Palast und Hütte

Auf viel hundert Bergen und Hügeln des deutschen Landes stehen mächtige Ruinen ehemaliger Schlösser, in welchen vor Zeiten die Fürsten, Grafen und Herren wohnten, welche in großer Zahl über die deutschen Lande geboten. Auf einem dieser Schlösser, das nun auch eine verlassene Ruine ist, hauste ein gewaltiger Markgraf mit zahlreicher Dienerschaft. Im ganzen Lande galt er als ein strenger Herr und war weithin bekannt als ein wilder Jäger, der kein größeres Vergnügen kannte, als tagelang mit seinen Freunden und Dienern im Walde umherzustreifen und das Wild zu jagen. Er war finster von Gemütsart, rau und barsch in seinen Reden, und man erzählt von ihm nicht wenige Handlungen der Grausamkeit. In seinem Herzen war keine Liebe zu Gott, darum auch keine zu den Menschen. Seine Untertanen betrachtete er als ein Eigentum, mit dem er nach Gutdünken schalten und walten könne, und achtete sie geringer als seine Knechte. Oft sagte er, sie seien nur da, um für ihn zu arbeiten und das Geld herbeizuschaffen, das er brauche, um auf seinem Schloss herrlich und in Freuden leben zu können.

Das tat er dann auch da oben in seinem prächtigen Schloss, welches die Bürger und Bauern in schwerer Fronarbeit einst erbaut hatten. Wer des Abends hinaufsah, der erblickte lange Reihen hell erleuchteter Fenster und hörte bis tief in die Nacht hinein den lauten Jubel der Gäste, die sich’s bei der Mahlzeit und beim Wein wohl sein ließen. Und daneben sah man starke Türme, welche dunkel in die Höhe starrten und deren Gewölbe mit Gefangenen angefüllt waren. Denn in solche Gefangenschaft konnte man im Lande des finsteren Markgrafen gar schnell geraten, sobald man nämlich nur ein Wort sprach, das ihm nicht gefiel. Wer sich nur mit einer Silbe über die unerschwinglichen Steuern beschwerte, oder darüber, dass das Wild die Saatfelder verwüstete, oder darüber, dass die markgräflichen Jäger alles niedertraten, was die Landleute mit Schweiß und Mühe gepflanzt hatten, der durfte gewiss sein, dass eine Wohnung im finsteren Turme seiner wartete. Am härtesten strafte der Markgraf diejenigen, die sich unterstanden, einen seiner zahlreichen Hunde zu verletzen oder gar ein Wild zu erlegen. Es mochte jemand eher einem Menschen das Ärgste antun, als einen markgräflichen Hund, der ihn anfiel, mit einem Stock oder durch einen Fußtritt zurückzutreiben. Es mochte einer eher einen Menschen töten, als ein Stück Wild erlegen, das zu Tausenden in Feld und Wald umherlief.

Wenn der Markgraf aus dem Fenster seines Schlosses niederschaute, so war es für ihn eine große Freude zu sehen, wie die Wildschweine aus dem Walde kamen und die Äcker zerwühlten, wie die Hirsche und Rehe rudelweise auf den Äckern weideten. Und man hätte keinem raten mögen, das Wild von seinem Acker auch nur zu verscheuchen. Ja, wenn es dem gestrengen Herrn einfiel, ein großes Treibjagen anzustellen, was nicht selten der Fall war, so mussten die Bauern selbst auf ihren eigenen Feldern das Wild zusammentreiben und schweigend mit ansehen, wie die hohen Herren und ihre Jäger mit den Pferden in ihren Saatfeldern herumtummelten und in einer Stunde die Hoffnung auf eine reichliche Ernte vernichteten. Und dabei durfte keiner wagen, seinen Unwillen auch nur durch eine Miene zu verraten, wenn er nicht Schläge oder Gefängnis bekommen wollte.

