Deuten von Zeichen

Man veranlaßte oder man forderte Zeichen, um daraus den Willen der Götter zu erkennen. Hierher gehört das Fragen des Holzes, das wir Hosea 12 finden: »Mein Volk fragt sein Holz und sein Stab soll ihm predigen.« Das geschah so, daß man Holzstäbe hinwarf, aus deren Lage beim Fallen man dann einen Schluß zog. So hat dieses Holzfragen Ähnlichkeit mit dem heutigen Kartenlegen. Man kann es auch in Vergleich bringen mit dem Hinwerfen einer Münze. Je nachdem, ob die Schrift oben liegt oder der Adler, richte man sein Verhalten ein.
Ähnlich war das Wahrsagen aus einem Becher. Das finden wir nicht nur in Ägypten in den Tagen Josephs (1. Mose 44, 5): »Ist's nicht das, daraus mein Herr trinkt und damit er weissagt?«, sondern das kommt auch jetzt noch vor. Wer denkt dabei nicht auch an das Deuten der Zeichen im Kaffeesatz und beim Bleigießen in der Silvesternacht?
Auch verstand man sich darauf, die Hausgötter, die Theraphim, zu befragen. Wir wissen freilich nicht mehr, wie man das machte. Es wird dabei gewiß ähnlich zugegangen sein wie beim Befragen der Lose Urim und Thummim. Wenn heute manche Gläubige die Bibel in der Weise der alten Theraphim fragen, um ein Zeichen zu erhalten, so machen sie eigentlich auch die Bibel zu einem Wahrsagemittel.
Weiter wurde die Wahrsagerei dadurch geübt, daß man auf Vorzeichen achtete, die man nach Regeln deutete, die in der Zunft der Wahrsager als Geheimlehre überliefert wurden.
Hierzu gehört in erster Linie die Sterndeuterei, die Deutung von Sonnen- und Mondfinsternissen, die Beobachtung von Donner und Blitz, besonders bei heiterem Himmel, ebenso wie die Beobachtung der Wolken und der Wolkenbilder.
Die Sterndeuterei ist nicht nur bis auf den heutigen Tag in Gebrauch, sondern spielt heute eine besonders große Rolle. Wie viele, die sich »ein Horoskop stellen« lassen, um aus der Stellung der Gestirne bei ihrer Geburt die Zukunft zu erfahren! Man bekommt dann auch genaue Anweisung, welche Tage glücklich sind und vor welchen man sich hüten muß; ja, man kann sogar sein Horoskop für jeden Tag in der Illustrierten oder Wochenzeitung lesen.
Auch den Flug und das Geschrei der Vögel beachtete man. Die Vögel galten ganz besonders als Boten der Götter, da sie zwischen Himmel und Erde fliegen. - So untersuchte man auch die Eingeweide der Opfertiere, namentlich Form und Farbe der Leber, man achtete auf die Flamme beim Opferfeuer, auf das Aussehen der Asche, des Blutes usw. - Auch allerlei zufällige Begegnungen mit Menschen, plötzliches Niesen - alles, was sich anbot, wurde als Zeichen genommen.
Ist das nicht alles auch bei uns noch im Gebrauch? Von Napoleon und Voltaire, diesen aufgeklärten Geistern, wissen wir, daß sie auf das Geschrei der Vögel achteten. Und erschrecken nicht viele, wenn sie ein Käuzchen schreien hören, weil sie meinen, sein Ruf laute: »Komm mit!« und bedeute, daß jetzt jemand sterben müsse? Fürchten sich nicht manche Jäger, wenn beim Aufbruch zur Jagd eine alte Frau ihren Weg kreuzt? Wird es nicht auch als ein Zeichen gedeutet, wenn eine Katze über den Weg läuft, wenn man eine Schafherde zur Rechten hat, wenn Stroh auf der Schwelle liegt - und was es für Vorzeichen geben mag, bei denen die Leute sagen: Das bedeutet etwas! Wir leben noch mitten im Heidentum, und der Teufel hat heute noch mit Aberglaube und Zeichendeuterei seinen Thron unter uns.
