Wieder daheim

Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, aus Monaten Jahre und vieles änderte sich, auch für Eva. Aber ihre Zeit war so ausgefüllt, dass sie kaum merkte, wie schnell sie verstrich. Nach ihrer Heilung während der Lagerversammlung trat sie ins Predigtamt ein und leistete den Rufen Folge, die an sie ergingen. Ihre Arbeit war sehr erfolgreich. Bald wurde sie von so vielen Orten aus gerufen, dass sie gar nicht allen Einladungen folgen konnte. Obwohl im Dienste des Herrn sehr geschäftig, unterließ sie es nicht, an ihre Gesundheit zu denken. Und bei guter Kost, genügender Körperbewegung und frischer Luft wurde ihre Gestalt allmählich aufrechter, ihr Gesicht wurde voller und die blassen Wangen erlangten mehr und mehr die gesunde Naturfarbe. Gott hatte in der Tat eine vollkommene Heilung bewirkt.

So, wie Eva sich körperlich entwickelte, entwickelte sie sich auch geistlich. Alle konnten sehen, dass Eva ein völlig gottgeweihtes Leben führte. Ihre Arbeit unter der Jugend brachte großen Erfolg und viele junge Leute wurden durch ihr Bemühen für den Herrn gewonnen. Nie verfehlte sie es, ihnen den Rat zu erteilen, sich doch auch ihre Verheißung anzueignen. Denn sie betrachtete Joh. 15:7 wirklich als ihre Verheißung und hatte erfahren, dass ihr alles gegeben wurde, was sie sich wünschte, wenn sie nur in ihm blieb. Drei Jahre lang betete sie täglich, dass der Herr ihres Vaters Herz berühren möchte. Und sie verließ sich auf ihre Lieblingsverheißung. Noch nicht ein Wort hatte sie seit jenem Septembermorgen, als sie das Elternhaus verließ, von ihm empfangen. O, wie oft sie sich sehnte, ihren Vater wieder zu sehen! Obwohl er sie von zu Hause vertrieb, liebte sie ihn doch und empfand tiefstes Mitleid für ihn. Sie sah, dass der Feind ihn gebrauchte, und glaubte auch, dass er ein rechter Vater sein würde, wenn er sich nur einmal selbst sähe. Jeden Abend, ehe sie sich zur Ruhe begab, brachte sie ihn im Gebet vor den Herrn.

Nach zwei Jahren evangelistischer Tätigkeit erhielt Eva den Ruf von einer Versammlung im Staate Kentucky, der Gemeinde dort als Predigerin zu dienen. Da sie dort eine Versammlung gehalten hatte und der Ruf einmütig von der ganzen Versammlung aus kam, ging sie und nahm noch eine andere Schwester als ihre Gehilfin mit. Hier wollen wir sie eine Zeitlang verlassen und der Grantfamilie einen Besuch abstatten.

Für gewisse Zeit, nachdem Eva gegangen war, schien in der Grantfamilie keine merkliche Änderung eingetreten zu sein. Herr Grant arbeitete schwerer denn je und hielt sich allen seinen Nachbarn gegenüber ziemlich zurückgezogen. Er besuchte keinen, außer wenn es galt, eine besondere geschäftliche Angelegenheit zu regeln. Da er sein Geld nicht mehr für Alkohol verschwendete, fand er Gelegenheit, Haus und Hof besser auszustatten und seine Familie mit allem Notwendigen zu versorgen. Die Kutsche wurde ausrangiert und an deren Stelle ein neuer Ford angeschafft. Die reiche Ernte seiner Felder legte deutlich Zeugnis ab, dass er ein zum Wohlstand gekommener Farmer war. Auch außerhalb von Haus und Hof machte Herr Grant viele Verbesserungen. Große Einzäunungen wurden gebaut, Tore in die Angeln gehängt, kurz, das ganze Anwesen machte einen anziehenden Eindruck. Doch all der äußere Fortschritt brachte keine innere Veränderung für Herr Grant und seine Frau. Evas Name wurde nie erwähnt, und wenn doch einmal, so nie mit dem geringsten Anflug von Erweichung oder Barmherzigkeit.