Man kann sich in einer Republik oder in einem Lande, wo ein Fürst regiert, der sein Volk liebt und für dessen Glück besorgt ist, keinen Begriff machen von dem Druck, unter welchem die armen Leute seufzten.

Wir wollen in Gedanken von dem prachtvollen Schloss niedersteigen in eine kleine Hütte, in welcher die Armut schon zu Hause war, in die aber von dem Schloss aus noch viel größeres Elend gebracht wurde. Diese Hütte war die letzte eines nahen Dorfes und stand einige hundert Schritte von diesem entfernt, nicht gar weit vom Saume des Waldes. Eine arme Witwe wohnte darin mit ihren vier Kindern. Unter diesen war ein Sohn von achtzehn Jahren, jetzt noch ihre einzige Stütze. Aber sie sah es mit schwerem Herzen kommen, wenn ihr Martin unter die markgräflichen Soldaten eingereiht werden würde. Wer sollte ihr dann die drei andere, noch unerwachsene Kinder ernähren helfen? Wer sollte das Geld verdienen, welches sie als Steuer für ihre Hütte und für das kleine Sandfeld bezahlen musste?

Diese und andere Gedanken machten sie oft traurig. Aber wenn ihr die Tränen der Sorge und des Kummers ins Auge stiegen, ging sie hinaus vor die Tür, schaute ihr kleines Häuschen mit dem niedrigen Strohdach an und las den Spruch, welcher in den Balken über der Tür gehauen, und den Liedervers, welcher höher darüber in den Giebel geschrieben war. Der Spruch lautete: „Der Herr ist des Armen Schutz, ein Schutz in der Not“ (Ps. 9:10). Der Vers aber hieß:

O süßes Wort, das Jesus spricht

Zur armen Witwe: „Weine nicht!“

Das komme nie mir aus dem Sinn,

Zumal wenn ich betrübet bin.

Spruch und Vers hatte sie einst selbst in ihrer kummervollsten Lage an den Giebel schreiben lassen. Ihr Mann war nämlich gerade zu der Zeit gestorben, als die Hütte erst zur Hälfte gebaut war. Ohne Rat und rechten Trost stand sie damals mit ihren vier Kindern allein und wusste nicht, wie sie das Obdach vollenden sollte, welches sie und ihre Kinder künftig vor Wind und Wetter schützen möge. Ihr Mann hatte den Aufbau mit eigener Hand unternommen, sie aber konnte ihn nicht fortführen und Geld besaß sie auch nicht. Da traten die wackersten Männer im Dorf zusammen und beschlossen ganz in der Stille, das Häuschen fertig zu bauen, weil sie den verstorbenen Martin Brendel und seine Frau als rechtschaffene und fromme Leute gekannt und geachtet hatten.

Haben wir dem Markgrafen sein prächtiges Schloss in gezwungener Fron erbaut, warum sollten wir nicht freiwillig Hand an die Hütte der armen Witwe legen!“ – So sprachen einige Bauern, aber freilich ganz in der Stille, damit kein Horcher des Markgrafen diese Worte hören möchte, die vor ihm als höchst strafbar erschienen wären.

So war denn durch Gott und gute Menschen die kleine Hütte vollendet. Als sie kaum fertig war, da ritt einst der Markgraf mit seinem Jagdgefolge vorüber, sah das neue Häuslein, hielt sein Ross an und las die Sprüche über der Tür. Sein Angesicht verfinsterte sich. Er ließ die arme Frau herausrufen, und als sie zitternd unter der Tür stand, fuhr er sie an mit den rauen Worten:

Du alte Betschwester, wer ist der Armen Schutz in der Not?“ Da zitterte die Frau nicht mehr, sondern freute sich innerlich, dass sie um des Herrn willen geschmäht wurde. Sie sah dem Markgrafen unerschrocken in das finstere Angesicht und antwortete:

