Wichtige Gedanken aus der Kindheit

Etliche Gedanken aus meiner Kindheit, die mir im Gedächtnis geblieben und sehr wichtig geworden sind, will ich hier noch niederschreiben.

Als meine Eltern eines Tages von zu Hause weg waren (ich mag wohl in der Wiege geweint haben), kam ein Mann, namens Georg Hipke wegen einer Geldangelegenheit zu uns zu Besuch. Dieser Mann kam an meine Wiege, öffnete seine Rocktasche und sagte, er wolle mich hineinstecken und mitnehmen. Ich erschrak sehr und hörte mit Weinen auf. Jahrelang stand mir dieser Mann als ein schrecklicher Mensch vor Augen. Jedes Mal, wenn ich nur seinen Namen nennen hörte, empfand ich einen neuen Schrecken.

Eines Tages sagten meine Eltern – es war schon in meinem 14. Lebensjahr –, dass ich auf eine Besuchsreise mitkommen sollte. Unter anderem werden sie auch zu Georg Hipke heranfahren. Am Montag früh begaben wir uns auf die Reise, und Dienstag Mittag trafen wir bei diesem Mann ein. Wir blieben dort bis Mittwoch. Trotzdem er zu mir recht freundlich war, waren meine Gefühle und Empfindungen nach all den Jahren diesem Mann gegenüber kaum verändert. Mir blieb dieses eine Lehre fürs ganze Leben: Nie einem Kind Furcht einzuflößen.

Eines Tages war ich mit meinem, von meinen älteren Brüdern selbst hergestelltem, Wägelchen an meines Vaters Hanffeld gegangen. Dort machte ich mir, indem ich den Hanf ausrupfte und ihn mit dem Wägelchen zurückfuhr, einen schmalen Weg ins Feld hinein. Plötzlich sah ich meinen Vater vor mir stehen. Der sagte mir:„ Rudi, du machst ja Schaden! Dieses Hanffeld kostet Aussaat und sehr viel Arbeit“. Mit diesen und anderen Worten erklärte er mir meine ungute Tat und ermahnte mich. Mein Vater war sehr streng, besonders mit den Erwachsenen. Die Kleinen aber behandelte er sehr zärtlich. Als ich meines Vaters traurige Stimme hörte und mir zum Bewusstsein kam, dass ich ihm einen großen Schaden zugefügt hatte, tat es mir sehr leid. Meines Vaters Worte, seine gerechten Handlungen und sein Mitgefühl sind mir unvergessen geblieben.

Mit zwei meinen älteren Brüdern ging ich als Knabe Vieh hüten. Sie hatten mich und mein Mitkommen sehr gern und erbaten es von der Mutter. An einem heißen Sommertag, als das Vieh (die Schafe und Pferde) in vollem Trab nach Hause liefen, mussten meine Brüder auch sehr schnell mitlaufen. Sie gaben mir eine schwere Axt, die sie bei sich hatten. Sie schärften mir aber ein, dass ich langsam und vorsichtig damit gehen sollte. Ich stolperte aber, fiel hin und schnitt mir mit der Axt in meinen linken Arm eine große Wunde. Ich weinte sehr, aber die Axt schleppte ich immer noch weiter. Stark blutend und unter großen Schmerzen habe ich sie teils getragen, teils geschleppt. Meine Mutter kam mir entgegen. Als sie das Blut und die Wunde sah, war sie sehr erschrocken. Ich hörte aber sofort auf zu weinen, als sie sagte, dass sie meine Brüder dafür strafen wollte. Ich nahm die Schuld auf mich, und meine Mutter erfüllte dann auch mein flehentliches Bitten.

Meine lieben Eltern hatten uns Kindern verboten, an den weltlichen Vergnügungen teilzunehmen. Sie waren in dieser Beziehung auch sehr streng. Obwohl die Kinder schon 25 bis 30 Jahre alt waren, beharrten die Eltern auf diesem Standpunkt. Sie waren überzeugt, dass es sich für christliche Eltern nicht ziemt, so etwas zu erlauben, und anderseits, dass es sich für eine christliche Jugend nicht schickt, so etwas zu tun. Wie waren in unserer Familie 10 Geschwister, 5 Brüder und 5 Schwestern. Aber niemand wagte es, gegen den Willen der Eltern so etwas zu tun. Einige Brüder hatten schon die 5-jährige Militärdienstzeit hinter sich, fügten sich aber dem Willen der Eltern.

