9. Im Kerker des Riesen Entmutiger

Frage: Manchmal bin ich sehr entmutigt, und manchmal lastet der Bann der Entmutigung eine ganze Zeit lang auf mir. Ich würde gern wissen, ob ich wirklich geheiligt bin. Aus unerklärlichen Quellen strömen schlechte Gefühle jeder Art in meine Seele, und mit diesen schlechten Gefühlen kommen Zweifel, die mich fast zum Schwermut bringen. Ich habe gebetet und gebetet, dass diese Gefühle der Entmutigung von mir weichen möchten. Aber sie taten es nicht. Ich glaube nicht mehr, dass mir das Gebet die Hilfe bringen kann, die ich brauche. Wirklich, ich weiß nicht, was ich tun soll. Von ganzem Herzen begehre ich, völlig dem Herrn zu gehören, und dass sein Wille in meinem Leben geschehe. Und es ist schmerzlich glauben zu müssen, dass diese Entmutigungen den Willen Gottes in meinem Herzen behindern. Welche Gefühle haben geheiligte Leute überhaupt? Ich sollte meinen, dass sie allezeit voll überströmender Freude sind, wenn sie so geweiht sind und dem Herrn so nahestehen. In dieser Richtung brauche ich Hilfe, und ich werde es sehr schätzen, wenn Ihr mir Rat erteilen könnt.

Antwort: Die Wüste Kanaans ist ein wildes, raues Gebiet, das an das Jordantal grenzt, das jeder Pilger und Heimatsucher durchwandern muss, ehe er seinen Heimatsitz findet und sich dort niederlässt. Manche Pilger haben das Glück, schnell hindurchzukommen, während andere unter den Bann zweier alter Riesen geraten, die dort wohnen, und es dann sehr schwer haben, hindurchzugelangen. Diese Riesen heißen Entmutiger und Verzweiflung. Es wird gesagt, dass sie Zwillingsbrüder sind, Söhne eines mächtigen Elternpaares, Unglaube und Zweifel, die in derselben Wüste wohnen und, wie man sagt, Großvater und Großmutter einer der schlimmsten Riesenfamilien in ganz Kanaan sind. Hier in der Wüste treffen die Pilger auch den Riesen Ankläger, der ein Vetter der Riesen Entmutiger und Verzweiflung ist.

Es wird erzählt, dass Pilger Sieger mit diesen beiden Riesen, Entmutiger und Verzweiflung, einen langen und harten Kampf hatte. Wir haben heute Abend Zeit: Warum sollten wir nicht Sieger einen Besuch abstatten? Wahrscheinlich wird er uns von diesem Kampf erzählen. Es wird uns sicher wert sein zu erfahren, wie er sie überwand. Wir hören, dass diese zwei Riesen sich vor ihm wirklich fürchten, seit er in der Handhabung seines Schwertes so erfahren geworden ist.

Gut, lass uns den Pilger Sieghaft besuchen.

Wo wohnt er? Er wohnt auf dem Berg Morija, und wir werden ihn ohne Zweifel zu Hause antreffen.

O sieh, hier steht ein Denkmal am Weg. Lass uns stehen bleiben und die Inschrift lesen! Höre:

„An dieser Stelle wurde ein verzweifelter Kampf zwischen Pilger Sieger und zwei der schlimmsten Riesen Kanaans, den Riesen Entmutiger und Verzweiflung, ausgefochten. Sieger gewann nach langem Kampf. Die Burg des Riesen Verzweiflung liegt rechts von hier in einer dunklen Bergschlucht. Bei klarem Wetter kann sie von hier aus gesehen werden. Pilger werden gewarnt und darauf aufmerksam gemacht, sich für eine Begegnung mit diesen Riesen bereit zu machen, denn sie haben schon Tausende erschlagen.“

Komm, lass uns von diesem Orte forteilen! Doch sieh! Dort ist die Burg des Riesen Verzweiflung! Sie sieht mehr als ein Gefängnis, als eine Burg aus. Es könnte sein, dass dort gerade jetzt sich ein armer Pilger befindet. O Immanuel, wenn dies der Fall ist, sende einen Engel, dass er ihn lehre, den Schlüssel der Verheißung zu gebrauchen, um entfliehen zu können.

Oh, dort kommt ein Pilger gerade aus dieser Richtung. Und dort kommt der alte Riese Verzweiflung hinter ihm her. O Immanuel, hilf!

