ein unguter Schwur und seine Aufhebung

Eines Abends, als meine Eltern noch lebten, kam der Nachbarsohn von meiner Schwester Auguste, die etwa 90 km von uns entfernt wohnte, zu Fuß zu uns. Sein Vater war, wie man in der Gegend sagte, ein „Kneipenreiniger“. Wenn er betrunken war, schlug er und mit ihm manchmal noch paar andere Gesellen, die ihm Verhassten zur Kneipe heraus. Dieses wurde oft in Kotasufka und Aresufka an den Marktagen schlimm getrieben.

Als dessen Sohn nun älter war und darin seinem Vater glich, kam er mit den Eltern in Konflikt und entfloh. Als Nachbar meiner Schwester wurde er von meinen Eltern aufgenommen. Unsere Eltern ahnten nichts von seinem Lebenswandel. Er war an dieses Raufen gewöhnt und trieb es in unserer Nachbarschaft auch bald so, dass wir unsere Freunde gegen uns hatten. Zwar kam er bald von uns fort, aber der eingewurzelte Hass wühlte weiter. Eines Abends überfielen mich meine früheren Kollegen als offene Feinde. Trotzdem ich mich bemühte, es ihnen klarzumachen, dass ich durch den jungen Mann, der bei uns logierte, in diese Sache unschuldig hineingeraten sei, misshandelten sie mich. Auf dem Heimweg schwor ich bei mir, sobald ich einem von ihnen begegne, ihm meine Misshandlung zu vergelten.

An einem spätem Winterabend kam ich aus der Singstunde. Ich musste sehr auf den Weg achten, um nicht vom Fußsteg abzukommen. Plötzlich stand vor mir ein junger Mann. Er war der Anführer der oben Erwähnten, sein Name war Grass. Sehr erschrocken sprang ich zur Seite in den tiefen Schnee. Er aber blieb bittend stehen und sah mich an. Jetzt geriet ich um meines Eides willen in Verlegenheit. „Soll ich meinen Schwur halten? Darf ich ihn brechen? Ist es vor Gott recht, wenn ich den Schwur auflöse?“  So kämpfte ich im Stillen mit Gebet. Der Herr gab mir unverzüglich folgende Antwort: „Du hast in deiner Aufregung und Sünde geschworen – das ist vor Gott ungültig. Wäre die Liebe Gottes in deinem Herzen gewesen, du hättest es nicht getan!“ Freudig erfasste ich nun die Hand des jungen Mannes, zog ihn aus dem Schnee auf den Steg, auf den ich getreten war, und sagte: „So, mein Freund, ich kann dir sagen, dass ich mich zu Gott bekehrt habe. Er hat mir meine Sünden vergeben. Auch habe ich dir in meinem Herzen vergeben, was du an mir tatest“. Langsam begann er zu begreifen. Ein Seufzer nach dem anderen kam aus seiner Brust. Er bat mich herzlich um Vergebung. Wir blieben fernerhin treue, verbundene Freunde. Nach wenigen Jahren zogen wir in verschiedene Richtungen. Aber noch nach etwa 25 Jahren machte er meine Adresse ausfindig. In seinen Briefen redete er mich als Freund und Bruder an und erinnerte mich an unser Beisammensein und an unsere Jugendzeit.

So hatte sich durch unseren jungen Gast schnell eine Feindschaft entwickelt. Aber durch meine Bekehrung wurde die Freundschaft wieder schneller hergestellt.