Wie ich Ältester wurde

Wir waren zwei Brüder, die unserer kleinen Gemeinde vorstanden. Dann kam noch Br. Hermann Domke hinzu, der sich früher in Wolhynien bekehrt hatte und jetzt mitwirkte. So waren wir zu dritt im Dienst.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie es zuging, dass Br. Barbulla mit Russen, die in der Stadt Zelinograd (heute Astana) wohnten, bekannt wurde. Er hatte mit einem Menschen Kontakt aufgenommen, der sich bekehrte, und bald gab es eine Gruppe, die sich mit ihm versammelte. Der Mann, der sich als erster bekehrte, wurde von ihnen zum Ältesten gewählt.

Die Regierung erfuhr davon und wollte die Versammlungen verbieten unter dem Vorwand: „Ihr versammelt euch illegal und tut verbotene Dinge. Wenn ihr es ehrlich meint, so lasst euch doch registrieren.“ Die Leute in der Versammlung waren bereit, dieser Anordnung nachzukommen. Doch die Anzahl ihrer Mitglieder war zu gering, um sich als Gruppe registrieren zu lassen. So wurde ihr Antrag abgelehnt.

Nun waren sie bemüht, so schnell wie möglich der staatlichen Forderung nach Registrierung nachzukommen. Sie kamen jetzt nach Kamenka und legten uns die Frage vor, ob wir uns nicht ihrer Gruppe anschließen wollten, damit die geforderte Mitgliederzahl für eine Registrierung erreicht würde. Wir hatten große Bedenken in dieser Angelegenheit und haben ihnen klar gemacht, dass wir von der uns offenbarten Wahrheit nicht abtreten können. Auch gaben wir ihnen zu bedenken: „Ihr arbeitet unter dem Namen Baptisten, wir aber sind Gemeinde Gottes.“

Da antwortete ihr Ältester: „Ja, das weiß ich. Ihr seid wie der Iwan (Johann) Gottlipowitsch Barbulla. Wir kannten ihn gut, er war ein Gottesmann. Er hat uns von euch erzählt. Wir wirken nach der Erkenntnis, die wir zur Zeit haben. Wird Gott führen, dass wir mehr Licht bekommen, sind wir bereit zu folgen. Doch im Moment benötigen wir eure Hilfe, indem ihr euch uns anschließt. Wir versprechen, dass wir nicht kommen werden, um uns in eure Arbeit einzumischen. Ihr sollt eure volle Freiheit haben. Wir wissen von eurer Lehre und wissen auch, dass ihr zuverlässige Leute seid. Solltet ihr einmal in Bedrängnis kommen, so könnt ihr auch mit uns rechnen.“

Die Entscheidung fiel uns schwer, es war jetzt auch niemand da, mit dem man sich beraten konnte. Die Bittsteller waren russischer Nationalität und wurden von der Obrigkeit bevorzugt. Auch hatten sie eine Schulbildung, die uns fehlte. Wenn die Obrigkeit die Gläubigen wegen irgend einer Sache beschuldigen wollte, so sagte man, das seien alles Baptisten.

Mir fiel ein Bericht Br. Barbulla‘s aus der Zeit in Wolhynien ein. Dort wollte sich die Gemeinde Gottes in einer Region registrieren lassen, wurde aber von der Regierung nicht als zuverlässig anerkannt. Die Geschwister erhielten damals den Rat: „Bemüht euch darum, dass eine andere Organisation euch als Untergruppe aufnimmt, dann können wir euch registrieren.“ Die Brüder beschlossen damals, sich der Obrigkeit zu unterstellen. Sie haben bei den „Evangelischen Christen“ Anschluss gefunden und konnten so registriert werden.

Dieser Vorgang aus der Vergangenheit hat uns als Wegweisung gedient. Mit viel Gebet und nach langen Überlegungen sind wir auf das Angebot eingegangen, uns gemeinsam registrieren zu lassen. Nun sollte jemand benannt werden, der die Gemeinde leitet. Niemand von uns verantwortlichen Brüdern wollte sagen: „Ich bin´s.“ Dann beschlossen wir, diese Angelegenheit durch Losentscheid zu klären. Nach einem ernsten Gebet wurden drei Zettel geschrieben und gelost. Das Los „Ältester“ fiel mir zu, dabei fühlte ich mich sehr unwürdig. Die beiden anderen Brüder waren älter als ich, und jetzt sollte ich Gemeindeältester sein? Aber ich stellte mich doch unter die Führung Gottes und nahm die Verantwortung auf mich, für Gottes Sache in Demut vor dem Höchsten einzutreten.

Vor der Obrigkeit waren wir nun zu der registrierten Gruppe gezählt, hatten aber keine weitere Gemeinschaft mit ihnen. Als die Baptisten nun registriert waren und öffentliche Versammlungen halten konnten, nahmen sie schnell an Zahl zu, sodass sie bald nicht mehr auf uns angewiesen waren.

Von dieser Zeit an habe ich mich verantwortlich gesehen, die Gemeinde zu versorgen, damit sie auch die nötigste geistliche Speise bekommt.