Der Gurt der Wahrheit

Wenn der Apostel sagt: „So steht nun fest, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit“, so bezeichnet er mit den Worten „so steht nun fest“ die Stellung eines Streiters, der auf seinem Posten steht, der wacht, den der Feind nicht überraschen kann und der schlagfertig ist. Die meisten Niederlagen erleiden wir, wenn wir nicht wachen, wenn wir uns gehen lassen, gleichgültig und sicher sind. Der Feind ist immer in Tätigkeit, er schläft nie und benützt alle unsere Fehler. Kinder Gottes sollen nie sicher sein; solange sie hienieden wallen, gehören sie zur streitenden Gemeinde und bleiben aktive Kriegsleute.

Solchen sagt der Apostel: „… eure Lenden umgürtet mit Wahrheit“. Um diese Ermahnung klar zu verstehen, müssen wir festhalten, dass die ganze Waffenrüstung „Waffenrüstung Gottes“ genannt ist. Die Waffen stammen also aus keinem menschlichen Waffenlager, sie kommen aus der Rüstkammer Gottes. Folglich haben wir unter der Wahrheit, mit der wir umgürtet sein sollen, zunächst nicht menschliche Wahrhaftigkeit zu verstehen, sondern göttliche Wahrheit. Was diese Wahrheit ist, sagt uns der Heiland in Joh 17,17, als er zum Vater spricht: „Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit“. Die Streiter Jesu Christi sollen also umgürtet sein mit dem Wort der Wahrheit oder mit dem Wort Gottes.

Der Ausdruck „umgürten“ weist auf den Wandel hin. Das Kleid im Osten besteht aus einem weiten Gewand, das man zu Hause der Bequemlichkeit halber ohne Gurt trägt. Will man aber ausgehen oder reisen, so umgürtet man sich, damit man durch das flatternde Gewand im Vorwärtsschreiten nicht gehindert wird. Der Gurt fasst das Kleid zusammen. Dieses Bild hat eine tiefe Bedeutung für unseren inneren Menschen und unser Berufsleben.

Christen sollen innerlich gesammelte Leute sein. Ihre Gedanken und ihre Phantasien sollen nicht umherflattern. Der Blick soll geschärft und klar sein, damit sie nicht nur den Weg sehen, auf dem sie wandeln sollen, sondern auch die Hindernisse und Feinde wahrnehmen, die ihnen auf ihrem Weg begegnen. Wir wissen ja wohl oder sollten es wissen, dass wir in allen Versuchungen und Kämpfen ganz anders dastehen, wenn wir innerlich gesammelt sind. Sind wir es nicht, sondern zerstreut und zerfahren, so haben wir keine Widerstandskraft und werden vom Feind verwundet und geschlagen.

Der Heiland sagt uns nicht nur, dass das Wort Gottes die Wahrheit ist, sondern er fügt in Joh 14,6 hinzu: „Ich bin die Wahrheit“. Wenn er uns nun ermahnt, unsere Lenden mit Wahrheit zu umgürten, so ist die tiefste Bedeutung dieser Ermahnung: „Seid innerlich zusammengefasst und gesammelt in mir“. Das ist die tiefste Sammlung, wenn Herz und Sinn in Christus Jesus sind (Phlp 4,7). Dieses in Christus Jesus Sein zieht sich durch das ganze Neue Testament hindurch und tritt am tiefsten im Gleichnis vom Weinstock und den Reben und im hohepriesterlichen Gebet hervor. Und auch besonders in den Schriften des Apostels Johannes und in den Briefen des Apostels Paulus. Der Apostel hat schon in Eph 6,10 gesagt: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke“. Und nun sehen wir, dass der Gurt der Wahrheit unsere Stellung in Christus wesentlich stärkt.

Dieses Umgürten mit Wahrheit ist ohne das Wort Gottes einfach unmöglich. Der stille Umgang mit dem Wort Gottes bei Tag und Nacht richtet Herz und Sinn auf Gott hin. Gottes Wort hebt unser Denken, Sinnen und Wollen aus der sichtbaren Welt und ihrem Schein, ihrer Lüge und ihrem Trug heraus zu Christus empor, durch den und für den wir geschaffen sind. Und nur so kommen wir aus dem elenden Scheinleben der Welt heraus und werden hineinversetzt in die Wahrheit Gottes, in die Gedanken Gottes, in unseren Ursprung.