So verging der Herbst, der Winter, der Frühling und der Sommer des ersten Jahres ihrer Abwesenheit. Und schon hielt der Herbst aufs Neue seinen Einzug. Herr Grant war in seinem Arbeitseifer und seinem Vorsatz, große Dinge zu vollbringen, nicht müde geworden. Er freute sich der prächtigen Ernte, hatte er doch auch von früh bis spät gearbeitet. Und als Heu und Getreide eingefahren waren, begann er mit seinen Plänen fürs nächste Jahr. Er wollte mehr Land, um eine noch größere Ernte zu erzielen. Dieser Wunsch wurde ihm auch nicht verwehrt. Denn er fand Gelegenheit, einen großen Landstrich von einer Witwe in der Nähe zu pachten. Ein wenig ehrgeizig wie er war, plante er für den kommenden Herbst große Dinge. Der Frühling des folgenden Jahres fand Herr Grant wieder von früh bis spät an der Arbeit. Aber als das warme Wetter einsetzte, musste er zu seiner großen Besorgnis merken, dass er körperlich nicht mehr so stark war wie früher. Und nachdem er sich einmal vom Felde mühsam nach Hause schleppte, hielt er’s für das Beste, sich vom Arzt untersuchen zu lassen. So wurde der alte Familienarzt gerufen. Der Bescheid fiel für ihn sehr ungünstig aus. Dr. N. eröffnete ihm, dass er sich nicht mehr ohne Gefahr anstrengen könne, da sein Herz in sehr schlechtem Zustande sei und jede körperliche Anstrengung oder Aufregung jeden Augenblick sehr verhängnisvoll zu werden drohe.

Das waren böse Nachrichten, zumal er für den Sommer so Großes plante. Nun musste er sehen, dass alle seine Pläne zertrümmert waren. Nicht mehr auf dem Felde arbeiten zu dürfen bedeutete, die Arbeit andern überlassen zu müssen. Und er wusste, dass keiner es so machen würde, wie er wollte. Sein körperliches Befinden ließ Herr Grant aber in seiner Art nicht ruhiger werden. Vielmehr wurde er sehr übellaunig und verdrießlich. Die Arbeit ging nicht so voran, wie er es wünschte, und das reizte ihn. So gab es manchen Auftritt zwischen ihm und seinen Söhnen, bis Harry mitten in der Heuernte meinte, es nicht mehr länger aushalten zu können, und wegging, um woanders Arbeit aufzunehmen. Nun musste Herrn Grant entweder all sein Heu verlieren oder jemanden anstellen. Harrys Weggang brachte Herrn Grant nur noch in größere Aufregung, und eine Aushilfe konnte er nur für ein paar Tage bekommen. Der arme Edgar nahm alle Misshandlungen auf sich und tat alles, was einer in seinem Alter nur tun konnte. Hafer und Weizen waren gemäht. Aber der Hafer wurde nicht gedroschen, da anhaltender Regen einsetzte und er in den Garben zu keimen anfing. Nur ein Teil der Maisernte wurde heimgebracht. Des schweren Herbstregens wegen war es unmöglich gewesen, auf dem Felde zu sein. Viel verdarb draußen. Die Pacht musste der Witwe bezahlt werden, und nachdem Herr Grant alle Unkosten des Sommers zusammenrechnete, stellte er einen schweren Verlust fest. Die Pacht war höher als der Ertrag der Ernte. So entschloss er sich, im nächsten Jahr wieder nur sein eigenes Land zu bebauen, zumal Harry ihn verlassen hatte und er sich auf die Dauer keine Hilfe halten konnte. Große Pläne hatte er im Vorjahr gemacht – aber nur, um zu sehen, dass sie wie ein Blatt vom Sturm hinweggeweht wurden. 