Als meine Eltern einmal für 3 Tage verreisten, nahm die Jugend in der Umgebung die Gelegenheit wahr. Sie versammelte sich an einem Weihnachtsabend bei uns. Aber, anstatt bei dem Weihnachtsbaum christliche Lieder zu singen, wie wir es gewöhnt waren, veranstalteten sie ein Vergnügen. Meine älteren Brüder und Schwestern waren damit auch nicht einverstanden, aber sie konnten dem Treiben nicht mehr wehren. Plötzlich kamen meine Eltern auf den Hof gefahren, einen Tag früher, als es geplant war. Nun wurde die Jugend, so schnell es ging, durch Hintertüren herausgeschickt, und meine älteren Geschwister taten so, als wäre nichts geschehen. Uns Kleinen flüsterten sie zu, dass wir den Eltern von all dem Geschehenen nichts sagen sollten. Wir könnten es mit unserem Schweigen verhüten, dass sie dafür ihre sehr harte Strafe bekämen. Ich beschloss es fest in meinem Herzen, meine Geschwister nicht zu verraten, schon um der Strafe willen, die sie bekommen würden.

Als meine liebe Mutter dann hereinkam, merkte sie bald, dass nicht alles so war, wie es sein musste. Denn in solch kurzer Zeit ließ sich doch nicht alles ordnen und herrichten. Und am meisten verrieten es auch manch fremde Gegenstände, die in der Eile liegen geblieben waren. Nun fing die Mutter an zu forschen und zu fragen, aber zuerst bei den älteren Geschwistern. Je näher sie aber an mich herankam, desto mehr bekam ich Angst und wünschte von Herzen, dass meine Mutter mich nicht fragen möchte. Nun waren alle durch, niemand hatte etwas gestanden. Jetzt war ich an der Reihe. Gedrückt und betrübt nahm mich meine liebe Mutter auf den Schoß. Wie lieb ich meine Mutter auch hatte, aber jetzt war mir ihre Nähe so, als ob es unter mir brannte. Ein eigenartiges Gefühl – ich weinte laut. Die Mutter verwunderte sich und fragte, warum ich weine. Ich konnte aber vor Weinen und Schluchzen lange nichts sagen. Ich tat der Mutter leid, aber sie wollte es doch gern wissen. Und endlich sagte ich: „Versprich mir erst, dass du meine Geschwister nicht strafen wirst“. Dieses zu versprechen, war meiner Mutter nicht so leicht. Aber durch mein anhaltendes Bitten und Weinen ging es ihr doch sehr zu Herzen. Ich hatte damit etwas erreicht, wodurch mich meine Mutter und meine älteren Geschwister besonders lieb hatten.

Als ich in meinem 13. und 14. Lebensjahr mit meinem Vater und den älteren Brüdern mit aufs Feld zur Arbeit ging, habe ich mich während der Ruhepause oft ins Verborgene zurückgezogen, um zu beten. Ich verbarg mich dabei in Sträuchern und zur Sommerzeit auch im Getreide. Wenn das mein Vater gewusst hätte, oder wenn ich ihm einmal gesagt hätte: „Vater, bete für mich, oder ich will beten gehen,“ wäre das für meinen Vater eine der größten Freuden gewesen. Er hat oft und gern mit anderen und für andere gebetet. Und wie viel lieber hätte er es für mich oder mit mir getan! Hätte ich davon damals meinem Vater etwas gesagt, wäre ich vor großen Schwierigkeiten bewahrt geblieben.

Meine Mutter schickte mich einmal auf die Wiese in die Sisuda. So wurde die Halbinsel in dem Fluss Ush, hinten auf unserem Grundstück genannt. Ich sollte die Grasmäher zum Mittagessen rufen. Vorsichtshalber hatte mich die Mutter noch durch den Obstgarten begleitet, damit sie sicher war, dass ich hinfinde. Auf dem Heimweg gingen die Mäher vorn und ich lief hinterher. Einer von ihnen ließ die Sense hinten recht tief herunterhängen. Die scharfe Sense schnitt mir dabei mit der Spitze im Genick, dicht am Kopf, eine Wunde. Die Männer versuchten ihr Möglichstes, um das Blut zu stillen. Als wir heimkamen, hörte ich aus dem Munde meiner Mutter: „Oh, hätte ich doch mein Kind nicht aus den Augen gelassen!“ Und sich an die Männer wendend: „Und ihr habt wohl vergessen, dass ihr ein Kind bei euch habt?“ Diese Worte meiner Mutter sind mir auch als Warnung in meinem Gedächtnis geblieben.