Der Herr!“ – „Dein Herr bin ich“, rief der Fürst, „merke dir’s, alte Hexe, sonst...!“ Damit warf er sein Ross herum und ritt vorüber. Die Witwe sah ihm nach, ging kopfschüttelnd in die Hütte zurück und sprach bei sich: „Es ist gut, dass noch einer über dir ist.“

Seit jener Zeit war das kleine Häuschen dem Markgrafen ein Dorn im Auge, denn er hatte bei dieser Gelegenheit erfahren, auf welche Weise es ausgebaut worden war, und dachte sogleich daran, den Bauern neue Fronen aufzulegen, weil sie gern für andere zu arbeiten schienen. Und gar Bibelsprüche waren ihm ohnehin ein Greuel, wie noch vielen Leuten heutzutage.

Indes lebte die arme Witwe viele Jahre ungestört, baute ihr Feld, arbeitete als Tagelöhnerin, erzog ihre Kinder in Zucht und Gottesfurcht, so dass sie allesamt im Dorf wohl gelitten waren. Martin war, wie schon erwähnt, zu einem kräftigen Jüngling herangewachsen, half treulich beim Anbau des kleinen Feldes, sorgte für Brennholz und verdiente nebenbei manchen Groschen als fleißiger Tagelöhner. Aber er wurde jetzt auch häufig als Fröner aufgeboten und kam oft tief betrübt, müde und hungrig des Abends nach Hause und klagte über die unmenschliche Härte der fürstlichen Aufseher, die besonders gegen ihn strenge zu verfahren schienen. Diese Aufseher glaubten sich nämlich die Gunst des Markgrafen durch große Strenge und Härte zu verdienen und behandelten diejenigen am strengsten, von denen sie wussten, dass der Herr ihnen nicht gut gesonnen war. Dies war besonders bei dem Sohn der armen Witwe der Fall. Denn es war in der ganzen Gegend bekannt, was der Markgraf einst zu der Frau vor ihrer Hütte Ungnädiges gesagt hatte.

Schon durch die Behandlung bei der erzwungenen Arbeit wurde Martin gegen den Fürsten und seine Diener aufgebracht. Aber der Groll wurzelte noch tiefer in sein Herz ein, wenn er sah, wie das zahllose Wild ungestört seinen Acker verwüstete und so die unentbehrlichsten Lebensmittel der armen Familie vernichtete. Oft kam er am Abend tief ermüdet von der Arbeit heim und konnte sich dann doch nicht der so nötigen Ruhe überlassen, sondern ging hinaus, um während der Nacht sein Feld zu bewachen und das Wild in den nahen Wald zurückzutreiben. War es ein Wunder, wenn der Jüngling traurig oder innerlich ergrimmt darüber nachdachte, warum Gott es also zulasse, dass der Herr des Landes statt eines milden Zepters eine schwere eiserne Rute in der Hand führte und damit das Volk so hart schlage? Die Mutter suchte zwar den erzürnten Sohn oftmals unter Tränen zu trösten und zu besänftigen und hielt ihm das Wort Gottes vor:

Schicket euch in die Zeit“, „denn es ist böse Zeit“, und die tröstliche Verheißung: „[Die Frommen] werden nicht zu Schanden in der bösen Zeit, und in der Teuerung werden sie genug haben.“ (Ps. 37:19). Auch mahnte sie ihn daran, dass wir um des Herrn und um unsers Gewissens willen auch einer schlimmen Obrigkeit untertan sein sollen. Aber Martins Sinn war zu heftig, seine Seele zu tief verletzt durch das schreiende Unrecht, das den Bewohnern des Landes geschah. Das milde Wort der Mutter konnte seinen Groll nicht besänftigen. Und wenn er bei solchen Gelegenheiten auch nicht geradezu widersprach, so schüttelte er doch finster den Kopf und beharrte bei seiner Gesinnung. Sein innerer Mensch war noch nicht erneuert und er konnte daher auch die Bösen und das Übel nicht mit Sanftmut ertragen. Er hatte noch nicht begriffen, was es heißt: „Das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht.“ (1.Petr. 2:19).