Erlösung von zwei Arten von Sünde

Man hört heutzutage hier und da von einem „vierfältigen Evangelium.“ (Vermutlich ist hier die Aufteilung des Erlösungswerkes Christi in 4 Teile gemeint: 1) Christus – unser Retter, 2) Christus – unsere Heiligung, 3) Christus – unser Arzt, 4) Christus – unser kommender Herr. (Anm. d. Red.))  Aber da wir von nichts derartigem in der Bibel lesen, so mögen wir schließen, dass dies ein „anderes Evangelium“, eine neue Erfindung ist. Wenn wir über die in der Schrift oft klar beschriebene Erlösung von zwei Arten von Sünde hinausgehen, dann liegt kein Grund vor, warum wir die Erlösung auf vier spezielle Äußerungen beschränken sollen, denn sie sind tausendfältig, ja unzählbar. Doch der besondere Zweck des Todes Jesu Christi ist die Erlösung der Menschen von aller Sünde. Und weil es Sünde in zweierlei Arten gibt, so beschreibt das Wort Gottes die Erlösung oft als eine Kur von beiden Arten von Sünde. Und weil wir der Schrift in dieser einfachen Einteilung der Erlösungsgnade folgen, so reden wir in dieser Abhandlung auch nur von dieser schriftgemäßen Methode der Erlösung von aller Ungerechtigkeit, ohne Bezug auf die vielseitigen Äußerungen der Gnade in anderen Hinsichten  zu nehmen.

Wie schon gesagt, es gibt Sünde von zwei verschiedenen Arten: Die erste Art ist die Tatsünde. Allen ist verständlich, dass jeder bewusste Ungehorsam gegen Gottes Wort Sünde ist. Deshalb steht geschrieben: „Die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“ (1.Joh. 3:4; Elbf. Ü.). Auch steht geschrieben: „Alle Ungerechtigkeit ist Sünde“ (1.Joh. 5:17). Daher ist auch die Ungerechtigkeit in der Natur des gefallenen Menschen Sünde. Man kann sie auch angeborene Sünde nennen, moralische Verderbtheit oder Neigung zum Bösen, die sich von allen sündigen Taten, die daraus entstehen, unterscheidet. Das ist eine Tatsache, die deutlich von der Heiligen Schrift  gelehrt wird und deren sich alle Ungeheiligten bewusst sind. Diese Sünde wird genannt „die Sünde, die in mir wohnt“ (Röm. 7:17),  „Leidenschaften der Sünde“ (V. 5), „Sünde .., die den Tod bewirkt“ (V. 13). Daraus sehen wir, dass Sünde auch als ein Element moralischen Übels existiert, als eine im Herzen wohnende und wirkende Kraft. Sie wird auch „der Leib der Sünde“, „alter Mensch“ (Röm. 6:6) und „Werke des Teufels“ (1.Joh. 3:8) genannt. Dieser Feind der menschlichen Seele hat seinen Sitz in der Natur des Menschen (Eph. 2:3), ist entstanden und wird vererbt durch den Fall des Menschengeschlechts (Ps. 51:5-7).

Um diesen zwei Arten von Sünde entgegenzutreten und sie zu entfernen, setzt uns die Bibel ein zweifaches Mittel vor. Schon im Alten Testament wird darauf hingedeutet. Der Prophet Jesaja sagt: „Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen, und man wird euch Diener unseres Gottes nennen. Ihr werdet der Völker Güter essen und euch ihrer Herrlichkeit rühmen. Dafür, dass mein Volk doppelte Schmach [Sünde] trug und Schande ihr Teil war, sollen sie doppelten Anteil besitzen in ihrem Lande und ewige Freude haben“ (Jes. 61:6-7).

Als in diesem herrlichen Zeitalter der Gnade den Heiden das Evangelium gepredigt wurde, ging die Verheißung in Erfüllung, dass wir für unsere Sünden „doppelten Anteil besitzen“ sollen – eine doppelte Erlösung mit ewiger Freude. Dem Herrn sei Dank für eine doppelte Erlösung, die uns sowohl von begangenen Sünden als auch von der Erbsünde befreit und uns ein doppeltes Maß der göttlichen Gnade gibt, so dass wir von allen Arten von Sünde völlig errettet werden.

Im Hinblick auf das Zeitalter des Evangeliums sprach der Prophet Sacharia: „Zu der Zeit wird das Haus David und die Bürger Jerusalems einen offenen Quell haben gegen die Sünde und Unreinheit“ (Sach. 13:1, Schl. Ü.). Damit sind  Vergebung der Sünden und Reinigung von der im Herzen wohnenden Unreinheit gemeint.