Wird der Pilger entrinnen? Der alte Riese kommt so schnell heran! Aber heute ist klares Wetter. Ja! Nun beleuchtet die Sonne voll und ganz den alten Riesen. Und er scheint in ihren Strahlen wie zu zerschmelzen. O ja, jetzt wissen wir warum: Er kann bei klarem Wetter nicht laufen. Nun ist der Pilger wieder auf der Hauptstraße.

– Pilger, wir sind so froh, dass du davongekommen bist. Wie siehst du erschöpft und müde aus! Und hier, was ist denn das, armer Kamerad? Hier sind Blutspuren, und dein Rücken ist mit Wunden bedeckt. Sicher hat dich der alte Riese geschlagen, nicht wahr? Wie bist du entronnen?

– Gepriesen sei Immanuel ewiglich! Der alte Riese Verzweiflung hat mich lange in seinem Kerker gehalten. Beinahe wäre ich umgekommen. Ich traf zuerst mit dem Riesen Entmutiger zusammen, und er brachte mich zur Schlucht mit jener Burg dort drüben. Dann ertappte mich der alte Riese Verzweiflung und warf mich in seinen Kerker. Er schlug mich regelmäßig: morgens, mittags, abends und in der Nacht. Eine Anzahl Pilger hat er totgeschlagen. Einen tötete er, während ich dort war. Und dort liegt ein großer Haufen Knochen von andern armen Pilgern, aus denen er jeden Funken Hoffnung herausgetrieben hat. Aber an diesem Morgen erinnerte ich mich an einen Schlüssel, Verheißung genannt (1.Kön. 8:56) von dem Bunyan’s Pilger schon vor langer Zeit wusste. Und zu meinem Erstaunen passte er in jedes Schloss, das ich zu öffnen hatte. Der alte Riese lief hinter mir her. Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist; ich habe mich nicht umgeschaut. Die Hauptsache ist, dass ich jetzt frei bin.

– Komm mit uns, wir wollen Pilger Sieger besuchen! Wie heißt du?

– Mein Name ist Ehrlich.

– So, nun sind wir auf Morija. Und dort drüben ist Pilger Sieger. Er scheint sein Schwert zu polieren oder zu schärfen. Oh, wie Silber blinkt es jetzt!

– Friede sei mit euch, Pilger. Womit kann ich euch dienen?

– O Pilger Sieger, erzähle uns bitte von deinem Kampf mit den Riesen Entmutiger und Verzweiflung!

– Zur Verherrlichung Immanuels, ja. Und ich werde mit einer früheren Erfahrung beginnen; denn dadurch war es dazu gekommen. Gleich nachdem ich über den Jordan ging, gesellte sich der Riese Fehler zu mir. Nicht lange danach gesellte sich der Riese Entmutiger zu uns – zu meinem großen Schaden. Ich hätte ihn dort bekämpfen sollen. Aber er sagte, er habe ein Recht, mit den Pilgern zu reisen, und ich wusste nichts zu erwidern. So gestattete ich ihm, mich zu begleiten. Als wir weiter in die Wüste Kanaans kamen, fing der Riese Entmutiger an, mich schrecklich zu plagen. Jeden Tag schlug er mich, bis ich keine Kraft mehr hatte. Ich tat nichts, sondern saß und verband nur jeden Tag meine Wunden. Den Aussagen des Riesen Entmutiger nach war ich ein Fehlschlag; und so schien es auch. Ich tauge zu nichts, sagte er, und in dieser Aussage lag auch scheinbar viel Wahrheit. Er meinte, Immanuel kümmere sich nicht ein bisschen um mich; und den Anschein hatte es auch. „Du wirst nie aus dieser Wüste herauskommen; du wirst nie imstande sein, etwas Gutes zu tun. Du wirst dich immer elend und erbärmlich fühlen!“ – sagte der Riese Entmutiger zu mir. In der Tat, er sah nichts für mich voraus als Fehlschläge, Unheil, Weh und Verzweiflung. Und es schien, als habe er darin recht.

Gerade an jenem Platz, wo ihr das Denkmal gesehen habt, führte ich den Kampf zu Ende und gewann. Aber vorher war ich zwei Wochen im Kerker des Riesen Verzweiflung gewesen. Dieser Kampf, den ich gewann, fand statt, nachdem ich entronnen war. Aus dem Kerker bin ich mit Hilfe des Schlüssels Verheißung herausgekommen. Aber das Wetter war trübe, und die Riesen erhaschten mich auf jenem Platz.