Als das kühle Wetter einsetzte, besserte sich Herrn Grants Gesundheitszustand so weit, dass er im Frühjahr wieder selbst auf dem Feld arbeiten konnte. Sein Verhalten aber war nicht besser als im Vorjahr. Und viele der Nachbarn machten die Bemerkung, dass der arme Edgar ihnen leid tue, und dass er vielleicht bald dasselbe tun werde, was Harry tat. Als es wieder wärmer wurde, merkte Herr Grant, dass die Besserung seines Gesundheitszustandes nur von kurzer Dauer gewesen war. Eines Tages, Anfangs Mai, trieb er eine Anzahl Schweine von einer Weide zur andern. Und als sie etwas unruhig wurden, musste er ziemlich viel Energie aufwenden, um sie an den gewünschten Platz hinzubringen. Dabei wurde ihm sehr heiß. Nach dem Schließen der Umzäunungstür setzte er sich für ein paar Augenblicke hin, um auszuruhen. Als er wieder aufstehen wollte, war er kaum fähig zu stehen. Allmählich wurde es schlimmer und man ließ wieder den alten Familienarzt kommen. Für mehrere Tage verbot dieser Herrn Grant, das Haus zu verlassen. Und dann sollte er selbst ins Sprechzimmer des Arztes kommen. Ein paar Tage der Ruhe kräftigten ihn. So machte er sich bereit, stieg in sein Auto und fuhr zum Arzt. Nach gründlicher Untersuchung legte der alte Arzt seine Hand auf Herrn Grants Schulter und sagte: „Herr Grant, ich kenne Sie nun geraume Zeit. Betrachten Sie mich als Ihren Freund?“

Herr Grant schaute den Doktor erstaunt an und sagte: „Ich habe Sie immer als solchen betrachtet. Aber warum stellen Sie mir diese Frage?“

Ohne auf Herrn Grants Frage einzugehen, fuhr der Doktor fort: „Wenn Sie mich als Freund betrachten und ich etwas weiß, das für Sie von großer Wichtigkeit ist, so werden Sie von mir als Ihrem Freunde erwarten, dass ich’s Ihnen sage, nicht wahr?“

„Gewiss, gewiss“, erwiderte Herr Grant.

„Gut“, sagte der Doktor, „dann werde ich mich frei fühlen, Ihnen zu sagen, wie es um Sie bestellt ist. Sie sind jetzt in viel schlimmerem Zustand wie vor einigen Tagen, als Sie mich rufen ließen. Ich gebe Ihnen den Rat, nicht unruhig oder aufgeregt zu werden und sich nicht anzustrengen. Denn Ihr Herz ist in solchem Zustand, dass es nicht mehr pumpen kann, als augenblicklich. Sie brauchen Bewegung und viel frische Luft, und ich rate Ihnen zu langen Spaziergängen jeden Tag. Aber gehen Sie nicht zu schnell und strengen Sie in keiner Hinsicht Ihren Körper an. Gehen Sie sehr langsam, denn Sie haben einen schweren Schaden an Ihrem Herzen. Alle Kraft, die Ihr Herz aufbringen kann, bringt es jetzt schon auf, um Sie am Leben zu erhalten. Und jede Überanstrengung kann sehr verhängnisvoll werden. Sind Sie sehr vorsichtig, dann können sie noch eine Zeit leben. Aber das ist die einzige Hoffnung, die Sie haben. Denn anders als mit diesem Rat kann ich Ihnen nicht helfen. Und es gibt, soweit ich weiß, in der medizinischen Wissenschaft nichts, das Ihnen die Hilfe bringen könnte, die sie wünschen. Ich sage Ihnen das als ein Freund. Und wenn Sie noch irgendetwas haben, das Sie in ihrem Leben vollenden wollen, so ist jetzt die Zeit dazu, daran zu denken.“

