5. Kanaan im Glauben erforschen

Frage: Ich kann den Glauben nicht so recht begreifen. Was ist überhaupt Glaube? Versuche ich zu glauben, so habe ich manchmal das Empfinden, dass mein Glaube stark sei, während er zu anderen Zeiten wieder nachzugeben scheint. Könnt ihr mir hierin eine helfende Hand bieten? Der Glaube kommt mir bald wie eine trügerische, unfühlbare, schleierhafte Sache vor. Jetzt meine ich, ich habe ihn, und im nächsten Augenblick scheint er mir wieder ganz ferne zu sein. Manchmal fühle ich, mein Glaube sei so stark, dass ich alles glauben könnte, zu anderen Zeiten hingegen habe ich wieder das Gefühl, als ob jedes Körnlein Glaube, das ich hatte, weg sei. Könnt ihr mir Unterweisungen geben, wie ich in diesem Stück auf sicheren Boden gelange?

Antwort: Stellen wir uns einmal vor, wir seien heute zu Kaleb eingeladen (4.Mose 13:30; Jos. 14:6-14) und würden diese Gelegenheit benützen, um ihn in seiner Behausung aufzusuchen.

Allem Anschein nach werden wir den alten Streiter heute zu Hause antreffen, denn es ist ein prächtiger, schöner Tag. Die meisten seiner Kämpfe führte er bei schlechtem Wetter aus. Nicht weit von Hebron hat er sein Heim gegründet. Sieh, schon sind wir da! Ist hier die Aussicht nicht herrlich und begeisternd? Im Norden längs der Bergkette liegt Bethlehem und Jerusalem. Im Osten sehen wir das Wasser des Toten Meeres silbern in den Sonnenstrahlen glänzen; im Westen liegt Gath, von wo der Riese Goliath herstammt und im Süden – Beerseba.

– Kaleb, erzähle uns bitte etwas aus deinen Erfahrungen in Kanaan!

– Vor fünfundvierzig Jahren sah ich Hebron zum ersten Mal. Damals sandte Mose zwölf Kundschafter nach Kanaan, die Land und Leute kennenlernen und dann Bericht erstatten sollten. Ich war einer dieser Zwölf. Vor langer Zeit betrat Abraham dieses Land, und Gott, der Allmächtige, versprach ihm, das ganze Land seinen Nachkommen zum ewigen Besitz zu geben. Als ich drunten in Ägypten das erste Mal von Kanaan hörte, glaubte ich fest, dass es ein fruchtbares Land sein müsse, ein Land, wo Milch und Honig fließt, so wie Gott es gesagt hatte, und ich sehnte mich hineinzukommen.

Als wir zwölf Kundschafter Kades-Barnea verlassen hatten, um in Kanaan einzudringen (4.Mose 13:1-3.17-33), fiel es mir auf, dass zehn von uns eng zusammenhielten, Josua aber und ich waren eifrig, das Land, soviel es uns nur möglich war, zu erkunden. Wir durchwanderten das Land kreuz und quer, soweit wir nur konnten. Nicht weit vom Platz, wo wir gerade stehen, sahen wir zum ersten Mal die Enakiter, die Riesen Kanaans. Das waren wirklich Riesen. Ihre Beine sahen wie Baumstämme aus; ihr Gesicht war mit einem dichten Bart bedeckt, aus dem die Augen gleich Kristallen herausfunkelten. Als ich sie sah, fing mein Herz an zu beben; denn ich wusste, dass es gefährliche Feinde waren, mit denen nicht leicht umzugehen ist. Wir waren sehr vorsichtig, damit sie uns nicht sehen sollten, und ich muss sagen, dass ein Teil von uns Kundschaftern große Furcht bekam. Einige fingen an, heftig zu zittern, und sobald wir wieder ein wenig weg waren, fingen sie an, aus allen Kräften zu laufen.

Aber eine Stimme in meinem Herzen sagte mir: Wenn Gott uns dieses Land gegeben hat, dann wird Er uns auch über die Enakiter Macht geben, ungeachtet wie viel und wie stark sie sind.