Umgürtet sein mit Wahrheit heißt, wieder biblisch denken, urteilen und leben lernen, sich wieder bewegen lernen in den Heilsschranken des ewigen Gotteswortes. Darum muss es einem Liebhaber der Wahrheit klar werden, wie außerordentlich wichtig unsere richtige Stellung zu Gottes Wort ist. Ohne festes, unbewegliches, mannhaftes Stehen im ganzen Wort Gottes ist das Umgürtetsein mit Wahrheit unmöglich. Es ist zum Weinen, wenn man sehen muss, dass Tausende unserer Zeitgenossen, statt den Gurt der Wahrheit umzulegen, denselben mit ihren Brillen untersuchen und kritisieren, bis er ihnen verächtlich wird. Wie werden diese Menschen einst heulen, wenn sie die mit der Wahrheit umgürteten Streiter Jesu Christi in ihrer Herrlichkeit schauen werden als Überwinder durch des Lammes Blut!

Ich möchte alle Leser dieser Zeilen in herzlicher Liebe und heiligem Ernst an die Worte des Herrn erinnern, die er zu seinem treuen Knecht Josua sprach: „Lass dieses Buch des Gesetzes nicht von deinem Mund weichen, sondern forsche darin Tag und Nacht, damit du darauf achtest, alles zu befolgen, was darin geschrieben steht; denn dann wirst du Gelingen haben auf deinen Wegen, und dann wirst du weise handeln!“ (Jos 1,8). Dieses Wort des Herrn war nichts anderes als eine Ermahnung, die Lenden mit Wahrheit zu umgürten.

Und wenn der Apostel die Kolosser in Kol 3,16 ermahnt: „Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen in aller Weisheit; lehrt und ermahnt einander und singt mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern dem Herrn lieblich in eurem Herzen“, so ruft er ihnen damit zu: „Umgürtet eure Lenden täglich mit Wahrheit!“ Dieses Umgürten geschieht immer mit Gebet; ohne Gebet hat der Gurt der Wahrheit keinen Halt. Möchten wir doch keinen Tag und keine Stunde vergessen, dass die Nachfolge Jesu und sieghafter Glaubenskampf unmöglich sind ohne tägliches Umgürten mit Wahrheit, ohne ein Leben in Gottes Wort und nach Gottes Wort.

Das tägliche Umgürten mit Wahrheit, die tägliche innere Sammlung, Stärkung und Erleuchtung durch Gottes Wort schließt auch in sich die nötige Selbstbeschränkung und Konzentration in der Arbeit. Es gehört zu der List Satans, gerade die begabtesten Streiter Jesu Christi zu Tausendkünstlern zu machen. Und es gelingt ihm sehr oft. Diese Tausendkünstlerei nennt man dann Leistungsfähigkeit. Es ist aber eine ungeheure Täuschung, wenn man Vieltuerei für Leistung hält. Wir leisten weitaus am meisten, wenn wir innerlich in der rechten Verfassung bleiben, wenn wir uns Zeit nehmen für das tägliche Umgürten. Alle Vieltuerei schließt immer ein Stück Selbstbetrug in sich, weil man die Quantität an die Stelle der Qualität setzt.

Bleibende Geisteseindrücke, die ein mit Wahrheit umgürteter Mensch macht, haben mehr Wert als das Wirken eines Menschen, der vor lauter Tätigkeit keine Zeit mehr hat, um sich täglich mit Gottes Wort und Gebet zu umgürten. Die Versäumnisse in Bezug auf das erste Stück der Waffenrüstung Gottes führen immer zu Oberflächlichkeit, Schwachheit, Geistlosigkeit und machen uns unfähig gegenüber dem Feind. Ich hörte unlängst über einen Herrn, der seit Jahren viel und vielerlei in der Innern Mission getan hat, urteilen, er sei „charakterlos“. Wer sich Zeit nimmt zum täglichen Umgürten mit Wahrheit, wird nie charakterlos. Herr, bewahre uns!

Je treuer wir im täglichen Umgürten mit Wahrheit sind, desto mehr werden wir selbst wieder wahrhaftig, aufrichtig und gerade. Das ist eine Grundbedingung für sieghaften Kampf gegen Sünde und Teufel, denn wir haben es dabei Schritt für Schritt mit der Lüge zu tun. Die Sünde selber ist eine große Lüge, denn sie scheidet den Menschen von Gott. Sie verspricht ihm Genuss und macht ihn doch unglücklich. Vom Teufel selber sagt der Heiland in Joh 8,44, dass er „steht nicht in der Wahrheit, denn Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben“. Es ist deshalb sonnenklar, dass wir gegen Sünde und Teufel nur kämpfen können, wenn wir wieder völlig in der Wahrheit stehen.

Noch mehr: Jedes Kind Gottes weiß, dass wir ohne die Kraft des Heiligen Geistes erfolglos kämpfen. Derselbe ist aber seinem Wesen nach der Geist der Wahrheit. Wie könnte er uns ausrüsten und zum Kampf stärken, wenn wir selbst mit unserer ganzen Gesinnung und mit unserem Willen nicht in der Wahrheit ständen? So sehen wir, welch außerordentliche Bedeutung das Umgürtetsein mit Wahrheit für die ganze Waffenrüstung Gottes hat.