Der Kampf dauerte lang. Mit aller Gerissenheit seiner langjährigen Erfahrung brachte der Riese Entmutiger allerlei Gedanken vor, um mich zu bewegen, den Kampf aufzugeben. Aber als diese hinterlistige Angriffe sehr schwer zurückzuschlagen waren, erinnerte ich mich, drunten im Kerker Immanuel versprochen zu haben, dass Er mich nie mehr in Begleitung mit dem Riesen Entmutiger antreffen werde, wenn Er mich herausbringe. Ich sah, dass meine Freundschaft mit dem Riesen Entmutiger mich in die Hände des Riesen Verzweiflung gebracht hatte. So musste ich mein Versprechen halten.

Aber Entmutiger wollte mich nicht gehen lassen. So schlug ich mit meinem Schwert nach ihm und sagte: Weg mit dir, Entmutiger, ich gehöre Immanuel! Ich bin ein Bürger Kanaans; ich bin diesseits des Jordans. Das ist meine Heimat. Hier ist meine Ruhe. Weg mit dir!“ (Lk. 4:1-13). Sein verpesteter Hauch, mit dem er mich anblies, und seine schreckliche Mischung des Unglaubens und der Verzweiflung brachten mich fast um. In diesem Augenblick erfasste mich der Riese Verzweiflung und wollte mich gerade aufheben und forttragen, als in meiner Seele plötzlich ein äußerst entschiedenes Begehren entflammte, den Sieg zu erringen. Nun führte ich nochmals einen Schlag gegen den Riesen Entmutiger aus, und dann versetzte ich dem Riesen Verzweiflung auch einen. Das befreite mich. Jetzt raffte ich mich auf, stürzte mich zuerst auf den einen, dann auf den anderen, bis ich sie in ihre Schlupfwinkel zurückgetrieben hatte. O der Sieg, wie lieblich ist er! Und wie herrlich es danach war, dass dieses herzlose, verzweifelte Gerede des alten Riesen Entmutiger meine Gedanken nicht mehr vergiftete! O welch eine Befreiung!

Nachdem ich hier mein Heim bezogen hatte und gelegentlich alles an meinem Geistesauge vorüberziehen ließ, kam es mir in den Sinn, das Denkmal zu errichten, das ihr am Weg gesehen habt. Mancher Pilger hat sich warnen lassen und ist einem schrecklichen Tod entronnen.

Pilger Ehrlich, ich weiß, es sind Tränen der Dankbarkeit, die über dein Gesicht herabfließen; aber trockne sie und komme mit mir. Ich will diese deine Wunden waschen und dir zu essen geben, das all dein Unglück wieder gut machen wird (Jes. 66:10-13; Mt. 12:17-21). Und euch, ihr lieben Pilger, sagen wir ein Lebewohl.

– Lebe wohl, Pilger Sieger, und lebe wohl, Pilger Ehrlich! Möge es euch gut gehen!

 

Nun lasst uns miteinander reden.

Es ist keine Sünde, sich entmutigt zu fühlen. Sünde kann in Verbindung mit Entmutigung nur dann entstehen, wenn wir unsern Glauben gänzlich aufgeben und tatsächliche Übertretungen folgen lassen. Wenn die Seele so sehr geplagt und belästigt wird, dass es ihr unmöglich scheint, weiterhin den Sieg zu behalten, so ist das noch kein Beweis, dass sie gesündigt hat und verloren ist. In diesem Fall sieht Gott die Seele, wie sie wirklich ist. Er beurteilt sie nicht nach ihrer eigenen Einschätzung. Manche geheiligte Seele hat den Glauben an ihre Heiligung aufgegeben, ja sogar den Glauben an ihre Rechtfertigung, und zwar nur aufgrund irgendwelcher Einflüsterungen des Teufels. Zum Beispiel: Jemand mag Gott alles weihen, vollkommenen Glauben haben und das Werk der völligen Heiligung erfahren. Nach ein oder zwei Wochen begeht der Betreffende vielleicht einen Fehler oder hat aus diesen oder jenen Gründen schlechte Gefühle. Satan sendet nun seinen Helfer, die Seele anzuklagen und zu veranlassen, die Erfahrung der völligen Heiligung anzuzweifeln. Nach einem schmerzvollen Kampf fühlt die Seele, dass sie aufgrund der gegenwärtigen Vorfälle das Bekenntnis, völlig geheiligt zu sein, aufgeben muss, und tut es. Aber Gott, der auf sie herabschaut, sieht, dass die Seele genau so geweiht ist wie zuvor und Ihn genau so liebt wie vorher. Er kann die Seele nicht so betrachten, wie sie sich selbst betrachtet. So mag es der Fall sein, dass die Seele verzweifelt, während Gott alles als im Rechten ansieht. Der einzige Grund, dass die Seele sich anders sieht als Gott, ist, dass diese Zweifel und Anklagen ihr Gottes Willen und Verheißungen verdunkeln, und dass sie anstatt dem Worte Gottes des Teufels Zweifeln recht gibt.