Dann kamen wir zu Städten mit großen Mauern. Ich unterhielt mich mit Josua über das Erobern derselben. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Aber weil Gott Abraham das Land eindeutig versprochen hatte und wir schon aus Pharaos Hand und Knechtschaft so wunderbar errettet wurden; ja weil Er uns auf eine übernatürliche Weise durch die Wüste hindurchgeholfen und nun bis an die Grenze des Landes gebracht hatte, sagten wir uns, dass Er ganz sicher von uns erwartet, dass wir Kanaan einnehmen. Und das sagte ich auch den anderen.

– Wir werden es nie erobern, – erwiderten sie, – nie in Leben! Lasst uns so schnell wie nur möglich von hier weggehen und nach Ägypten zurückkehren. Wir fühlen uns so schwach. Solch ein Land können wir nicht erobern. Seht doch diese Riesen: wir sind ja im Vergleich zu ihnen nur wie Heuschrecken. Und seht doch diese Mauern, die reichen ja fast bis an die Wolken! Lasst uns zurückgehen!

– Aber wenn Gott sagte, dass wir das Land erben sollen, wird Er uns dann nicht helfen? – antworteten Josua und ich.

– Sicher dachten wir, dass Gott uns das Land verheißen hat, – erwiderten die zehn, – aber wir haben doch nicht erwartet, dass wir es uns selbst erkämpfen müssen. Wir dachten, dass Gott es uns ohne Kampf und Schwierigkeiten geben wollte.

– O nein, Gott hat uns Kanaan niemals ohne Kampf verheißen, – erwiderten wir. – Aber Er will uns kämpfen helfen, und wir sollen beide, Gott und Kanaan, richtig einschätzen; und der Kampf wird uns stärker machen.

Wir konnten sie aber nicht überzeugen; all unsre Beweisgründe schienen keinen Eindruck auf sie zu machen. Ihre Herzen waren durch Unglaube und Zweifel schon hart geworden (4.Mose 14).

So wanderten wir dann noch vierzig Jahre in der Wüste umher.

Vor fünf Jahren gingen wir über den Jordan. Gelobt sei der Herr! Das waren herrliche Tage in Kanaan! Gott war uns sehr nahe, und unsre Feinde zitterten. Jericho fiel. Ai wurde eingenommen. Fürsten der Finsternis und Riesen der Ungerechtigkeit zerschmolzen vor dem Heer des Herrn, bis das Land in unserem Besitz war.

Dann ging ich zu Josua und bat ihn, bei Hebron mein Heim gründen zu dürfen. In Hebron waren mehrere Riesen wohnhaft, und ich war begierig darauf, sie zu besiegen; denn mir gefiel die Gegend. Josua gab mir die Erlaubnis, und so zog ich heran. Ich vertraute völlig auf Gott, dass Er mir helfen werde.

Es erübrigt sich, euch das weitere zu erzählen. Hier bin ich durch die Hilfe Gottes, daheim in meinem Besitztum. Die Riesen sind tot. Und ich erhalte mein Eigentum in Frieden aufgrund der göttlichen Verheißung, des Schwures, den Gott unserm Vater Abraham gab, dass wir, „erlöst aus der Hand unsrer Feinde, Ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist“ (Lk. 1:74-75). Dank sei dem Herrn für diese große Gabe!“

Wir werden Kaleb wieder besuchen, da die Mitteilungen über seine Kämpfe und Siege unsre Seelen so sehr aufgerichtet und ermutigt haben.

 

Du sagst, du könntest den Glauben nicht recht begreifen. Lass mich dir die Frage stellen, ob du Freude oder Kummer oder Herzweh oder hellen Jubel begreifen kannst. Kannst du das Volumen des Zorns berechnen oder die Liebe mit dem Litermaß oder mit der Waage wägen? Und wenn diese Dinge auch nicht greifbar sind und flüchtig scheinen, so glaubst du doch, dass sie wirklich sind, nicht wahr? Wenn du z. B. zu jemandem Liebe hast, stellst du ihre Wirklichkeit nicht in Frage, obwohl du deine Liebe nicht mit einer Waage wägen oder mit einem Maß messen kannst. Dasselbe gilt von den Taten und Entscheidungen deines Willens. Wer sah je einen Willen, der selbst etwas tat? Und doch beweist das äußere Leben in all seinen Formen genügend, dass hier die ganze Zeit hindurch ein Wille wirksam ist.