Meine Schwester Emilie erzählte mir, dass sie als ältere Schwester oft mit mir, dem kleinen Bruder, alleine war und mich versorgen musste. Bei diesem tagelangen Alleinsein mit mir kam ihr die Idee, doch auszufinden, ob ich auch so weinen und schreien könnte wie die anderen Kinder. Sie wollte auch einmal Mutter spielen. Sie holte eine Rute und sprach zu sich: „Ich werde doch einmal probieren, ob er nicht schreien kann!“ So hob sie das Bettchen (Decke) auf und fing an, mich ziemlich hart zu schlagen. Als ich dann aber, anstatt zu schreien, kläglich zu weinen begann, tat es ihr sehr leid. Sie nahm sich fest vor, mir dieses zu erzählen, wenn ich größer bin. Sie erzählte es mir oft, entschuldigte sich, zuletzt kurz vor ihrem Heimgang. Wir waren und blieben innig verbunden bis in den Tod. Sie hatte auch ihren ältesten Sohn Rudolf nach mir genannt. Ich liebte meinen Neffen Rudolf innig. Als er dann im Weltkrieg 1919 an der türkischen Front umgekommen war, schien mir sein Tod doch das Schwerste zu sein von allem, was mir bis dahin begegnete.

Während meines 4. oder 5. Lebensjahres saß ich eines Tages mit mehreren Kindern am Ufer des Flusses Ush. Ich hatte mir beim Spielen aus Sand einen Tisch gebaut und von dem Laub der Linden, deren dort viele waren, ein Buch gemacht. Wir sagten dann Gottesdienst an, sangen und lasen aus diesem „Buch“. Während des Betens blickte ich auf und sah plötzlich meinen Vater! Er stand ganz nahe bei uns, hatte seine Hände gefaltet, das Haupt zwischen die Schultern gesenkt und nahm an „unserem Gottesdienst“ andächtig teil.

Als meine älteste Schwester Karoline ihr erstes Töchterchen bekam, wünschte sie, dass ich eine Zeit bei ihr sein sollte. Meine Eltern willigten dazu ein. Das kleine Mädchen wurde mir viel überlassen und gewöhnte sich sehr an mich, so dass sie nach ihren Eltern wenig fragte. Eines Tages kam zu meinem Schwager sein Schwager Stockmann zu Besuch. Weil er dort öfter einkehrte und mich so wie meinen sorgfältigen Umgang mit meiner kleinen Nichte oft beobachtet hatte, bat er meine Schwester, dass sie mich mit in sein Haus lassen sollte. Er glaubte, wenn ich bei ihnen im Hause wäre, dass ihr kleines Töchterchen nicht auch sterben würde. 10 Kinder waren ihnen schon im zarten Kindesalter gestorben. Nach vielem Bitten willigten sie ein, ohne meinen Eltern davon etwas zu sagen. Bald war er mit seinem Schlitten bereit, wickelte mich in einen Pelz, nahm mich auf den Schoß. Er ließ die Pferde galoppieren, so dass uns Stücke Eis und Schnee über den Kopf sausten.

Als mein Bruder Theodor dieses erfuhr, wollte er mich auch eine Zeitlang bei sich haben. Es ist ihm auch gelungen. Ohne dass ich inzwischen daheim sein konnte, ging es etwa 70 km weiter durch Dörfer, Wälder, über Wiesen und Felder, aber am meisten auf Sandstraßen. Ich kam hier in eine neue Waldsiedlung. Meine Eltern kamen dann nach einer Zeit hier zu Besuch. Bei der Gelegenheit bat sie mein Bruder Christian, dass ich auch für eine Zeit zu ihm kommen möchte. Diese beiden Brüder wohnten als Nachbarn in der Kolonie Diwlin (Iwanowka), in der Nähe von Lugin.

Ich war der einzige aus unserem Haus, der als Kind etliche Jahre von den Eltern fort war. In dieser Zeit habe ich auch erfahren, wie es den Kindern geht, wenn sie von der Mutter weg und in der Fremde sind. Auch konnte ich hier öfter den großen Unterschied zwischen der Mutterliebe und der Behandlung durch Angehörige verspüren und kennen lernen. Gott hat es so geführt, dass ich auch durch dieses hindurchgehen musste. Es ist oft der Fall, dass jungverheiratete Leute den Umgang mit Kindern noch nicht wissen, überhaupt wenn sie noch keine eigenen Kinder haben. Wenn andere Kinder mit ihnen zusammen sind, fehlt oft die richtige mütterliche und väterliche Liebe. Es ist lehrreich auch mal dieses kennen zu lernen.