Dass durch Entmutigung mehr Seelen umgebracht werden als durch irgendetwas anderes, ist sicherlich eine wahrheitsgemäße Behauptung.

Du sagst, du bist entmutigt. Worüber? Darüber, dass du nicht so angenehme Gefühle hast, wie du sie gern hättest? Das ist kein Grund zur Entmutigung. Du kannst besser sein, als du fühlst – genau so, wie auch viele nicht so gut sind, wie sie fühlen, dass sie es seien. Die Gefühle sind kein zuverlässiger Maßstab. Oder bist du darüber entmutigt, dass du nicht mehr tun kannst? Tue das Beste, was du kannst, und sei damit zufrieden. – Oder darüber, dass du viele Fehler und Missgriffe machst? Sorge dich darüber nicht; denn alle machen sie. Lerne daraus und gehe voran.

Entmutigung ist für die Seele tödlich. Sie ist ein Zerstörer der Hoffnung, des Glaubens, des Vertrauens, der Freude, des Dienstes und des Sieges. Sieh dir den Entmutigten an! Dort sitzt er. Nichts scheint ihm gut und er zögert, irgendetwas zu tun. Welche Armee gewann je einen Sieg, wenn sie entmutigt war? Welcher Kaufmann hat je in der Entmutigung Erfolg im Geschäft? Wer hat je etwas vollbracht, wenn er entmutigt war?

Gelobe, nie mehr der Entmutigung Raum zu gewähren. Unterzeichne eine Bürgschaft gegen ihre Duldung. Warum nicht? Entmutigung ist die Wirkung von Teufels Werk. Willst du dich gebrauchen lassen, dem Teufel bei seinem Werk zu helfen?

Es gibt keinen gesunden Beweis zugunsten der Entmutigung; auf ihrer Seite liegen keinerlei Vernunftgründe. Wenn du Hindernisse zu überwinden hast, so wird die Entmutigung es dir nur um so schwerer machen. Begehst du Fehler? Entmutigung wird dich nur behindern, sie zu beseitigen. Worin auch deine Schwierigkeit, dein Fehlschlag oder deine sonstigen Probleme bestehen mögen – Entmutigung ist ein absolutes Hindernis. Und wenn ihr Raum gewährt wird, so fügt sie uns zu dem schon bestehenden Schaden, der die Entmutigung verursacht hat, noch einen zweiten hinzu; und wir haben demzufolge doppelte Arbeit, wenn wir zum Sieg voranschreiten wollen.

An einer Tatsache solltest du immer denken, und das ist Gottes Verheißung in Joh. 3:16. Ungeachtet, wo du dich befinden magst, wie hoffnungslos dir alles erscheint, wie weit du auch heruntergekommen bist – sogar wenn es die Sünde ist – bedenke, dass Gott dich liebt und dir diese Verheißung gegeben hat, die deinem Bedürfnis genau angemessen ist. Alles, was du zu tun hast, um herauszukommen, ist das „Sich auf die Verheißung stellen“.

Ja, geheiligte Leute fühlen sich manchmal entmutigt. Aber weil sie ganz dem Herrn gehören, brauchen der Entmutigung keinen Raum zu gewähren, sondern müssen beten und Ihm vertrauen, dass Er sie hindurchführt. Das bringt sie früher oder später durch die Prüfung hindurch (1.Petr. 5:10). Jesus Christus wird nie entmutigt. Lasst uns Ihm gleich sein in der ewigen Hoffnung auf den Sieg der Gnade Gottes (Röm. 8:37-39). An dieser Siegesfreude können wir schon hier, während wir auf der Erde leben, und noch mehr im Himmel Anteil haben