Das Fliegen im Glaubensleben lernen

«… Denn der Anteil des Herrn ist sein Volk, Jakob das Maß seines Erbteils. Er fand ihn im Land der Wüste und in der Öde, im Geheul der Wildnis. Er umgab ihn, gab acht auf ihn, er behütete ihn wie seinen Augapfel. Wie der Adler sein Nest aufstört, über seinen Jungen schwebt, seine Flügel ausbreitet, sie aufnimmt, sie trägt auf seinen Schwingen, so leitete ihn der Herr allein» (5.Mo. 32,9-12; Elberf. Ü.)
Mose nimmt in diesem Abschnitt Bezug auf das Verhalten der Adler, wenn sie ihren Jungen das Fliegen beibringen wollen. Die Steinadler beispielsweise ziehen ihre Jungen gemeinsam auf. Das Adlerweibchen bleibt meist bei den Jungen und das Männchen besorgt die Nahrung. So füttern und schützen sie ihre Jungen, die dabei immer größer und kräftiger werden. Das geht eine ganze Weile so weiter, bis die Jungadler das Alter erreicht haben, ihre Flügel zu üben. Ab da ändert sich das Verhalten der Eltern. So schön die Entwicklung der Jungadler bis jetzt auch gewesen war, die Eltern sind damit nicht zufrieden. Das Ziel, das sie im Auge haben, sind nicht kräftige und gesunde Jungvögel, die auf einem Felsvorsprung schön in einem Nest sitzen. Sondern ihr Ziel sind Jungadler, die Fliegen können. 
Darum fangen die Eltern an, das Nest zu verändern. Erst nehmen sie die feinen Daunen aus dem weichen Nest. Danach das Moos, das Gras und die kleineren Zweige, bis die Jungen nur noch auf ein paar harten Stöcken sitzen. Das ist natürlich ziemlich unangenehm und kein Vergleich mehr zu früher. Die Botschaft der Eltern, die dahinter steckt, ist klar und unmissverständlich: Lerne fliegen!
Wenn die Jungen nicht von selbst ihre ersten Flugversuche beginnen, dann helfen die Eltern nach und davon redet auch Mose in V. 11: «Der Adler stört sein Nest auf».
Der Adler überlässt seine Jungen eben nicht der Ruhe und Sicherheit ihres Nestes, sondern er will, dass sie das Fliegen lernen. Das können sie aber nicht unbedingt von Anfang an, sondern sie müssen es lernen. Dazu brauchen sie Training und darum fängt der Adler jetzt an, sein Nest aufzustören. Das macht er so lange, bis ein Jungadler aus dem Nest herausfällt und kopfüber in die große Tiefe stürzt. Der ist darüber ganz entsetzt und flattert hilflos herum. Das ist noch lange kein Fliegen, sondern nur ein armseliges Flattern und so stürzt er immer weiter in die Tiefe. Dabei fällt der Unterschied zwischen der großen Verzweiflung des Jungvogels und der großen Ruhe des alten Adlers sehr auf. Er sieht, wie sein Junges abstürzt und verzweifelt versucht zu fliegen, ohne es wirklich zu schaffen. Der junge Adler sieht die Felsen immer näherkommen, auf denen er bald zerschmettern könnte. Etwas anderes aber bemerkt er zunächst nicht. Nämlich, dass der alte Adler über ihm schwebt und ihn die ganze Zeit über gut im Auge hat. Dann fliegt der Adler unter sein Junges und fängt es mit seinen Flügeln auf. Er trägt den Jungvogel auf seinen Schwingen. Der junge Adler ist nicht abgestürzt und wurde auch nicht auf den Felsen zerschmettert. So bedrohlich und hoffnungslos die Lage für ihn auch aussah, es bestand zu keiner Zeit eine wirkliche Gefahr. Und jetzt schwebt er sicher auf den Schwingen des alten Adlers. Aber der alte Adler trägt sein Junges nicht zurück ins Nest, sondern er zieht wieder in große Höhe mit dem Jungadler auf den Schwingen. Dann wendet der alte Adler sich plötzlich um und wirft den jungen Adler wieder herunter. Der alte Adler wiederholt diese Übung so lange, bis der Jungadler allein fliegen kann und bis er es gelernt hat, mit seinen eigenen Flügeln zu fliegen. 
