Zu große Empfindsamkeit

Ich habe zu diesem Abschnitt den obigen Titel gewählt, weil aus der zu großen Empfindsamkeit eine fruchtbare Quelle für Anklagen und Schwierigkeiten durch die Predigt des Evangeliums entspringt.

Das Evangelium muss entschieden und nachdrücklich gepredigt werden. Es kann niemals das Werkzeug sein, das es sein sollte, wenn es nicht ohne Kompromisse gepredigt wird. Doch ich will damit nicht sagen, dass es in schroffer und anmaßender Weise gepredigt werden sollte. Es gibt viele Menschen, die bekennen, Christen zu sein, und die nur durch solches Predigen des Evangeliums erreicht werden können, welches das christliche Leben als sündenfrei darstellt. Wiederum ist es des Predigers Aufgabe, Gottes Gnade zu rühmen und über das zu reden, wie man auf eine höhere Stufe im christlichen Leben kommen kann. Wir mögen sagen, dass ein Prediger es verfehlt hat, uns einen Nutzen zu bringen, wenn er nicht imstande ist, uns einen neuen Fortschritt in geistlichen Dingen zu zeigen. Aber während er dieses tut, gibt es etliche teure Seelen, die schon so von Anklagen niedergedrückt sind, dass sie durch solche Predigten beinahe gänzlich untergehen – einfach dadurch, weil sie diese hören. Wenn sie die Freiheit des Predigers sehen und erkennen, wie weit sie von solchem geistlichen Fortschritt entfernt sind, dann werden sie noch mehr entmutigt. Nun, sie sollten sich nicht auf eine solche Weise beeinflussen lassen. Diese Bedrückung wird mitunter dadurch verursacht, dass sie etwas auf sich selbst beziehen, was der Geist Gottes für andere bestimmt hat.

Hier steigt vor uns ein Problem des Predigens auf, nämlich, wie wir denen gewisse Ermahnungen und Belehrungen erteilen können, die es nötig haben, und wie wir die zu sehr Empfindsamen davor bewahren können, dass sie das Gesagte auf sich beziehen. Zur Illustration diene Folgendes: Während einer Reihe von Versammlungen gab der Prediger eines Tages eine Gelegenheit, vor der Predigt ein Zeugnis abzulegen. Ich zeugte und endete mit einer kurzen Ermahnung. In der darauffolgenden Predigt sagte der Prediger, wenn manche Leute abtrünnig und kalt werden, dann ermahnen sie andere, sich zu bekehren. Ich glaubte, dass dieses sich auf mich beziehen sollte, und hatte deswegen nicht geringe Schwierigkeiten. Häufig habe ich ähnliche Erfahrungen in meiner eigenen Arbeit gemacht. Leute bezogen gewisse Sachen auf sich selbst, die der Geist Gottes für einen anderen bestimmt hatte.

Noch eine andere Kundgebung zu großer Empfindsamkeit ist die, dass sich jemand in der Gegenwart etlicher Prediger unterdrückt fühlt. Wenn ein Prediger während der Predigt eine Person anschaut, die an zu großer Empfindsamkeit leidet, so ist diese Person geneigt zu glauben, dass das, was der Prediger gerade sagt, für sie bestimmt sei. Dies wird ihr folglich viele Schwierigkeiten und Anklagen bereiten.

Auch herrscht unter vielen eine merkwürdige Vorstellung, dass etliche Prediger ein außergewöhnliches Beurteilungsvermögen besitzen und eine Person durchschauen könnten. Daraus folgt, wenn ein Prediger zufällig eine zu empfindsame Person anschaut, sie sich einbildet, dass er allerlei Übles in ihr sehen kann. Lasst mich gerade hier sagen, dass Gottes Prediger nicht versuchen werden, weder all das Übel zu sehen, was sie könnten, noch ihre Zeit damit verschwenden, Leute zu beurteilen, mit denen sie nicht bekannt sind.

Es ist ziemlich schwer, eine zu empfindsame Person davor zu bewahren, dass sie nicht niedergedrückt und angeklagt wird, da sie geneigt ist, die Dinge verkehrt zu sehen. Ein gutes Heilmittel gegen die zu große Empfindsamkeit ist, dass die betreffende Person erkennt, dass sie ein größeres Recht als jeder andere hat, sich selbst und ihren geistlichen Zustand zu kennen. Und dass niemand weder als ein Mittler für sie handeln, noch sie ihrer Individualität in geistlichen Dingen berauben kann. Darum, wenn sie die Sünde verlassen hat und Gottes Willen nach ihrem besten Vermögen tut, dann ist sie erlöst. Und ein jeder, der sie recht beurteilt, wird auch wissen, dass sie erlöst ist. Dieses wird ihr ein Sicherheitsgefühl und auch die Freiheit geben, wenn sie vor jemandem Zeugnis ablegt.