Der Doktor hatte noch immer seine Hand auf Herrn Grants Schulter, als er mit ihm zur Tür des Sprechzimmers schritt. Und als sich Herr Grant verabschiedete, sagte er: „Herr Grant, nebenbei gesagt, ich sah Eva gestern – sieht sie nicht sehr wohl aus? Es ist doch ganz wunderbar, was für eine Veränderung mit dem Mädchen vorgegangen ist. Sie brauchen etwas von des Mädchens Glauben; denn sie hat sich ihre Gesundheit aus einer Quelle geholt, die den meisten Menschen unbekannt ist. Sie ist ein Wunder. Sie wissen auch, als ich ihre Tochter in der letzten Zeit besuchte, hielt ich ihren Zustand für so bedenklich wie jetzt den Ihren. Aber ein wunderbarer Wechsel hat mit ihr stattgefunden. O, Sie können stolz sein auf solch ein Mädchen!“

Herr Grant wünschte dem Doktor einen guten Tag, stieg in sein Auto und fuhr heimwärts. Aber er kehrte als ein anderer Mann in sein Haus zurück. Nur zu gut wusste er, dass der Doktor ihm die Wahrheit sagte und dass es für ihn auch noch viele Dinge zu erledigen gab, ehe er sich zufrieden fühlen konnte. Und das erste war, Eva wiederzusehen. Die Familie merkte die Veränderung an ihm, und keinem war sie willkommener als Edgar. Denn gerade er hatte unter des Vaters Zorn und reizbaren Zustand gelitten. Herr Grant befolgte des Doktors Rat und ließ vieles, was er bisher getan hatte, ungetan. 

Inzwischen war es Juni geworden, und eines Tages kam ein Brief von Eva an ihren Vater. Der Inhalt brachte eine große Überraschung für ihn. Der Brief war ihm willkommener, als er’s nur ausdrücken konnte. Jetzt konnte er ihr doch schreiben und auch gleichzeitig antworten. Sie hatte ihn unterrichtet, dass sie Braut sei und der Brief war eine Einladung an ihn, an ihrer Hochzeit teilzunehmen.

Er erwiderte ihre Einladung mit einer Einladung an sie, die Hochzeit daheim zu feiern. Auch erwähnte er seinen Gesundheitszustand. Kein Wort der Entschuldigung stand drin, aber die Einladung war genug, Preis und Lob von Evas Lippen zu bringen. Es war der erste Brief von ihrem Vater. Mit tränenden Augen, es waren Freudentränen, las sie Joh. 15:7 und sagte: „Ich danke dir, Herr, dass ich diese Verheißung zu meiner Verheißung gemacht habe. Ich kann mich sicher darauf verlassen; denn ich habe dich treu erfunden in allem, was du verheißen hast.“ Bald schrieb sie dem Vater, dass er ihr keine größere Freude hätte bereiten können, und dass es ihr das größte Hochzeitsgeschenk sein würde, ihre Hochzeit daheim feiern zu dürfen.

Drei Tage vor der angesetzten Hochzeit fuhr Herr Grant in die Stadt, um den Zug zu erwarten, mit dem Eva heimkommen sollte. Als er sie aus dem Zug steigen sah, liefen ihm Tränen die Wangen herab. In fast vollkommen aufrechter Gestalt, mit gerundetem Gesicht und rosigen Wangen – so ungleich dem blassen, kleinen, gekrümmtem Mädchen, das ihn vor drei Jahren verlassen hatte, – sah er sie vor sich stehen. Kaum traute er seinen Augen. Konnte dies dasselbe Mädchen sein? Sein Geist wanderte zurück über die Wellen der Zeit und er konnte in ihr das Mädchen sehen, das vor mehreren Jahren an seiner Seite gestanden und den gewagten Schritt unternommen hatte, den nur auch ihr Kind unternehmen wollte. Evas Gesicht brachte ihm einen Hochzeitstag vor mehr als einem viertel Jahrhundert in Erinnerung, als ein Mädchen gerade wie Eva seine Frau wurde. Er empfing Eva mit offenen Armen und sagte unter Tränen: „O Eva, ich konnte mich der Tränen nicht enthalten, als ich dich sah. Denn du bist ein lebendiges Bild deiner Mutter, als sie mich vor mehr als fünfundzwanzig Jahren heiratete.“ 