Manche junge Adler können schon einigermaßen fliegen, aber sie werden müde dabei. Auch dann nimmt der alte Adler sie auf seine Schwingen, dass sie wieder Kraft schöpfen können. 
Die Adlereltern wollen, dass die Jungen fliegen lernen. Das Fliegen ist die Bestimmung des Adlers. Er ist zum König der Lüfte berufen, zum majestätischen Flug in großer Höhe und nicht zum Sitzen im Nest auf einem Felsvorsprung.
Es wird berichtet, dass man einen Sperbergeier sogar in einer Höhe von 11 270 m angetroffen hat. Und genau das ist das Leben, zu dem ein Adler bestimmt ist: das wunderbare Fliegen in großer Höhe.
Aber Fliegen muss man lernen, das kann auch ein Adler nicht unbedingt auf Anhieb, er muss anfangen es zu versuchen, um dann durch Übung immer besser zu werden. Es erfordert Mut und Vertrauen um zu fliegen. Dieses Vertrauen bekommt der Jungadler dadurch, dass der alte Adler sein Nest aufstört, den Jungadler in die Tiefe fallen lässt und ihn wieder auf seinen Schwingen trägt. Solange, bis er fliegen kann.
Die Verse 11 und 12 in 5.Mose 32 gehören zum Lied Moses. Dieses Lied war ein Zeugnis für den Herrn an die späteren Generationen Israels. Es gehörte zu den letzten Worten Moses und hat damit ein besonderes Gewicht. Denn Mose beschreibt mit den Adlern nicht nur eine interessante Erscheinung in der Natur, sondern er schildert aus seinen eigenen Erfahrungen, wie Gott an uns handelt und uns leitet. Mose kannte den Adler, der sein Nest aufstörte, sehr gut: Es war der lebendige Gott selbst, der Gott Israels. Mose kannte auch einen Jungadler, den der Herr aus dem Nest warf, um ihm das Fliegen beizubringen. Das war er nämlich selbst und auch das Volk Israel. 
Das Aufstören des Nestes erschien Mose oft sehr hart, aber er lernte dabei das Fliegen im Glaubensleben. Unter Gottes Führung und durch Gottes Erziehung entwickelte sich Mose von einem hilflos flatternden Jungvogel zu einem Adler, der in großer Höhe seine majestätischen Kreise ziehen konnte. Gott nahm ihm die behagliche Sicherheit und die schöne Ruhe, bis er das Fliegen im Glaubensleben gelernt hatte. Bis er zu dem wurde, von dem es heißt:
«Durch Glauben verließ er Ägypten, ohne die Wut des Königs zu fürchten; denn er hielt sich an den Unsichtbaren, als sähe er ihn. Durch Glauben hat er das Passah durchgeführt und das Besprengen mit Blut, damit der Verderber ihre Erstgeborenen nicht antaste.  Durch Glauben gingen sie durch das Rote Meer wie durch das Trockene, während die Ägypter ertranken, als sie das versuchten» (Hebr. 11,27-29).
Genauso möchte Gott auch uns erziehen, bis wir das Fliegen im Glaubensleben gelernt haben [4]. Möchtest du jemand werden wie Mose, der sich auch in den unmöglichsten Lagen an den hält, den er nicht sieht, als sähe er ihn? Das ist gut, denn Gott hat dasselbe Ziel auch mit dir! Der Weg dahin ist aber nicht das behagliche Nest. Wir würden so gerne sitzenbleiben im behaglichen Nest der guten Gefühle, wo wir immer spüren, wie Gott uns liebt und uns so nahe ist. Wir würden so gerne das schöne Nest der Sicherheit haben, wo wir unseren Weg klar vor uns sehen, jede Wegbiegung, was dahinter kommt und wie alles gut werden wird. Wir würden so gerne im sicheren Nest bleiben, ohne Anfechtungen und ohne schwere Glaubenskämpfe. Wir schätzen auch die gute Versorgung im Nest, wo wir uns nicht selbst mühen müssen, wo wir nicht schwere Verantwortung übernehmen müssen, weder für uns noch für andere.
Das würden wir wohl gerne alles haben, aber das ist nicht unsere Bestimmung. Wir sind nicht zu dieser Art von Leben berufen, genau wie der Adler nicht zum Leben im Nest berufen ist, sondern zum König der Lüfte. Wir sind dazu berufen, ein Glaubensleben zu führen, das unabhängig von unserem Fühlen und Schauen Gott beim Wort nimmt. Wir sind zu einem Leben berufen, dass die Realitäten Gottes durch den Glauben erfasst und das Gott ehrt durch Glauben und Vertrauen.