Eine sehr wichtige Sache war auch immer die Traumdeuterei. Gewiß gibt es Offenbarungsträume, durch die Gott mit den Menschen redet. In der Bibel haben wir ja eine ganze Reihe von Geschichten dieser Art. Joseph legt dem Bäcker und dem Mundschenken im Gefängnis ihre Träume aus. Er deutet die Träume Pharaos von den Ähren und von den Kühen. Daniel deutet dem König Nebukadnezar den Traum von dem großen Bild, das er gesehen. So gibt es Träume, durch die Gott den Menschen etwas mitteilen und offenbaren will. Aber bei den meisten Träumen verstehen wir nicht den Sinn. Da kommt nun die Wahrsagerei, die aus der Deutung der Träume eine ganze Kunst gemacht hat. Bis auf den heutigen Tag gehören die Traumbücher zu dem eisernen Bestand der Wahrsagerei. Da kann man ganz genau sehen, was dies oder jenes zu bedeuten hat, was man im Traum gesehen oder gehört.
Weil die Träume für ein so wichtiges Mittel gehalten wurden, den Willen der Götter zu erkennen, darum suchte man auf allerlei Weise Träume zu bekommen. Man schlief auf den Gräbern der Vorfahren und hielt die Träume der Nacht dann für Mitteilungen der Verstorbenen. Gewisse Genüsse, betäubende Dämpfe, verschiedene Mittel-dazu gehören auch die Kissen, von denen Hes. 13,18 die Rede ist - wurden angewendet, um Traumbilder zu erzeugen, die man dann deuten ließ.
Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, so verbreitet war die Wahrsagerei, so verschieden die Mittel, deren man sich bediente.
In der Liste von 5. Mose 18 werden auch die Tagewähler genannt. Durch die Stellung der Gestirne zueinander wußte man etliche Tage als Unglückstage festzustellen, andere wieder wurden als Glückstage bezeichnet. Die Römer unterschieden schwarze Tage oder Unglückstage, weiße oder Glückstage und außerdem noch gleichgültige Tage. Auch die Juden hatten ihre guten und bösen Tage.
Spielt die Tagewählerei nicht auch noch eine Rolle in der Gegenwart? Der Freitag gilt vielen als ein Unglückstag, vielleicht in Erinnerung an den Karfreitag, an dem Jesus gekreuzigt wurde. Aber sollte der Freitag deshalb nicht viel eher für einen Glückstag gehalten werden, weil an diesem Tag das Heil der Welt und die Vergebung unserer Sünden vollbracht wurde?
Manche halten den Montag für einen Unglückstag. In gewissen Gegenden würde keine Hausangestellte an einem Montag einen Dienst antreten. Dann hätte sie kein Glück in der Stelle. Fragt man nach dem Grund, dann bekommt man zur Antwort: »Montag wird nicht wochenalt.«
Gehört nicht in die Reihe der Unglückstage auch die Unglückszahl 13? Was für eine Angst haben viele Menschen vor der Zahl 13! In vielen Gasthäusern wird man sie vergebens suchen. Da würde ja kein Mensch wohnen und schlafen wollen. In Badeanstalten fehlt die Zelle Nr. 13. Auf den Straßen sucht man Hausnummer 13 durch 12a zu ersetzen.
Kommt diese abergläubische Angst vielleicht daher, daß Jesus mit zwölf Jüngern am Tisch saß und daß dann Jesus ans Kreuz geschlagen wurde und Judas sich erhängte? Aber ist nicht, ich sage es noch einmal, das Kreuz Jesu Christi das Heil der Welt? Jesus hat sich jedenfalls vor der Zahl 13 nicht gefürchtet. Drei Jahre lang ist er mit zwölf Jüngern durchs Land gezogen, hat er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt. Immer und überall waren es 13. Sollten wir uns da in heidnischem Aberglauben vor der Zahl 13 fürchten als vor einer Unglückszahl?