Auch Eva war durch den Empfang ihres Vaters sehr bewegt und versuchte nicht, ihre Tränen zu verbergen, sondern sagte:

„Ich bin froh, dass ich meiner Mutter ähnlich bin. Denn ich gedenke ihrer als der besten Frau, die ich je kannte.“ Bei diesem Gedanken kamen ihr die letzten Worte in Erinnerung, die sie ihre Mutter sagen hörte: „Mama kann sich immer auf ihre kleine Eva verlassen.“

Der Heimweg wurde fast unter völligem Schweigen zurückgelegt. Was Herrn Grants Gemüt bewegte, ist nie bekannt geworden. Aber Eva konnte es nicht verhindern, jener Zeit vor drei Jahren zu gedenken, als sie sich dieselbe Straße als eine von zu Hause Vertriebene entlang schleppte. Vertrieben von einem zornigen Vater, ohne einen Pfennig in der Tasche. Als sie die Spitze des Hügels erreichten, von wo aus das Grantheim in seinem ganzen Umfang zu sehen war, schaute Eva auf die Straße und erblickte jenen Baum, unter dessen Schatten sie damals an jenem Septembermorgen einen letzten langen Blick auf das Elternhaus warf, das sie verlassen hatte. Hier war es, wo sie ihre Stimme zu Gott erhoben und die nötige Gnade empfangen hatte, mit ihm weiterzuwandern. Das Bild stand wie in Wirklichkeit vor ihren Augen und, sich etwas weiter ins Polster hineinsetzend, sagte sie zu sich selbst: „Herr, ich danke dir für alles!“

Das Gesicht ihrer Stiefmutter zeigte dieselben harten Züge. Aber sie machte Eva bei ihrem warmen, liebevollen Gruß keine Vorstellungen und war ebenfalls wie ihr Mann, über Evas Erscheinung erstaunt. Sie konnte kaum glauben, dass sie dasselbe Mädchen war, das vor drei Jahren hier wegging. Edgar war fast außer sich vor Freude, Eva wieder zurück zu haben, und sobald er ihr etwas zuflüstern konnte, sagte er: „Ich wusste immer, dass dich deine Religion nicht verrückt machen wird.“

Ihr Schlafzimmer war noch fast so, wie sie es verließ. In derselben Ecke stand der Kleiderschrank und fast alles war noch wie damals. Alte Erinnerungen durchflogen ihr Gemüt. Es war derselbe Raum, in dem sie das unvergessliche Weihnachtsgeschenk und das Gift im Trinkwasser empfangen hatte. Hier war es auch, wo sie so viele einsame Stunden in Schmerz und Leiden verbracht hatte, aber auch, wo sie die heilende Hand Gottes verspürt und viele Segnungen für ihre Seele erfahren hatte. Der Ort war ihr in der Tat lieb und teuer. Ihre Augen aufhebend, sagte sie:

„Ich danke dir, Herr, dass du mir in all den Prüfungen den Sieg geschenkt hast. Hilf mir, in Zukunft noch treuer zu sein als in der Vergangenheit, damit ich wie von meiner Mutter so auch von dir hören kann, dass du dich immer auf mich verlassen kannst.“

Nach dem Abendbrot fand sie ihren Vater unter einem Baum im Garten sitzen. Sich neben ihm niederlassend, erzählte sie ihm von ihren Zukunftsplänen und von dem jungen Mann, der ihres Herzens Wahl geworden war. Es war ein junger Offizier, der durch ihre evangelistische Arbeit zum Herrn gekommen war, ein edler junger Mann, auf den irgendein junges Mädchen als ihren Verlobten hätte stolz sein können.

