„Die Liebe ist langmütig“ (1.Kor. 13:4).
Was für ein wunderbarer Anschauungsunterricht ist doch die Geschichte Israels, von dem Tage des Durchzuges durchs Rote Meer an! Was für eine Illustration zu unserem Wort: Die Liebe ist langmütig! Was hat Gott für Geduld mit diesem Volk gehabt! Immer wieder hat Israel gemurrt, immer wieder hat es Irrwege und Abwege eingeschlagen und immer wieder erfuhr es: Gottes Liebe ist langmütig.
Und was für eine Geduld hat Jesus gehabt! Wie unermüdlich und treu ist er durchs Land gezogen, um die frohe Botschaft vom Reiche überall zu verkündigen. Er hat es nicht fehlen lassen an Erweisen der Treue und Liebe. Er kann sagen: „Jerusalem, Jerusalem... Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.“ (Mt. 23:37). Wie langmütig und geduldig war er auch mit seinen Jüngern. Wie schwer war es auch, sie zu erziehen. Wie wenig Verständnis fand er bei ihnen. Und doch, seine Liebe war langmütig.
Und war er nicht auch geduldig und langmütig mit dir? Ist er dir nicht mit Geduld nachgegangen auf deinen Irrwegen? Hat er nicht immer wieder an deinem Herz geklopft? Hat er nicht immer wieder die Hand der Gnade nach dir ausgestreckt? Ganz gewiss, wenn du zurückschaust auf dein früheres Leben, dann musst du es mit Dank und Anbetung bekennen: Die Liebe ist langmütig. Und auch seit deiner Bekehrung hat er dich mit großer Geduld getragen. Ach, wie viel Ungehorsam gegen seinen Willen, wie viel Betrüben des Heilandes, des Heiligen Geistes hat es auch in deinem Gnadenstande noch gegeben. Und du hast es auch als Kind Gottes immer wieder erfahren: Die Liebe ist langmütig. Und nun blick einmal auf dein Leben. Warst du langmütig? Hast du die Geduld Jesu in deinem Verhalten gegen andere beobachtet? Ach, es gibt so viel Ungeduld auch noch unter den Kindern Gottes. Möchten dir darüber die Augen aufgehen, dass du dich erkennst in seinem Lichte.
Da ist eine Mutter. Sie hat sich erst mit 45 Jahren bekehrt. Bis dahin hat sie in der Welt gelebt und ihre Befriedigung in der Welt gefunden. Natürlich hat sie auch ihre Tochter eingeführt in die Welt, und sie gewann die Welt lieb. Nun hat sich die Mutter bekehrt. Was erwartet sie nun? Dass auch die Tochter sich bekehre, aber das tut die Tochter nicht. Sie geht noch wie zuvor zu den alten Vergnügungen. Sie putzt sich, sie lockt sich die Haare, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hat. Und die Mutter wird ungeduldig. Die Tochter bekommt nicht viele gute Worte zu hören, – immer Ermahnungen und Vorwürfe. Je länger, je mehr wird das Christentum der Tochter verleidet.
O Mutter, hab doch deine Tochter lieb! Sei doch recht lieb zu ihr. Die Liebe ist langmütig. Was denkt jetzt deine Tochter? Sie denkt: „Meine unbekehrte Mutter war doch viel netter, als meine bekehrte Mutter“. Hat sie Unrecht? O Mutter, woran soll deine Tochter deine Bekehrung merken? Nicht an deinen tadelnden Worten, sondern an deiner Liebe. Du musst sie jetzt doppelt so lieb haben wie früher. Und auch wenn sie zum Ball geht. Ja gerade dann so lieb, dass die Tochter auf dem Wege zum Ball sich sagen muss: „Es ist eigentlich schade, dass ich heute, dass ich heute Abend weg musste. Es war doch so gemütlich zu Hause.“ Willst du die Tochter gewinnen, dann merke dir: Die Liebe ist langmütig.
Und du lieber Vater, wie steht es mit dir? Vielleicht bist du mit deinen Jungen, wo du noch unbekehrt warst, am Sonntagnachmittag zum Bach gegangen, und da hast du ihnen Weiden geschnitten und Pfeifen gemacht. Das war eine Freude! Und heute? Jetzt heißt es im strengsten Ton am Sonntagnachmittag: „Was hast du da wieder für ein Buch? Hast du heute schon dein Kapitel gelesen?“ Oder es heißt: „Warum warst du denn nicht in der Versammlung?“ Soll ich dir mal sagen, was dein Sohn von dir denkt? Er denkt: „Der unbekehrte Vater war mir lieber als der bekehrte Vater“. Und weißt du, ich kann deinen Jungen ganz gut verstehen. Was hast du nicht bedacht? Die Liebe ist langmütig. Wie alt warst du, als du dich bekehrtest? Oder hast du 40 Jahre lang dem Herrn Mühe gemacht? 40 Jahre hat er mit dir Geduld gehabt. Und du bist so ungeduldig?
Und wie steht es mit deinem Verkehr innerhalb deiner Gemeinschaft? Da ist ein Bruder, der noch irgend eine Gebundenheit hat. Du machst ihn darauf aufmerksam. Du sagst ihm die Wahrheit. Aber er gibt die Sache nicht auf. Und du wirst ungeduldig. O, wie lange warst du an diese oder jene Sache gebunden. Wie lange hat der Herr den Finger darauf gelegt, und du willst so ungeduldig sein? Ich bin gewiss, es wird vieles besser in unserer Gemeinschaft werden, wenn man erkennt: Die Liebe ist langmütig. Heißt das nun zu allem ja sagen? Heißt das nun alles gutheißen? O nein, das heißt es nicht. Aber es heißt: Warten und den Herrn wirken lassen. Der Bruder steht ja und fällt nicht dir, sondern dem Herrn. Überlass ihn getrost dem Herrn. Viel lieber als du ihn hast und haben kannst, hat ihn der Herr. Und viel mehr, als dir an ihm gelegen ist, ist dem Herrn an ihm gelegen! Wenn du das bedenkst, dann wird dein Leben erweisen: Die Liebe ist langmütig. Und dann wird viel mehr Segen von dir ausgehen. Wer Fische fangen will, der muss einen guten Köder an die Angel tun. Ich sage dir: Unfreundliche, ungeduldige Worte sind ein schlechter Köder. Aber tue Liebe an die Angel, und du wirst Menschen fangen!