Glaube ist also in seiner Art so etwas Ähnliches wie Freude und Liebe. Er gehört zur Art der ungreifbaren und unsichtbaren Wirklichkeiten des Lebens, die es mit dem geistlichen Teil unsrer Natur zu tun haben. Durch sie steigen wir höher oder sinken tiefer, als es uns durch nur körperliche Gefühle oder Taten möglich wäre. Glaube, Freude, Liebe sind geistliche Eigenschaften, geistliche Dinge, die die Seele günstig oder ungünstig beeinflussen, je nachdem sie selbst durch gute oder schlechte Ursachen hervorgerufen wurden. Zweifel, Unglaube, Zorn, Ehrgeiz, Stolz usw. sind ebenso ungreifbar wie Glaube und Liebe, nur befinden sie sich am entgegengesetzten Ende.

Glaube ist nicht schwerer zu begreifen als Zweifel. Glaube glaubt, und Zweifel glaubt nicht. Das eine ist das Gegenteil vom andern, so wie Himmel und Hölle Gegenteile voneinander sind. Betrachten wir die Zweifler etwas näher, so finden wir, dass sie glauben; aber sie glauben das Gegenteil dessen, was sie glauben sollten. Zweifler glauben das Verkehrte. Ein Zweifler kann und sollte Tatsachen glauben, aber aus gewissem Grund kann er nicht dahin gelangen, es zu tun. Anstatt dessen glaubt er andere Dinge, die ihm Tatsachen zu sein scheinen, es aber nicht sind.

Lasst uns Glauben und Zweifel veranschaulichen. Du nimmst morgens eine Zeitung zur Hand und liest, dass in Hannover ein Hotel abbrannte, wobei vier Personen ums Leben kamen, dass in Sachsen ein Güterzug entgleiste und ein Mann dabei verletzt wurde, und dass in Dresden ein Landtagsabgeordneter gestorben sei. Bezweifelst du diese Tatsachen oder glaubst du sie? Wenn du sie glaubst, dann ist das ein Beweis dafür, dass du Glauben hast. Du schaust auf den Kalender und siehst, dass Morgen Sonnenfinsternis sein soll. Wenn du dich nun bereit machst, um durch ein Dunkelglas auf die Sonne zu schauen, so ist das ein Beweis, dass du Glauben hast. Wenn du einen Brief erhältst, der dir vom Tod deines Onkels berichtet, und du beim Gedanken an seine in Not zurückgelassene Familie traurig wirst, so ist das ein Beweis, dass du Glauben hast. Wenn dir ein Angestellter deines Geschäfts die Nachricht bringt, dass dein Warenlager abgebrannt sei, und du den Verlust fühlst, so ist es ein Beweis, dass du Glauben hast.

Natürlich gibt es auch Dinge, die du bezweifelst. Man sagt dir, jemand habe das Perpetuum mobile erfunden, etwas, das sich ohne Antrieb immer fortbewegt. Du lächelst und glaubst es nicht. Du zweifelst. Zweifel ist einfach das Gegenteil vom Glauben.

Um nun zu veranschaulichen, dass der Glaube immer sofort wirkt, lass uns einmal annehmen, du seist Vater oder Mutter, und eins deiner Kinder sei verschwunden. Es ist dein Jüngstes. Du hast gesucht und gesucht und dich abgemüht, bis du ganz erschöpft heimkehrtest und doch keine Spur von deinem Kind gefunden hast. Dein Herz bricht dir fast; eine Last, so schwer wie Blei, liegt auf dir. Du denkst an Dutzende von Dingen, die dem Kind zugestoßen sein könnten. Es könnte entführt worden sein, es könnte überfahren und getötet worden sein, es könnte ins Wasser gefallen und ertrunken sein, irgendwo könnte es herzzerbrechend schreien und weinen. Schließlich begibt sich die ganze Nachbarschaft auf die Suche, und du wartest erschöpft und bange daheim. Schließlich hörst du draußen jemanden laut rufen. Dann kommt jemand aufgeregt ins Haus gerannt und sagt: „Das Kind ist gefunden; ihm ist nichts passiert“. In dem Moment, wo du der Botschaft glaubst, rollt die Last herunter, das Herz wird leicht und die Seele glücklich. Tränen der Freude fließen.