Herr Grant erzählte Eva auch von seinem Zustand und was der Doktor ihm gesagt habe. Er schloss mit der Bemerkung:

„Tochter, ich konnte nicht sterben, bis ich dich gesehen hatte und bis ich wusste, dass alles recht ist, denn ich habe dir Unrecht getan. Es tut mir so leid, dass ich’s getan habe und möchte eine Welt dafür geben, wenn ich meine Handlungen ungeschehen machen könnte.“

„Mache dir darüber keine Unruhe mehr, Papa, denn alles ist vergeben. Und richtig genommen, hast du mir gerade das Rechte getan. Es schien mir zu jener Zeit so schwer zu sein, es zu ertragen. Aber hättest du mich nicht verstoßen, so wäre ich nicht so gebräuchlich in der Hand Gottes geworden und hätte andern das nicht sein können. Durch mein Weggehen habe ich manch wertvolle Lektion gelernt und bin andern ein Segen geworden. Ohne Zweifel wäre ich dem edlen jungen Mann auch nicht begegnet, der nun mein Ehemann werden wird und den ich so sehr liebe. Du siehst, Gott hat in allem einen Zweck und wirkt in geheimnisvoller Weise, damit sich alles zu unserm Besten gestalte.“

„Ich freue mich, dass du es in diesem Licht siehst“, erwiderte Herr Grant. „Aber es lag seit einiger Zeit schwer auf mir. Und ich bin froh, dass du zurück bist und ich in gewissem Maße die Dinge in Ordnung bringen kann.“

Die Dämmerstunde schwand und noch saßen sie dort und redeten miteinander. Der Mond schien vom klaren Himmel und machte ihre Umgebung fast tageshell. Erst in später Stunde erinnerte sich Herr Grant ans Zubettgehen.

„Ich hätte noch gern mit dir gebetet, ehe wir uns zur Ruhe begeben. Darf ich?“, fragte Eva.

„Gewiss darfst du“, sagte Herr Grant, als er sich neben der Bank niederkniete, auf der er gesessen. „Und das ist nicht das erste Mal, dass ich auf meine Knie gehe, denn in der letzten Woche habe ich sie oft gebeugt.“

Dort unter dem Baum knieten Vater und Tochter. Eva schüttete ihr Herz vor Gott aus, voll Preis und Dank für seine vielen Segnungen und für das Vorrecht, wieder daheim beim Vater sein zu dürfen. O, wie sie zum Herrn flehte, ihrem Vater Gnade zu schenken, ihn zu unterweisen und ins Licht zu leiten, wie auch seine heilende Hand auf ihn zu legen! Herrn Grants Tränen fielen mit den ihren, als sie zu Gott für ihn flehte. Und als sie von ihren Knien aufstanden, legte er seinen Arm um Evas Schulter und sagte: „Tochter, ich fühle mich jetzt besser als vorher. Es ist mir nicht mehr so schwer in meiner Brust.“

Eva schaute ihn an und lächelnd erwiderte sie: „Jesus hat die Last abgenommen.“ 

„Ich habe gebetet, dass er es tun möchte“, gab Herr Grant zur Antwort, als sie sich wandten und auf dem wohlgepflegten Weg dem Hause zuschritten. An der Zimmertür wünschte Eva ihrem Vater noch in herzlicher Weise gute Nacht. Und wieder sagte Herr Grant: „Tochter, ich bin stolz auf dich; denn du bist mir heute Abend eine große Hilfe gewesen.“

Da hörte sie wieder die sanfte Stimme aus stiller Vergangenheit: „Mama kann sich immer auf ihre kleine Eva verlassen.“