In Jes. 26:3 (Elbf. Ü.) lesen wir: „Bewährten Sinn bewahrst du in Frieden, in Frieden, weil auf dich vertraut“. Dies ist ebenso, wie andere prophetische Aussagen, ein Hinweis auf die zweifache Gnade, wie sie jetzt im Reich Christi zu haben ist. So lesen wir, dass die Rechtfertigung uns „Frieden mit Gott“ gibt (Röm. 5:1). Auch lesen wir: „Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus!“ (Phil. 4:7). Wenn wir wahre Buße tun und uns unter den Willen Gottes beugen, werden wir von Gott gerechtfertigt und bekommen „Frieden mit Gott“. Wenn wir uns dann Gott völlig weihen, erfüllt uns der „Friede Gottes“ und macht uns völlig heilig. Diese völlige Ruhe regiert dann in einem Herzen, das rein ist, wie Christus rein ist. So haben wir „Frieden, Frieden“ – Frieden mit Gott und den heiligen Frieden Gottes im Herzen.

„Da wir nun gerechtfertigt worden sind durch Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir im Glauben auch den Zugang erlangt haben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“ (Röm. 5:1-2). Hier wir gesagt, dass wir durch Christus zweierlei bekommen haben: erstens, die Rechtfertigung, und zweitens, den Zugang zu der Gnade, „in der wir stehen“. Durch diese Gnade sind wir untadelig in Heiligkeit vor Gott (1.Thess. 3:13). In beiden Bibelstellen wird deutlich gesagt, dass wir all dieses durch den Glauben erlangen. Deshalb ist die zweite Gnade, die Heiligung, ebenso wenig ein Wachstum wie die Rechtfertigung. Sie wird auch nicht durch Werke oder durch stufenweises Wachstum erlangt, sondern ist, weil sie durch den Glauben erlangt wird, eine Gabe von Gott, die das Herz des Menschen augenblicklich reinigt.

Im ersten Kapitel des Römerbriefes zeigt sich der Apostel Paulus besorgt um den Fortschritt der Gemeinde, damit sie die völlige Erlösung erlangen und sagt, dass es ihn verlange, sie zu sehen, um ihnen „etwas geistliche Gabe“ mitzuteilen, damit ihre Seelen in der Gnade gestärkt werden (Röm. 1:11). Das beabsichtigte er durch die Predigt des Evangeliums zu tun, weil es eine Kraft Gottes ist, „die da selig macht alle, die daran glauben ... Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben zu Glauben“ (V. 16-17) – oder von den Anfängen des Glaubens zur Vollkommenheit.

Christus verhieß seiner Gemeinde eine vollkommene Freude (Joh. 15:11). Von dieser Gabe bezeugt Johannes Folgendes: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (1:16). Das Wort „um“  bezeichnet eine Aufeinanderfolge; „Gnade um Gnade“ bedeutet also, dass eine Gnade der anderen folgt, oder dass derjenige, der schon Gnade empfangen hat, noch mehr Gnade empfängt.

In völliger Harmonie mit dieser Reihenfolge im Erlösungswerk schrieb Paulus an Titus: Jesus hat uns „– nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – gerettet durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er reichlich über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Heiland“ (Tit. 3:5-6). Diese Worte sind so klar, dass man sie, wie mir scheint, nicht zu erklären braucht. Die Erlösung ist zweistufig, erstens, die Wiedergeburt, zweitens, die Erneuerung der Seele in das göttliche Ebenbild (Kol. 3:10) durch die heiligende Kraft des Heiligen Geistes.

Ein doppeltes Mittel gegen die Sünde ist auch in 1.Joh. 1:9 zu sehen: „Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ Dieses ist eine köstliche und sehr viel in sich enthaltende Wahrheit. Erst wird uns Vergebung aller Sünden zugesichert; danach erlangen wir, wenn wir unsere Erbsünden erkennen und bekennen, die Gnade, die uns vollkommen macht und aus unserer Natur alle Ungerechtigkeit entfernt. Wir sind glücklich bezeugen zu können, dass dieses herrliche Evangelium wahr ist. Gelobet sei der Name Jesu!

Wir wollen abschließen, indem wir noch eine andere köstliche Schriftstelle anführen, darin die zweifache biblische Erlösung beschrieben ist: „Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als vom Herrn, der der Geist ist.“ (2.Kor. 3:18). Die wunderbare erlösende und umwandelnde Gnade Gottes verändert uns aus unserem sündigen Stand in das wahre Ebenbild Gottes, ja in das Bild der Herrlichkeit des Herrn.  Doch diese Veränderung geschieht nicht durch eine einmalige Berührung mit der Kraft des Herrn. Erst müssen wir aus der Sündenschuld und Schande in die köstliche Gnade der Rechtfertigung durch das Werk des Geistes in der Wiedergeburt versetzt werden. Und von diesem Stande der Herrlichkeit werden wir verklärt durch die Heiligung des Geistes in die vollkommene Herrlichkeit, ja in das Ebenbild des herrlichen Gottes. Beachtenswert ist, dass diese Verklärung nicht durch unsere Versetzung in den Himmel geschieht, sondern durch den Heiligen Geist (Röm. 15:16).

Darum, lieber Leser, wenn du von Gott geboren bist und deine Seele noch dürstet und nach „mehr Gnade“ verlangt, so ist es gerade das, was Gott dir geben will (Jak. 4:6). Darum weihe dich gänzlich und auf ewig deinem Gott und glaube auf sein Wort hin, dass der Gott des Friedens dich durch und durch heiligt durch das kostbare Blut seines Sohnes, so wird es geschehen. Amen.