Wenn meine Eltern kommen sollten oder unerwartet plötzlich da waren, wurde ich oft an die Seite gerufen. Sie baten mich dann sehr freundlich von all dem, was zwischen uns vorgekommen war, den Eltern nichts zu sagen. Es kam auch vor, dass meine Mutter mich hierüber befragte. Ich gab oft eine ausweichende Antwort, denn ich wollte ja beide Teile zufrieden stellen.

Einmal war meinem Bruder Christian ein Militärdokument abhanden gekommen. Er musste das Dokument der Militärbehörde vorzeigen, und sie fanden es nicht. Sie suchten vergeblich überall, wo sie es nur vermuten konnten. Die Stunde, wo mein Bruder mit dem Dokument zur Militärbehörde musste, kam immer näher, und es war nicht zu finden. In dieser Aufregung hat der Teufel es versucht, meinen Bruder glaubend zu machen, dass ich das Papier weggebracht hätte. Er rief mich an einen besonderen Ort. Nachdem er lange und ernst gefragt und geforscht hatte, versuchte er mich in seiner Aufgeregtheit hart zu strafen. Ich wusste das schon vorher, da ich ihn mit der Strafrute stehen sah. Gleich nach der Schläge bat er mich, ich sollte es meiner Mutter, die eben auf den Hof kam, nicht sagen. Meine Mutter hatte während dieser Tage ihres Besuches, besonders während dieser Aufregung und dem Suchen bemerkt, dass irgend etwas nicht stimmte. Ich ließ mir aber nichts merken, sondern tröstete meine liebe Mutter. In ihren Augen bemerkte ich Tränen, auch forschte sie noch immer mehr. Hätte die Mutter nur einen Teil von meinen Erlebnissen gewusst, wäre ich sofort mit nach Hause genommen worden. Dies wäre auch mein Wunsch gewesen, aber ich wollte meinen Bruder und seine Frau nicht verraten.

Als sie das Dokument noch immer nicht gefunden hatten, kam mein Bruder in seiner Not und Verzweiflung noch einmal zu mir. Ich sagte ihm mit tränenerstickter Stimme, er solle noch einmal alles gut durchsuchen. Ich ging mit betendem Herzen voran in das Zimmer, in dem die Dokumente lagen. Ich blickte auf zu Gott. Es handelte sich nur noch um Minuten, bis mein Bruder fort musste. Mein Bruder kam auch mit raschen Schritten nach und wollte mich überzeugen, dass das Dokument nicht da ist. In seiner Aufregung blätterte er hier und dort, denn sie hatten die Papiere in diesen Minuten schon oft durchsucht. Plötzlich hielt er einen Augenblick mit Suchen an und von seinem Gesicht zog die düstere, verzweifelte Wolke weg. Wir alle starrten ihn an, niemand wagte ihn etwas zu fragen. Und dann rief er halb beschämt und doch sehr erfreut: „Hier ist es ja!“

In Wolhynien war es auf dem Lande Brauch, dass fast jedes Kind mithelfen muss, auch hat es ein paar Jahre das Vieh zu hüten. So hütete auch ich von meinem 10. bis zum 14. Lebensjahr das Vieh. Das war eine schöne Zeit. Ich fing da auch an, über die verlorene Welt und die ungläubigen Menschen nachzudenken. Ich fühlte, dass eine Neubelebung durch mein Inneres ging. Alles sah für mich anders aus. Aus allem hätte ich, wie eine Biene Honig aus den Blumen zieht, eine Lehre für mein Leben ziehen können. Oft, wenn ich zwischen der Viehherde war, machte sich in mir ein Verlangen bemerkbar, der heilsbedürftigen Menschheit eine Hilfe sein zu können. Wenn ich beim Hüten auch oft fror und tüchtig nass wurde, machte es mir keinen Kummer. Ich empfand, dass ich hier auf dem richtigen Platz war.