Aber angenommen, es stellt sich heraus, dass dies ein voreiliger Bericht war, und nach und nach kommen andere und sagen, es sei ein Irrtum gewesen: das Kind wurde tot aufgefunden. Dann verwandelt sich all deine Freude unverzüglich in tiefer Traurigkeit. Denn Glaube wirkt immer sofort.

Wie schnell der Glaube wirkt, ist schon durch folgendes Beispiel veranschaulicht worden. Angenommen, jemand reißt in Aufregung die Tür des Amtszimmers auf, darin Professoren der Philosophie und der höheren Kritik am Studium sind, und schreit: „Feuer!“ Du wirst sehen können, wenn diese hartgesottenen Skeptiker dem Ruf glauben, dass sie in größter Eile, alle Regeln des Etiketts vergessend, aus dem Gebäude rennen. Leute mögen über den Glauben spotten, der wie ein Blitz wirkt, aber jede Probe beweist aufs Neue, dass es doch so ist.

Du erwähntest, dass du zeitweise fühlst, starken Glauben zu besitzen, und zu anderer Zeit fühlst du, dass dein Glaube dich verlässt. Du begehst einen großen Fehler, indem du deinen Glauben mit deinen Gefühlen vermischst. Die werden sich aber nie verbinden. Und alle, die sie zu mischen versuchen, geraten in Schwierigkeiten; denn der Glaube ist eine Sache für sich, und die Gefühle sind auch eine Sache für sich.

Der einzige Weg zu wissen, dass du Glauben hast, ist, etwas zu glauben. Glaubst du etwas? Wenn ja, so hast du Glauben. Glaubst du an Gott? Dann hast du Glauben an Gott. Glaube glaubt, wie das Auge sieht und das Gehör hört. Siehst du etwas, so weißt du, dass du Augenlicht hast; hörst du etwas, so weißt du, dass du Gehör hast; und glaubst du, so hast du Glauben.

Glauben an Gott ist genau so wie Glauben an etwas anderes. Gott hat gesagt, Er will für dich etwas tun oder hat für dich etwas getan. Glaubst du, dass Er diese Sache getan hat oder tun will? Wenn ja, so ist das Glaube.

Zum Beispiel, du hast über alle deine Sünden Buße getan und Gott um Vergebung gebeten. Er hat gesagt: „Wenn wir unsre Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit“ (1.Joh. 1:9). Glaubst du das? Du sagst: „Ja“. Nun, so hast du Glauben, und aus Gnaden bist du gerettet worden durch den Glauben (Eph. 2:8). Und „da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus“ (Röm. 5:1). Und noch mehr: „Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat dieses Zeugnis in sich“ (1.Joh. 5:10); oder, in anderen Worten, wenn du glaubst, weißt du das, und Gott tut für dich, was Er zu tun verheißen hat.

Dieselbe Beweisführung gilt auch in Bezug auf die völlige Heiligung. Die Bedingungen sind Weihe und Glaube. Du hast alles auf den Altar zu legen, Gott zu bitten und Ihm zu vertrauen, dass Er dein Herz reinigt und dich mit seinem Geist erfüllt. Hast du dich auf diese Weise geweiht? Hast du Ihm alles übergeben? Wenn du „Ja“ sagst, glaubst du dann, dass Gott dich völlig heiligt? Wenn ja, so hast du Glauben und bist völlig geheiligt, weil Gott nicht lügen noch fehlen kann.

Glaube an Gott ist somit ein Glauben des Wortes Gottes, ein Glauben der Bibel. Wenn du der Bibel Gehorsam leistest und den Bedingungen nachkommst, die für irgendeine verheißene Segnung in ihr dargelegt sind, so kannst du auch glauben, dass Gott für dich tut, was Er verheißen hat. Und glaubst du, so wirst du im Glauben volle Freude und Frieden haben; du wirst dich der Reichtümer der Gnade Gottes erfreuen, und Er wird in dir mächtig wirken, wie Er es in allen denen tut, die da glauben (Eph. 1:19).