Das wird uns aber nicht in den Schoß fallen, sondern wir müssen das Fliegen im Glaubensleben lernen, genau wie ein Adler das Fliegen lernen muss. Und Gott geht dabei ähnlich vor wie der alte Adler, der sein Nest aufstört und sein Junges in die Tiefe stürzen lässt. Dabei geht es uns genauso wie dem Adlerjungen. Das Junge ist völlig verzweifelt und kann seine Eltern nicht mehr verstehen. Er wird irre an ihnen. Die, die bis jetzt alles für ihn getan haben, lassen ihn nun in die Tiefe fallen. So denken auch wir oft in der Schule Gottes. Wir verzweifeln an Gott und verstehen ihn nicht mehr. Und wir sehen erst später, dass wir auf keinem anderen Weg das Fliegen im Glaubensleben richtig gelernt hätten. Dass wir auf keinen anderen Weg ein Mensch geworden wären, der sich an den hält, den er nicht sieht, als sähe er ihn.
Wie weit das gehen kann, können wir sehr gut an Mose sehen. Mose kam vor dem roten Meer in eine Lage, wie sie verzweifelter nicht sein konnte. Er geriet in eine Bedrängnis, wie sie beklemmender kaum noch möglich war:
«… So jagten ihnen die Ägypter nach mit allen Rossen, Streitwagen und Reitern des Pharao und mit seiner Heeresmacht und erreichten sie, als sie sich am Meer gelagert hatten, bei Pi-Hachirot, gegenüber Baal-Zephon. Und als der Pharao nahe zu ihnen kam, erhoben die Kinder Israels ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her! Da fürchteten sich die Kinder Israels sehr, und sie schrien zum HERRN. Und sie sprachen zu Mose: Gibt es etwa keine Gräber in Ägypten, dass du uns weggeführt hast, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten herausgeführt hast? Haben wir dir nicht schon in Ägypten dieses Wort gesagt: »Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen?« Denn es wäre für uns ja besser, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben! Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht! Steht fest und seht die Rettung des HERRN, die er euch heute bereiten wird; denn diese Ägypter, die ihr heute seht, die werdet ihr nicht wiedersehen in Ewigkeit! Der HERR wird für euch kämpfen, und ihr sollt still sein!» (2.Mo. 14,9-14)
Hinter Mose waren die Ägypter, die ihm mit großer militärischer Überlegenheit nachjagten. Er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Vor ihm war das rote Meer, eine natürliche Barriere, durch die er nicht fliehen konnte. Rechts und links von ihm war sein eigenes Volk, das ihn mit bitteren Vorwürfen überhäufte. 
Diese Lage war zum Verzweifeln und absolut hoffnungslos. Welcher Abgrund von Glaubensprüfung tat sich ihm auf! Wehe ihm, wenn er das Fliegen im Glaubensleben nicht gelernt hätte, wie furchtbar wäre er spätestens an dieser Stelle abgestürzt!
Mose schaute aber weder auf Pharao, noch auf den versperrten Fluchtweg, noch auf die Gemeinheit seines eigenen Volkes, sondern über das alles hinweg auf den treuen Gott. 
In dieser verzweifelten Lage schaffte Mose es tatsächlich, sich an den zu halten, den er nicht sah, als sähe er ihn (V. 10-13)!
Beachten wir, dass das Fliegen im Glaubensleben nicht nur Vertrauen bedeutet, sondern auch Glaubensgehorsam. Mose hätte seine bedrängte Lage am roten Meer durchaus umgehen können. Pharao hatte ihm vorher einige faule Kompromisse angeboten (2.Mo. 10,8-10; 24-26). Wäre er darauf eingegangen, dann hätte er es viel einfacher gehabt. Nur wäre er dann seiner Berufung nicht gerecht geworden. 
Es wird manchmal von Adlern berichtet, die hoch über einem Sturm fliegen und über den Blitzen und dem Gewitter majestätisch ihre Kreise ziehen. Es bedeutet sehr viel, so erhaben fliegen zu können. Beim Fliegen im Glaubensleben ist dies genauso. In Mose am Roten Meer begegnet uns ein Mann, der genau das gelernt hatte. Es wurde für ihn sogar lebensentscheidend, dass er dies in dieser katastrophalen Lage so gut beherrschte. Aber nicht nur für ihn selbst, sondern auch für ganz Israel war es äußerst wichtig. Wenn Gott uns Dinge beibringt, denkt er dabei oft nicht nur an uns, sondern auch an andere, denen er durch uns helfen will.