Nichts machte mir mehr Freude, als wenn meine Herde so friedlich und in Eintracht zusammen weidete. Soweit ich mich entsinnen kann, lag schon früh ein stilles, verborgenes Sehnen zum Dienst im Reich Gottes in meinem Herzen. Acht Jahre alt, fragte ich einmal in meinem kindlichen Sinn und auch in einem gewissen Herzensverlangen meine Mutter, wo eigentlich die Prediger herkommen. Meine Mutter hielt mit ihrer Arbeit ein wenig inne, sah mich eine Weile an und sagte dann mit Nachdenken: „Mein Kind, ein Prediger könnte auch aus dir werden, unter der Bedingung, dass du dich zu Gott bekehrst und standhaft bleibst. Wenn du dich eng zu Gott hältst und nicht von Gott abfällst, kann Gott auch aus dir einen Prediger machen. Die Leute würden dich dann auch als Prediger anerkennen“. Diese Worte blieben mir lebendig in Erinnerung. Immer wenn ich daran dachte, dass ich mich einmal bekehren werde, war das Verlangen damit verbunden, standhaft zu bleiben und nicht wieder abzufallen. Es lag mir sehr daran, die Möglichkeit, ein Arbeiter im Werke des Herrn zu werden, nicht zu verscherzen. Das war auch die Ursache, warum ich mit der Bekehrung so lange nicht ernst machte und vorsichtig war. Ich wollte nicht etwas verfehlen oder etwas Unechtes dabei tun.

In meinem 12. Lebensjahr hatte ich Gott schon um Vergebung meiner Sünden gebeten. Sie wurden mir damals auch vergeben. Bei verschlossener Tür oder auch im Walde hielten wir Kinder damals unseren Kindergottesdienst, in dem mehrere Kinder Frieden und Vergebung fanden. Wie hätten sich meine lieben Eltern darüber gefreut, wenn sie davon etwas erfahren hätten! Ich besinne mich noch gut darauf, dass ich oft ganz allein auf einem Baumstumpf, oder in den Spitzen der jungen Birken und Eichen gestanden habe. Ich sah dann im Geist viele Leute vor mir, und ein tiefes Verlangen durchzog mein Herz, allen Menschen auf dieser Erde zu sagen, dass sie sich zu Gott bekehren sollten. Wenn ich von meinen Eltern gefragt wurde, was für einen Beruf ich wählen wollte, war mein Herz nur mit dem Gedanken erfüllt, den Menschen zu helfen, dass sie glücklich würden.

Es kam oft vor, dass die Russen nach der Ernte ihre Ochsen weit von ihrem Anwesen auf die Weide trieben. Eines Sonntags hütete ich, zusammen mit einigen eingeborenen Ukrainern, das Vieh. Den ukrainischen Männern war es aufgefallen, dass ich Tag für Tag ein Buch bei mir hatte. Als wir wieder mal um ein Feuer herumstanden, um uns zu wärmen, fragten sie mich, was das für ein Buch sei. Ich antwortete: ,,Es ist ein Testament, das heilige Evangelium“. Darüber erstaunt, stellten sie mir die weitere Frage, warum ich solch ein Buch bei mir habe. Nun erzählte ich ihnen, dass ich darin mein ewiges Leben suche, dass auch sie sich bekehren und ihr Leben nach diesem Buch einrichten müssten, wenn sie nicht ewig verloren gehen wollten. Obwohl in der ukrainischen Sprache unbeholfen, konnte ich ihnen in kindlichem Sinne doch vieles von der Ewigkeit, von Himmel und Hölle erzählen. Sie nahmen ihre Holzpfeifen aus dem Mund, nahmen die Mützen ab und legten ihre rechte Hand auf die linke Brust. Damit wollten sie beweisen, dass sie an dieser Sache teilnehmen. Ernst und bedächtig schauten sie einander an. Sie überlegten länger darüber und sagten nachher: „Das ist wahr, auch wir müssen unser Leben nach dem Evangelium einrichten! Nur vorher wollen wir unseren Batjuschka (Pastor) darüber befragen und von ihm erfahren, was er dazu meint“. Sie suchten mich danach öfter auf, und unsere Unterhaltungen wurden immer segensreicher. So hatte ich schon vor dem 14. Lebensjahr manches für den Herrn zu tun versucht. Meine Hirtenzeit gereichte mir zum großen Segen und fiel mir nicht schwer. Ich wuchs in meinem Innern und lernte auch zu gleicher Zeit den Umgang mit Menschen.

In meiner Herde gab ich jedem Stück Vieh seinen Namen. Entweder nach einem Vogel oder einer Blume (z. B. Stern, Blume, Viola, Drossel, Lerche, Nachtigal usw.). Ich bemühte mich auch, mein Vieh nach seinem Namen zu behandeln. Ich brauchte mein Vieh nicht zu treiben, sondern rief es mit Namen, und sie folgten mir wie eine Herde Schafe. Dieses bewegte mich oft bis in mein tiefes Innere.

In den langen Stunden meines Alleinseins vernahm ich deutlich Gottes Ruf in meiner Seele.