Mose hielt sich an den, den er nicht sah, als sähe er ihn. Das hat sein Glaubensleben authentisch gemacht und ihm einen Tiefgang gegeben, mit dem er einem ganzen Volk zum großen Segen wurde.
Ob ein Adler, der in großer Höhe schwebt, im Rückblick unglücklich ist über seine harte Erziehung, durch die er das Fliegen lernen musste? Ob er, wenn er hoch oben fliegt, mit Sehnsucht zurück denkt an sein Nest und wie es da unten so schön und angenehm war? Ob er mit seinen Eltern hadert, dass sie ihn aus dem Nest geworfen und ihn nicht geschont haben, bis er das Fliegen wirklich beherrschte? Nein, wenn er da oben schwebt, dann weiß er, dass genau dies seine wirkliche Bestimmung ist. Gegen nichts auf der Welt würde er dieses Leben als König der Lüfte eintauschen. Gegen nichts und schon gar nicht gegen ein armseliges Nest zum Hocken. Alles, was nötig war, um fliegen zu lernen, war gut und recht. Jeder Sturz, jede Angst, jeder hilflose Flügelschlag war richtig und wichtig. Und seine eigenen Kinder lehrt er genau auf dieselbe Weise, denn auch sie sind zum Fliegen in großer Höhe berufen. Allein dies ist ihre Bestimmung.
Wir sind dazu berufen, das Fliegen im Glaubensleben zu lernen. Dazu stört Gott unser Nest immer wieder auf. Aber er nimmt uns auch wieder auf seine Schwingen. So lange, bis wir das Fliegen im Glaubensleben richtig gelernt haben. Bevor das nicht der Fall ist, werden wir nicht richtig froh, denn wir leben entgegen unserer Bestimmung, die Gott uns gegeben hat:
«Jesus spricht zu ihm: Thomas, du glaubst, weil du mich gesehen hast; glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben!» (Joh. 20,29)
«… wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben» (Röm. 1,17).
«… darum umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade» (1.Petr. 1,13).
«Durch Glauben verließ er Ägypten, ohne die Wut des Königs zu fürchten; denn er hielt sich an den Unsichtbaren, als sähe er ihn» (Hebr. 11,27).

Der Kleinglaube ist so schädlich für uns, weil er uns daran hindert, ein Leben gemäß unserer Bestimmung zu führen. Er macht uns, bildlich gesprochen, zu einem Adler, der sein angenehmes Nest nicht aufgeben will und nicht wagt, das Fliegen zu lernen. Darum brauchen wir den Mut, zu dem Menschen zu werden, zu dem Gott uns bestimmt und berufen hat. Und wen Gott einen köstlichen Weg führt, dem gibt er weder Schauen noch Fühlen, sondern allein großen Glauben.
Wir sind dazu berufen, ein Glaubensleben zu führen, das unabhängig von Fühlen und Schauen Gott beim Wort nimmt [5]. Ein Glaubensleben, dass Gott ehrt durch Glaubensgehorsam und kindliches Vertrauen. Wir sind berufen zu einem Glauben, der unbeirrt von äußeren Umständen und Menschen auf Jesus allein aufsehen kann [6], [7]. Zu einem Glauben, der unabhängig von allem anderen sich allein auf Gottes Wort gründet, weil Gott es wert ist, dass wir ihn durch diese Art von Glauben ehren.
Gott will uns das Fliegen im Glaubensleben beibringen, so dass wir über tiefste Abgründe von Anfechtungen und über Berge von Glaubenskämpfen fliegen können, so wie ein Adler über Schluchten und Berge fliegen kann. 
Er will uns das Fliegen im Glaubensleben lehren, wenn es gilt, schwere Aufgaben zu tragen. Er will uns lehren, über Bergen von Verantwortung und Lasten zu stehen, durch unser Glaubensleben. Er will uns einen Glauben geben, der uns fähig macht, auch in schwersten Stürmen noch das Lob Gottes zu singen. 
Diese Bestimmung ist zu wertvoll und zu erhaben, als dass der Kleinglaube sie in Frage stellen dürfte.